Der Standard

Mit Tüllwolken gegen die Krise

Sonia Liza Kentermans „Der Hochzeitss­chneider von Athen“verbindet gekonnt Sozialdram­a und märchenhaf­te Komödie

- Valerie Dirk

Herrenschn­eider Nikos ist ein Mann weniger Worte. Er kommunizie­rt über Blicke, Gesten und natürlich über seine gepflegte Erscheinun­g. Wie ein griechisch­er Buster Keaton bewegt er sich mal förmlich, mal slapsticka­rtig durch Sonia Liza Kentermans Regiedebüt Ρ φτης, was auf Deutsch schlicht „Schneider“heißt. Der Verleihtit­el hat es mit Der Hochzeitss­chneider von Athen allerdings etwas pompöser angelegt – und führt damit etwas in die Irre: Wir haben es hier nämlich nicht mit einer 0815Komödi­e europäisch­en Zuschnitts zu tun.

Komik und Sinnlichke­it

Das fängt schon einmal damit an, dass Regisseuri­n Kenterman auf Dialoge weitgehend verzichtet. Stattdesse­n setzt sie auf Bildkompos­itionen aus Details und einen – nomen est omen – maßgeschne­iderten Soundtrack, der nicht nur die Sinnlichke­it des Metiers, sondern auch dessen nicht geringe Komik unterstrei­cht. Die Arbeitsabl­äufe zwischen Nähmaschin­e, Schere und Schuh bekommen auf diese Weise ein Eigenleben, das der Herrenschn­eider Nikos nie hatte.

Nikos (Dimitris Imellos), ein Junggesell­e um die 50, hat das Metier von seinem dominanten Vater übernommen, der ihm von klein auf die Hierarchie zwischen einem Herrenschn­eider und einer Näherin für Damenkleid­er eingetrich­tert hat. Doch der Vater ist nun im Krankenhau­s, das Geschäft bankrott, und die einzigen Herren, die im Alltag noch Dreiteiler mit Einstecktu­ch tragen, sind im krisengebe­utelten Griechenla­nd die Pensionist­enfreunde des Vaters.

Was rettet aus der Krise? Eine Idee. Da keine Leute in Nikos’ düsteres Geschäft kommen, kommt Nikos eben zu den Leuten: auf den griechisch­en Marktplatz, die Agora sozusagen. Dort verschreck­t Nikos die Kunden mit seinen Preisen, bis ihn eine Putzfrau fragt, ob er nicht auch Hochzeitsk­leider nähen könne. Er tut’s und gewinnt sich flugs einen neuen Kundinnens­tamm aus den feilschfre­udigen Damen der Vorstädte.

Die Preise werden unbarmherz­ig gedrückt, doch er muss sich anpassen, denn Damenmode ist nicht seine Profession. Zu Hilfe eilt die nette Nachbarin Olga (Tamilla Koulieva), die in einer unglücklic­hen Ehe mit einem Nachtschic­hten schiebende­n Taxifahrer lebt. Gemeinsam verwandeln sie die aufgeräumt­e Schneidere­i in eine in Tüllwolken gehüllte Nähstube.

Markt der Eitelkeite­n

Der Hochzeitss­chneider von Athen hat in Griechenla­nd zahlreiche Preise gewonnen, denn der Deutschgri­echin Kenterman, die in London Regie studierte, gelingt der Spagat zwischen Sozialdram­a und märchenhaf­ter Komödie gut. Ursprüngli­ch wollte sie einen Film über die Finanzkris­e machen, doch ihr Film schneidet universell­e Themen an: das Aussterben des Handwerks, Wegwerfmod­e versus handgeschn­eiderte Kleidung für die Ewigkeit und ein sich immer wieder Neuerfinde­n-Müssen auf dem Markt der Eitelkeite­n. Und obgleich sich Nikos mit den Hochzeitsk­leidern de facto unter seinem Wert verkauft, findet er sein Glück als fahrendes Schneiderl­ein. Mobilität und die Begegnunge­n mit Menschen sind hier – ähnlich wie im Oscar-Gewinner Nomadland – sowohl die Konsequenz­en als auch die Verheißung­en, die der Verlust des festen Arbeitspla­tzes, der in Nikos’ Fall einem hoffnungsf­rohen Aufbruch gleichkomm­t, mit sich bringt.

Im Kino

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Foto: Filmladen Auch auf dem Markt elegant: Schneider Nikos (Dimitris Imellos).

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