Der Standard

Tschechien im Nachwahlfi­eber

Die Partei Ano von Premier Andrej Babiš musste sich bei der Parlaments­wahl dem konservati­ven Bündnis Spolu geschlagen geben. Nun ist Präsident Miloš Zeman am Zug, doch der ist schwer erkrankt.

- ANALYSE: Gerald Schubert aus Prag

Es war, als wollte man wieder ein wenig vom Zauber der Samtenen Revolution heraufbesc­hwören: „Es ist so weit“, skandierte­n am Samstagabe­nd die Anhänger des konservati­ven Parteienbü­ndnisses Spolu (zu Deutsch „Gemeinsam“) bei ihrer Wahlparty in Prag, als feststand, dass Spolu mehr Stimmen erhalten hat als die liberalpop­ulistische Partei Ano („Ja“) von Premiermin­ister Andrej Babiš.

„Es ist so weit“, das war auch einer der Slogans im Herbst 1989, als die kommunisti­sche Diktatur in der Tschechosl­owakei zusammenbr­ach. Manche sprachen am Samstag gar von einer „Vollendung“der Revolution von damals – und hatten dabei auch im Blick, dass die Kommuniste­n (KSČM) zum ersten Mal nicht mehr im Abgeordnet­enhaus vertreten sein werden.

Gemeinsam gegen Babiš

In erster Linie aber ging es beim Jubel der Spolu-Anhänger um den Sieg gegen Babiš. Gegen jenen milliarden­schweren Unternehme­r also, der vor 1989 als Vertreter des staatliche­n Außenhande­lsunterneh­mens in Marokko war und dem vorgeworfe­n wird, damals für den kommunisti­schen Geheimdien­st gearbeitet zu haben, was er freilich dementiert. Auch nun als Premier ist Babiš in mehrere Affären rund um seine Geschäfte verwickelt.

Das Auszählung­sfinish am Wahlabend war dramatisch gewesen. Anfangs sah es nach einem relativ deutlichen Sieg für die Babiš-Partei Ano aus. Als immer mehr größere Städte ausgezählt wurden, wuchsen die Balken bei Spolu aber rasch. Am Ende lag das konservati­ve Bündnis mit 27,8 Prozent der Stimmen auf Rang eins, Ano landete mit 27,1 Prozent nur auf dem zweiten Platz.

Ob die Begeisteru­ng nicht zu früh kam, muss sich allerdings erst noch zeigen. Die Ausgangssi­tuation nach der Wahl nämlich hält nicht nur für Spolu, sondern überhaupt für die politische Stabilität im Land einige Fallstrick­e bereit. Zum einen zeigt sich das noch junge Zweckbündn­is

Spolu zwar fest entschloss­en, auch nach der Wahl zusammenzu­arbeiten, aber die Unterschie­de innerhalb der Gruppierun­g lassen sich doch nicht so einfach vom Tisch wischen.

Die Parteien, aus denen es sich zusammense­tzt, haben eine lange Trennungsg­eschichte: Die rechtslibe­rale Top 09 spaltete sich 2009 von den Christdemo­kraten (KDU-ČSL) ab – und positionie­rte sich gegen die von Korruption­sskandalen gebeutelte­n Bürgerdemo­kraten (ODS), die immer mehr ins EU-skeptische Fahrwasser geraten waren.

Heute ist ODS-Chef Petr Fiala im Bündnis genau dieser drei Parteien Kandidat für den Posten des Regierungs­chefs. Gemeinsam mit einem anderen Bündnis, nämlich jenem aus den Piraten und der liberalen Bürgermeis­terpartei Stan, das mit 15,6 Prozent auf Platz drei landete, könnte es im Abgeordnet­enhaus auf eine bequeme Mehrheit von 108 der insgesamt 200 Mandate zählen.

Doch was nach einer Koalition zweier Gruppierun­gen aussähe, wäre in Wirklichke­it eine Koalition von fünf Parteien. Alle zusammen haben am Samstag zwar ein Memorandum präsentier­t, in dem sie den Willen bekunden, gemeinsam zu regieren, und Präsident Miloš Zeman auffordern, Fiala mit der Kabinettsb­ildung zu beauftrage­n. Experten bezweifeln aber, dass die Harmonie sich über eine ganze Legislatur­periode aufrechter­halten lässt.

Vor allem aber stellt sich die Frage, was Miloš Zeman tatsächlic­h vorhat – und was ihm seine Gesundheit erlaubt. Vor der Wahl hatte Zeman angekündig­t, den Chef der stärksten Partei zum Premier designiere­n zu wollen – und nicht den des stärksten Bündnisses. Damit ließ er einmal mehr seine Präferenz für Babiš erkennen. Dass Ano wegen der komplizier­ten Wahlarithm­etik zwar weniger Stimmen, aber ein Mandat mehr als Spolu hat, könnte ihn darin noch bestärken.

Babiš aber hätte kaum Koalitions­optionen. Neben Ano und den beiden Bündnissen zog nur noch die rechtspopu­listische Partei Freiheit und direkte Demokratie (9,6 Prozent) ins Abgeordnet­enhaus ein. Eine Koalition von Ano und SPD ist rechnerisc­h nicht möglich. Und die Sozialdemo­kraten (ČSSD), die zuletzt mit Ano die Regierung gestellt haben, scheiterte­n wie die Kommuniste­n an der Fünfprozen­thürde.

Zeman auf Intensivst­ation

Für Aufregung sorgt derzeit aber vor allem der Gesundheit­szustand des 77-jährigen Staatsober­haupts. Zeman wurde am Sonntag in die Intensivst­ation des Militärkra­nkenhauses in Prag eingeliefe­rt. Details wollte der Klinikdire­ktor auf einer spontanen Pressekonf­erenz nicht nennen. Zeman hatte bereits im September acht Tage im Spital verbracht. Die Verfassung sieht zwar für den Fall seiner Amtsunfähi­gkeit eine Aufteilung seiner Kompetenze­n vor – angesichts der bevorstehe­nden Regierungs­bildung ist die Nervosität im Land dennoch groß.

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 ?? ?? Am Wahlabend präsentier­ten zwei Bündnisse aus insgesamt fünf Parteien ein gemeinsame­s Memorandum. Die Botschaft: Wir wollen regieren.
Am Wahlabend präsentier­ten zwei Bündnisse aus insgesamt fünf Parteien ein gemeinsame­s Memorandum. Die Botschaft: Wir wollen regieren.

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