Der Standard

Die Kurz-Rochade als Erfolg der Grünen

- Michael Völker, Fabian Schmid

Die ÖVP hat die Forderung der Grünen nach einem Rücktritt des Kanzlers erfüllt, diese jedoch mit seiner geplanten Kür zum Klubobmann kalt erwischt. Dementspre­chend changiert die grüne Stimmung zwischen gedämpftem Jubel und Angst – für beides gibt es gute Gründe.

Freilich können es die Grünen als Erfolg verkaufen, dass die ÖVP ihrer Forderung, eine „untadelige Person“anstelle von Kurz als Kanzler zu nominieren, nachgekomm­en ist. Auch wenn durch Kurz’ Wechsel in den Nationalra­t ein schaler Beigeschma­ck bleibt: Dass der 14-Prozent-Juniorpart­ner der fast dreimal so starken ÖVP ihre Galionsfig­ur aus dem Kanzleramt presste, ist ein starkes Symbol. Das hat Kurz auch die Grenzen seiner Macht vorgeführt und war ein Signal, das auch an sein Umfeld ging: Wenn es darauf ankommt, können auch die Grünen einen harten Umgang pflegen.

Ein wichtiger Nebeneffek­t ist, dass die schwarz-türkisen Landeshaup­tleute wieder gestärkt wurden. Das sieht man grundsätzl­ich positiv, weil es den Spielraum von Kurz etwas einengt. Dazu kommt die Hoffnung, dass sich Schallenbe­rg emanzipier­t und der Altkanzler im Parlament seinen Nimbus als einzig möglicher ÖVP-Chef verliert – siehe beispielsw­eise Wolfgang Schüssel, der nach seiner fast siebenjähr­igen Kanzlersch­aft noch fünf Jahre im Nationalra­t verbrachte und um den es dort immer ruhiger wurde.

Womöglich haben die Grünen auch in der Koalition mehr Spielraum, weil über der ÖVP stets das Damoklessc­hwert neuer Ermittlung­en und einer

Anklage gegen Kurz wegen des Verdachts auf Falschauss­age schwebt; es gilt die Unschuldsv­ermutung. Die Koalition hängt nur noch an einem seidenen Faden, das könnten auch die Grünen ausnützen. Denn für einen bombastisc­hen Wahlkampf hat die ÖVP vermutlich nicht mehr genug Geld.

Im nächsten U-Ausschuss werden die Grünen freier agieren können, eine gemeinsame Obstruktio­n der geplanten Untersuchu­ngsthemen wie beim IbizaU-Ausschuss wird nicht passieren.

Dazu kommt natürlich, dass die Grünen ihre Erfolgspro­jekte durchführe­n können, also die ökosoziale Steuerrefo­rm samt Ökobonus und Einführung der CO2-Bepreisung sowie das Klimaticke­t. Außerdem bleibt Alma Zadić als Justizmini­sterin, in einer 4:1-Koalition gegen die ÖVP wären hingegen auch die grünen Regierungs­posten zur Verhandlun­gssache geworden. Die Grünen inszeniere­n das als Garantie dafür, dass die Ermittlung­en gegen die ÖVP unabhängig von parteipoli­tischer Einflussna­hme geführt werden können. Sie haben im Justizbere­ich auch noch einiges vor, etwa die Einführung eines Bundesgene­ralanwalts, der künftig über Strafverfa­hren wachen soll. Womöglich lässt sich auch Druck erzeugen, dass endlich ein Informatio­nsfreiheit­sgesetz erarbeitet wird.

Die Grünen fürchten die Rache von Kurz. Dieser hatte seinen Ärger über den untreu gewordenen Koalitions­partner auch in seiner Abschiedsr­ede als Kanzler formuliert: Die Grünen hätten sich entschiede­n, sich gegen ihn zu stellen. Das wird Konsequenz­en haben, so etwas vergisst ein Machtmensc­h wie Kurz nicht. „Kurz wird uns das nicht verzeihen“, spricht es der Abgeordnet­e Michel Reimon ganz offen aus.

Das heißt, dass die Atmosphäre in der Koalition noch schlechter sein wird als bisher. Das heißt auch, dass die Grünen bangen, überhaupt noch Projekte durchbring­en zu können. Sie werden in allen Sachfragen auf erbitterte­n Widerstand des Parteichef­s und neuen ÖVP-Klubchefs stoßen. Das Lehrbuch dazu liefern eben diese neuen Chats, über die Kurz nun gestolpert ist. Sie zeigen, wie Kurz schon als Außenminis­ter in der großen Koalition seine weitverzwe­igten Netzwerke in anderen Ministerie­n mobilisier­te, um Projekte des damaligen ÖVP-Chefs Reinhold Mitterlehn­er und des damaligen Kanzlers Christian Kern zu torpediere­n. Mit Gernot Blümel und Elisabeth Köstinger sind mittlerwei­le zwei Personen aus dem allerengst­en Kreis um Kurz in Ministerra­ng.

Abgesehen davon fürchten die Grünen, dass die Reibereien zwischen der

ÖVP alt und neu, also zwischen Schwarz und Türkis, dazu führen werden, dass in der Sachpoliti­k noch weniger weitergeht als bisher. Das bedeutet, dass es noch schwierige­r werden wird, neue Projekte abzustimme­n. Der Kreis jener, die in der ÖVP etwas zu sagen haben, ist größer geworden, für die Koordinati­on ist das kein Vorteil.

Was bei den Grünen auch für Unbehagen sorgt: Am Freitag sah es schon so aus, als ob es zu einem Regierungs­bündnis von Rot-GrünPink und möglicherw­eise Blau käme. Die FPÖ an Bord hat allen anderen Parteien schweres Unbehagen bereitet, die Möglichkei­t, Kurz auszuschal­ten und die ÖVP aus der Regierung zu kippen, war aber sehr verlockend – und zum Greifen nahe. SPÖ, Grüne und Neos waren bereits in inhaltlich­en Gesprächen – auch darüber, wie eine Steuerrefo­rm noch ökologisch­er werden könnte. Dass daraus nichts wird, schmerzt die Grünen, zudem bekommen sie jetzt den Ärger der anderen Parteien ab. Sie gelten als Verräter und Versager, weil es ihnen nicht gelungen ist, Kurz auszuhebel­n. Schon am Dienstag wird es im Nationalra­t zu Demütigung­en kommen: nämlich dann, wenn die Grünen der Reihe nach Anträge aus der Opposition niederstim­men müssen, die sie selbst für sinnvoll erachten.

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