Der Standard

Rote Linien

- Oona Kroisleitn­er, David Krutzler

„In Wahrheit ist das eine Fortsetzun­g der Regierungs­arbeit mit dem türkisen System.“SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner

Für kurze Zeit schien eine rot-blau-grün-pinke Zusammenar­beit möglich. Um Sebastian Kurz abzusetzen, wäre die SPÖ sogar bereit gewesen, mit der FPÖ ins Boot zu steigen. Nach dem Rücktritt des Kanzlers herrscht Katerstimm­ung in der Opposition: Die Fortführun­g der türkis-grünen Koalition sei eine mit dem Kurz’schen System.

Es war nur ein kurzer Moment, in dem Pamela Rendi-Wagner mit ihrer Kanzlerinn­enschaft liebäugeln durfte. Sie stünde zur Verfügung, sagte die Chefin der zweitstärk­sten Parlaments­partei Freitagnac­ht. Und brach damit ein rotes Tabu: Denn für eine Mehrheit gegen Sebastian Kurz und dessen ÖVP benötigt es neben den Abgeordnet­en von SPÖ und Grünen jedenfalls auch die Stimmen der FPÖ. Der blaue Klubobmann Herbert Kickl hatte zu diesem Zeitpunkt bereits klargestel­lt: Eine Zusammenar­beit im Nationalra­t könne er sich nur „auf Augenhöhe“vorstellen.

Eine Koalition mit der FPÖ – in der Sozialdemo­kratie zumindest auf Bundeseben­e ein No-Go, seitdem der ehemalige rote Bundeskanz­ler Franz Vranitzky 1986 die Zusammenar­beit mit den Blauen beendet hatte. Doch in dieser „außergewöh­nlichen Situation“, in der sich das Land befinde, brauche es auch „außergewöh­nliche Handlungen“, formuliert­e es Rendi-Wagner. Auf Gespräche mit den im Parlament vertretene­n Parteien abseits der ÖVP hatte sich das SPÖ-Parteipräs­idium kurz zuvor geeinigt; rote Linien sind eben oftmals fließend.

Keine Koalition im Kern

Das Kanzlerinn­enfenster schloss sich für Rendi-Wagner aber sowieso so schnell wieder, wie es sich geöffnet hatte. Seither ist der Frust in der SPÖ groß. Rendi-Wagner selbst gab sich enttäuscht darüber, dass die Grünen statt mit ihr lieber weiterhin mit der ÖVP unter Alexander Schallenbe­rg als Kanzler und Kurz als Klubchef regieren würden. Sie nannte es die „Fortsetzun­g einer Regierungs­arbeit mit dem türkisen System“.

Und nach dem Rücktritt des Kanzlers wird in SPÖ-Kreisen besänftigt: Es sei schließlic­h nie um eine Koalition im engen Sinne gegangen, sondern vielmehr um eine Art Zusammenar­beit im Parlament gegen die türkise

ÖVP, hieß es da. Auch mit blauen Ministerin­nen und Ministern? Natürlich: Für die Vorstellun­g, dass Rendi-Wagner und Kickl gemeinsam in einer Regierung arbeiten, brauche man viel Fantasie. Aber ein solches Arbeitsübe­reinkommen wäre nicht auf lange Dauer möglich gewesen, befindet man bei den Roten.

Trotzdem gab es Gegner der FPÖ-Gespräche im engsten Parteizirk­el – bei der Sitzung des roten Präsidiums wurde die informelle Aufnahme von Verhandlun­gen über eine VierPartei­en-Einigung nicht von allen goutiert. Dass sich Rendi-Wagner mit Kickl noch am Samstag, wenige Stunden vor dem Rückzug von Kurz, getroffen hatte, wird von Roten im

Nachhinein als „nicht gerade geschickt“beurteilt. Franz Schnabl, SPÖ-Chef und Landeshaup­tfrau-Vize in Niederöste­rreich, sieht das jedoch anders: „Gespräche sind nie falsch“, sagte Schnabl dem STANDARD – auch nicht mit Kickl. Er werde Rendi-Wagners Gespräche mit der FPÖ „sicher nicht negativ beurteilen“.

In der SPÖ stellt sich wieder einmal die Frage: Ist Rendi-Wagner in solch einer turbulente­n Zeit die Richtige für den Job der Parteichef­in? Zumindest ein Viertel der Delegierte­n verneinte diese Frage bereits im Juli auf dem SPÖ-Bundespart­eitag. Dort musste sich Rendi-Wagner mit 75 Prozent Zustimmung und dem historisch schlechtes­ten Ergebnis bei einer Vorsitzwah­l ohne Gegenkandi­datin oder Gegenkandi­daten abfinden.

Aktuell will man nicht so recht eine klare Antwort darauf geben, wer die Partei in die nächste Nationalra­tswahl führen soll. Und diese, da ist man sich in der SPÖ sicher, werde deutlich vor dem regulären Ende der Regierungs­periode 2024 stattfinde­n. Kritik bei der Parteichef­in gibt es nämlich auch daran, dass Rendi-Wagner vor dem Rücktritt des Kanzlers mehr mit der Karte „Neuwahlen“statt Annäherung zur FPÖ hätte spielen müssen.

Eine öffentlich­e Debatte über den roten Chefsessel will man in der Partei momentan jedoch vermeiden. Zuletzt überschatt­ete die Führungsfr­age im Sommer das politische Geschehen – als der Streit zwischen RendiWagne­r und dem burgenländ­ischen Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil eskalierte.

ÖVP-U-Ausschuss geplant

Für eine Vorsitzdeb­atte sei keine Zeit, heißt es aus der SPÖ. Es gehe darum, das System Kurz zu durchleuch­ten. Das soll im Zuge eines neuen U-Ausschusse­s geschehen: SPÖ, FPÖ und Neos bestätigte­n am Sonntag, dass die Korruption­svorwürfe gegen die ÖVP und den zurückgetr­etenen Kanzler Thema eines neuen Untersuchu­ngsausschu­sses sein werden.

Denn auch die restliche Opposition gab sich mit der Fortsetzun­g der Koalition nicht zufrieden. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger stellte sich etwa die Frage, ob der Rücktritt und der Wechsel als Klubobmann in den Nationalra­t ausreichen würden. Das Kurz’sche System sei eines „der Machtbeses­senheit“und werde weitergefü­hrt, sagte sie.

Für FPÖ-Chef Kickl bricht Kurz mit seiner „Flucht in die parlamenta­rische Immunität“sein Verspreche­n, für rasche Aufklärung zu sorgen. Offenbar plane Kurz, die „Affäre zu einer unendliche­n Geschichte“zu machen, „bis die ÖVP das Justizmini­sterium wieder innehabe“, mutmaßte Kickl.

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Foto: Christian Fischer Gespräche mit der FPÖ über eine mögliche Zusammenar­beit führte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner auf die „außergewöh­nliche Situation“zurück.

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