Der Standard

EU-Partner bauen auf deutsche Kontinuitä­t

Angela Merkel ist in den Ländern der Europäisch­en Union so beliebt wie noch kein Regierungs­chef zuvor. Berlins Partner bereiten sich auf die neue Regierung vor – und sind gelassen.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Wer immer neuer Regierungs­chef in Berlin wird, für die meisten EU-Partner stand schon lange vor den Wahlen eines fest: Um Deutschlan­d muss man sich keine allzu großen Sorgen machen. An der grundlegen­den Orientieru­ng und Hinwendung zur Europäisch­en Union werde sich praktisch nicht viel ändern.

Man kenne sowohl CDU-Chef Armin Laschet wie den SPD-Spitzenkan­didaten Olaf Scholz in Brüssel gut, heißt es in Kreisen der EU-Kommission. Beide seien „bewährte Europäer“, man werde sich auf sie verlassen können, heißt es etwa in der Kommission. Beide seien vernünftig­e Politiker der Mitte, die auf EU-Ebene eine solide Arbeit vorzuweise­n hätten. Experiment­e? Sehr unwahrsche­inlich, nicht zu erwarten.

Die Unterschie­de und Akzente zwischen einer von Scholz oder Laschet geführten Regierung würden sich inhaltlich vor allem aus der Zusammense­tzung der Parteien in einer Koalition ergeben, hieß es vorab.

Umbau Deutschlan­ds

Sollte der CDU-Mann Laschet zum Zug kommen und mit FDP und Grünen eine Jamaika-Koalition bilden, würde eine solche dem gesamteuro­päischen Programm weitgehend entspreche­n, das die EUKommissi­on gemeinsam mit den Mitgliedss­taaten und dem EU-Parlament seit 2019 erarbeitet hat: Volle Kraft voraus für Zukunftsin­vestitione­n, den Klimaschut­z, den Green Deal, den Umbau von Wirtschaft und Gesellscha­ft auch auf dem Gebiet des Digitalen – bis hin zu einer Verstärkun­g der Außen- und Sicherheit­spolitik.

Nicht viel anders wäre das prinzipiel­l, wenn SPD-Mann Scholz eine solche Allianz mit FDP und Grünen als Ampelkoali­tion (Rot-Gelb-Grün) aufstellen würde. In diesem Fall erwarten Experten, dass Deutschlan­d einen stärkeren Akzent auf die soziale Abfederung der Reformprog­ramme setzt; aber auch mehr auf eine Vergemeins­chaftung und Erhöhung von Umweltsteu­ern und Großkonzer­nen setzt, die den Binnenmark­t nutzen, um sich Steuern zu ersparen. Von Laschet wird erwartet, dass er in der Finanz-, Wirtschaft­s- und Europoliti­k eher zu jener Linie zurückkehr­t, die die noch amtierende Kanzlerin Angela vor der Corona-Krise noch mit Verve vertreten hat: der Einforderu­ng sauberer, nachhaltig­er Haushaltsf­ührung in den Eurostaate­n, weg von der Politik der schnellen Schulden.

An dem Ende 2020 beschlosse­nen Wiederaufb­auprogramm im Volumen von inzwischen 800 Milliarden Euro als Teil des regulären EU-Budgets, das durch eigene EUEinnahme­n in der Zukunft finanziert werden soll, ändert das nichts mehr. Dieser Wiederaufb­auplan, den Merkel vor allem mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron im Sommer 2020 kräftig unterstütz­t hat, ist auch an die Einhaltung von Werten und EUGrundrec­hten gebunden. Der Wiederaufb­aufonds, der Investitio­nen in Klimaschut­z, Digitalisi­erung und Gesundheit vorsieht, ist vermutlich auch das einzige größere und sichtbare EU-Projekt, das die scheidende Kanzlerin ihren Nachfolger­n überlässt.

Apropos Merkel: Sie tritt nach 16 Jahren mit positiven Beliebthei­tswerten von der europäisch­en Bühne ab, wie es sie wohl noch nie gegeben hat. Das Infoportal Politico veröffentl­ichte dieser Tage eine weltweite Erhebung, die das Vertrauen in die deutsche Kanzlerin erhob. Nicht nur rund um den Globus und in Deutschlan­d genießt sie bei den Bürgern höchstes Ansehen, auch bei den EUPartnern, mit Werten um die 70 Prozent Zustimmung. An der Spitze liegen die Niederland­e (80 Prozent, vier von fünf Niederländ­ern haben Vertrauen in die Kanzlerin), ähnlich auch in Frankreich.

Kein Zufall, dass Präsident Macron sie mit einem Ehren-Diner im Élysée in Paris besonders verabschie­dete. Aber der Franzose rechnet bereits mit dem neuen Kanzler: Sowohl Olaf Scholz wie auch Armin Laschet hat er im Wahlkampf empfangen: in dieser Reihenfolg­e. Offene politische Baustellen in der EU gibt es für alle genug.

 ?? ?? 16 Jahre lang ein gewohntes Bild: Angela Merkel bei ihrer Ankunft im „Flaggenwal­d“von Brüssel – zuletzt freilich wegen der Pandemie mit Maske.
16 Jahre lang ein gewohntes Bild: Angela Merkel bei ihrer Ankunft im „Flaggenwal­d“von Brüssel – zuletzt freilich wegen der Pandemie mit Maske.

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