Grüner Erfolg, der dennoch enttäuscht
Sie wollten die erste grüne Kanzlerin stellen, doch dann folgte der Absturz von Annalena Baerbock. Letztendlich war nicht mehr drin als ein dritter Platz in der Wählergunst.
Wer eine Klimaregierung will, sollte heute Grün wählen“– das twitterte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am Sonntag noch. Dann kam lange nichts mehr – auch nicht, als feststand, dass die Grünen zwar zugelegt hatten, aber weit hinter ihren Erwartungen geblieben waren.
Baerbock war angetreten, um Historisches zu schaffen: als erste Grüne ins Kanzleramt einzuziehen. Und eine Zeitlang war der Traum tatsächlich nicht unrealistisch gewesen. Als Baerbock im Frühjahr nominiert wurde, brach der Hype aus. In Umfragen kletterten die Grünen auf Platz eins.
Doch dann kam der Absturz, und er war vor allem hausgemacht. Die 41-Jährige musste Nebeneinkommen beim Bundestag nachmelden, immer wieder wurde ihr Lebenslauf korrigiert und klang danach nicht mehr ganz so gut und glänzend.
Besonders kritisiert wurde ihr Buch. Sie hatte es noch vor der Nominierung – aber schon mit Blick auf diese – geschrieben, um mit ihrem grünen Co-Chef Robert Habeck ein bisschen mitzuhalten. Er hat ja schon mehrere Bücher veröffentlicht. Es stellte sich jedoch heraus, dass Baerbock weite Passagen abgeschrieben hatte, ohne die Quellen zu nennen. Die Kritik war laut, und Baerbock wurde dünnhäutig. Bei Interviews und bei Wahlkampfauftritten merkte man ihr an: Sie hatte Angst vor dem nächsten Fehler. Jeden Tag musste sie Stellung beziehen und erklären, dass sie sich über ihre eigenen Fehler „tierisch“ärgere.
„Energiegeld“überzeugte nicht
Es lief allerdings auch inhaltlich nicht so glatt. Die Grünen möchten CO2 deutlich höher besteuern als SPD und Union, aber einen sozialen Ausgleich schaffen. Dafür sollen alle Bürgerinnen und Bürger ein „Energiegeld“in Höhe von 75 Euro pro Jahr erhalten. Aber die Grünen schafften es nicht, dieses Vorhaben leicht verständlich zu erklären.
Nico Siegel, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap, sagt: „Viele, übrigens nicht nur junge Menschen, zweifeln die Kompetenz der Grünen bei Umweltpolitik und Klimaschutz nicht an – aber in anderen Politikbereichen ist das Zutrauen oftmals eher gering ausgeprägt.“
Die Ökopartei bemühte sich um Schadensbegrenzung und versicherte, sie habe geradezu damit gerechnet, dass sich das anfängliche Hoch wieder abschwächen würde. Doch dann ging es in Umfragen so weit hinunter, dass vielen bald klar war: Das mit der Kanzlerschaft wird nichts mehr – wenngleich Baerbock noch davon sprach, sie wolle Politik „an führender Stelle“gestalten.
Habeck, der gerne selbst als Kanzlerkandidat angetreten wäre, brachte schließlich den tiefen innerparteilichen Frust zur Sprache. „Irgendwas war nicht richtig an diesem Wahlkampf“, sagte er schon vor einer Woche beim grünen Parteitag.
„Dämlich und dumm“
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass die deutsche Politik mehr für den Klimaschutz tun müsse, hätte man einen konstruktiven Wettstreit um die besten Strategien führen müssen. „Doch“, so Habeck, „wir sind steckengeblieben in dämlichen und dummen Debatten.“
Zehntausende Kilometer sind er und Baerbock im Wahlkampf durchs Land getourt. Am Freitag, zwei Tage vor der Wahl, traten beide in Düsseldorf bei der Schlusskundgebung auf. Baerbock appellierte noch einmal an die Bürgerinnen und Bürger: „Diese Wahl ist eine Klimawahl. Bei dieser Wahl geht es um alles.“Habeck räumte am selben Tag ein: „Wir sind nicht da, das muss man einfach zugeben, wo wir hätten sein wollen.“
Doch nun lautet die Frage: Wo gehen die Grünen hin? Die Antworten darauf wird jetzt wohl sehr viel stärker der verhinderte Kanzerkandidat Robert Habeck geben, weniger Annalena Baerbock.