Die Kurz-Rochade als Erfolg der Grünen
Die ÖVP hat die Forderung der Grünen nach einem Rücktritt des Kanzlers erfüllt, diese jedoch mit seiner geplanten Kür zum Klubobmann kalt erwischt. Dementsprechend changiert die grüne Stimmung zwischen gedämpftem Jubel und Angst – für beides gibt es gute Gründe.
Freilich können es die Grünen als Erfolg verkaufen, dass die ÖVP ihrer Forderung, eine „untadelige Person“anstelle von Kurz als Kanzler zu nominieren, nachgekommen ist. Auch wenn durch Kurz’ Wechsel in den Nationalrat ein schaler Beigeschmack bleibt: Dass der 14-Prozent-Juniorpartner der fast dreimal so starken ÖVP ihre Galionsfigur aus dem Kanzleramt presste, ist ein starkes Symbol. Das hat Kurz auch die Grenzen seiner Macht vorgeführt und war ein Signal, das auch an sein Umfeld ging: Wenn es darauf ankommt, können auch die Grünen einen harten Umgang pflegen.
Ein wichtiger Nebeneffekt ist, dass die schwarz-türkisen Landeshauptleute wieder gestärkt wurden. Das sieht man grundsätzlich positiv, weil es den Spielraum von Kurz etwas einengt. Dazu kommt die Hoffnung, dass sich Schallenberg emanzipiert und der Altkanzler im Parlament seinen Nimbus als einzig möglicher ÖVP-Chef verliert – siehe beispielsweise Wolfgang Schüssel, der nach seiner fast siebenjährigen Kanzlerschaft noch fünf Jahre im Nationalrat verbrachte und um den es dort immer ruhiger wurde.
Womöglich haben die Grünen auch in der Koalition mehr Spielraum, weil über der ÖVP stets das Damoklesschwert neuer Ermittlungen und einer
Anklage gegen Kurz wegen des Verdachts auf Falschaussage schwebt; es gilt die Unschuldsvermutung. Die Koalition hängt nur noch an einem seidenen Faden, das könnten auch die Grünen ausnützen. Denn für einen bombastischen Wahlkampf hat die ÖVP vermutlich nicht mehr genug Geld.
Im nächsten U-Ausschuss werden die Grünen freier agieren können, eine gemeinsame Obstruktion der geplanten Untersuchungsthemen wie beim IbizaU-Ausschuss wird nicht passieren.
Dazu kommt natürlich, dass die Grünen ihre Erfolgsprojekte durchführen können, also die ökosoziale Steuerreform samt Ökobonus und Einführung der CO2-Bepreisung sowie das Klimaticket. Außerdem bleibt Alma Zadić als Justizministerin, in einer 4:1-Koalition gegen die ÖVP wären hingegen auch die grünen Regierungsposten zur Verhandlungssache geworden. Die Grünen inszenieren das als Garantie dafür, dass die Ermittlungen gegen die ÖVP unabhängig von parteipolitischer Einflussnahme geführt werden können. Sie haben im Justizbereich auch noch einiges vor, etwa die Einführung eines Bundesgeneralanwalts, der künftig über Strafverfahren wachen soll. Womöglich lässt sich auch Druck erzeugen, dass endlich ein Informationsfreiheitsgesetz erarbeitet wird.
Die Grünen fürchten die Rache von Kurz. Dieser hatte seinen Ärger über den untreu gewordenen Koalitionspartner auch in seiner Abschiedsrede als Kanzler formuliert: Die Grünen hätten sich entschieden, sich gegen ihn zu stellen. Das wird Konsequenzen haben, so etwas vergisst ein Machtmensch wie Kurz nicht. „Kurz wird uns das nicht verzeihen“, spricht es der Abgeordnete Michel Reimon ganz offen aus.
Das heißt, dass die Atmosphäre in der Koalition noch schlechter sein wird als bisher. Das heißt auch, dass die Grünen bangen, überhaupt noch Projekte durchbringen zu können. Sie werden in allen Sachfragen auf erbitterten Widerstand des Parteichefs und neuen ÖVP-Klubchefs stoßen. Das Lehrbuch dazu liefern eben diese neuen Chats, über die Kurz nun gestolpert ist. Sie zeigen, wie Kurz schon als Außenminister in der großen Koalition seine weitverzweigten Netzwerke in anderen Ministerien mobilisierte, um Projekte des damaligen ÖVP-Chefs Reinhold Mitterlehner und des damaligen Kanzlers Christian Kern zu torpedieren. Mit Gernot Blümel und Elisabeth Köstinger sind mittlerweile zwei Personen aus dem allerengsten Kreis um Kurz in Ministerrang.
Abgesehen davon fürchten die Grünen, dass die Reibereien zwischen der
ÖVP alt und neu, also zwischen Schwarz und Türkis, dazu führen werden, dass in der Sachpolitik noch weniger weitergeht als bisher. Das bedeutet, dass es noch schwieriger werden wird, neue Projekte abzustimmen. Der Kreis jener, die in der ÖVP etwas zu sagen haben, ist größer geworden, für die Koordination ist das kein Vorteil.
Was bei den Grünen auch für Unbehagen sorgt: Am Freitag sah es schon so aus, als ob es zu einem Regierungsbündnis von Rot-GrünPink und möglicherweise Blau käme. Die FPÖ an Bord hat allen anderen Parteien schweres Unbehagen bereitet, die Möglichkeit, Kurz auszuschalten und die ÖVP aus der Regierung zu kippen, war aber sehr verlockend – und zum Greifen nahe. SPÖ, Grüne und Neos waren bereits in inhaltlichen Gesprächen – auch darüber, wie eine Steuerreform noch ökologischer werden könnte. Dass daraus nichts wird, schmerzt die Grünen, zudem bekommen sie jetzt den Ärger der anderen Parteien ab. Sie gelten als Verräter und Versager, weil es ihnen nicht gelungen ist, Kurz auszuhebeln. Schon am Dienstag wird es im Nationalrat zu Demütigungen kommen: nämlich dann, wenn die Grünen der Reihe nach Anträge aus der Opposition niederstimmen müssen, die sie selbst für sinnvoll erachten.