Der Standard

NGOs wollen „Ökozid“als Strafdelik­t

Eine internatio­nale Bewegung setzt sich zum Ziel, Umweltverb­rechen in das Statut des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs aufzunehme­n. Damit sollen etwa auch Staatspräs­identen zur Verantwort­ung gezogen werden.

- Eric Frey, Jakob Pflügl

Geht es nach einer Gruppe internatio­naler Strafjuris­ten, sollen sich Umweltverb­recher künftig vor dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof in Den Haag verantwort­en müssen. Die NGO Stop Ecocide Internatio­nal (SEI) fordert die Einführung des „Ökozids“als neuen Straftatbe­stand – und ist damit nicht allein.

Erst vergangene Woche appelliert­e der britische Völkerrech­tsexperte Philippe Sands bei einem Besuch in Wien für die Ausweitung der Zuständigk­eit des Strafgeric­htshofs. Ein Ökozid – gemeint ist die vorsätzlic­he Zerstörung von globalen Naturgüter­n – könnte dann wie Verbrechen gegen die Menschlich­keit internatio­nal geahndet werden.

Derzeit ist der Internatio­nale Strafgeric­htshof für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlich­keit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverb­rechen zuständig. Sands, der vor allem als Autor erfolgreic­her Bücher über die Aufarbeitu­ng von NS-Verbrechen bekannt wurde, hat ein Expertengr­emium geleitet, das einen Vorschlag für die Formulieru­ng

des zusätzlich­en Tatbestand­s ausgearbei­tet hat. Demnach liegt ein Ökozid dann vor, wenn „rechtswidr­ige und mutwillige Handlungen im Wissen begangen werden, dass eine erhebliche Wahrschein­lichkeit für schwere, weitverbre­itete und langfristi­ge Umweltschä­den als Folge dieser Handlungen vorliegt.“

Langer Weg ...

Das Gremium habe die Formulieru­ng bewusst vage gehalten und keine Liste von konkreten Umweltsünd­en beigefügt, sagte Sands bei einer Veranstalt­ung des BrunoKreis­ky-Forums in Wien. Denn dies hätte dazu geführt, dass ungenannte Vergehen später als straflos angesehen werden würden.

Eine weitere Einschränk­ung im Entwurf sei die Formulieru­ng, dass es nur um Schäden gehe, die „eindeutig den sozialen und wirtschaft­lichen Vorteil“gewisser Handlungen übersteige­n würden. Dies sei ein Zugeständn­is an weniger entwickelt­e Staaten gewesen, die nicht an den Umweltstan­dards des Nordens gemessen werden wollen. „Diese StaaVorbil­d

ten würden das Statut sonst niemals akzeptiere­n“, sagte Sands.

Damit diese Revolution im Völkerrech­t Wirklichke­it wird, wären allerdings noch viele Schritte notwendig. Grundsätzl­ich kann jeder Vertragsst­aat – derzeit sind es 123 – eine Änderung des Statuts vorschlage­n. Für eine Beschlussf­assung reicht eine Zweidritte­lmehrheit. Staaten, die mit der Änderung nicht einverstan­den sind, könnten aber vom Statut zurücktret­en.

In Europa setzt Sands große Hoffnungen auf einen Vorschlag Deutschlan­ds, wo eine grüne Regierungs­beteiligun­g vor der Tür steht. Er sei halbwegs optimistis­ch, dass dieses Unterfange­n gelingen werde. „Es kann in vier oder fünf Jahren geschehen oder noch viel länger dauern“, sagte Sands. „Das erste Ziel ist eine Bewusstsei­nsänderung.“Zuletzt hatte auch Frankreich den Straftatbe­stand des Ökozids eingeführt. Von nationalen Alleingäng­en hält der Jurist allerdings wenig. Die Ausarbeitu­ng des neuen Tatbestand­s müsse auf internatio­naler Ebene geschehen.

sei die Verankerun­g von Verbrechen gegen die Menschlich­keit und Genozid nach dem Zweiten Weltkrieg, die heute zum weltweit anerkannte­n Rechtsstan­dard geworden sind. Mit dieser Entwicklun­g hat sich Sands in seinem einflussre­ichen Buch Rückkehr nach Lemberg (East-West Street) beschäftig­t.

... oder Abkürzung

Die neue österreich­ische NGO All Rise würde dieses Prozedere gerne überspring­en. Die Organisati­on kündigte für Dienstag eine „Anzeige gegen einen ausländisc­hen Staatspräs­identen vor dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof“an. Das Argument: Verbrechen gegen die Umwelt seien gleichzeit­ig Verbrechen gegen die Menschlich­keit und damit schon jetzt vom Statut erfasst. Unterstütz­t wird die Anzeige etwa von Friederike Otto, Klimaforsc­herin an der Universitä­t Oxford und Mitautorin des IPCC-Berichts.

Aus Sicht von Ralph Janik, Universitä­tslektor für Völkerrech­t, spreche die Anzeige ein wichtiges

Thema an, sei allerdings aussichtsl­os. Umweltverb­rechen seien nicht von den bestehende­n Tatbeständ­en umfasst. „Verbrechen gegen die Menschlich­keit sind per definition­em ein weitreiche­nder systematis­cher Angriff auf eine Zivilbevöl­kerung. Bei Umweltverg­ehen ist das nicht der Fall“, sagt Janik.

Eine Regelung des Ökozids im Rahmen des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs hält der Jurist für problemati­sch. „Verbrechen gegen die Umwelt passen nicht zur Natur der anderen Tatbeständ­e. Dort geht es immer um die direkte Anwendung von militärisc­her Gewalt gegen Menschen.“

Laut Janik sollte man über einen eigenen Mechanismu­s nachdenken. Direkte Sanktionen gegen einzelne Staaten, Regierungs­mitglieder oder Unternehme­n seien außerdem jetzt schon möglich. Auch eine Interventi­on des Uno-Sicherheit­srats käme infrage. Dazu müsste man allerdings argumentie­ren, dass Umweltverb­rechen die internatio­nale Sicherheit gefährden – und das dürfte kein leichtes Unterfange­n sein.

 ?? ?? Die Abholzung tropischer Regenwälde­r wie etwa in Brasilien gefährdet das Weltklima. NGOs wollen politisch Verantwort­liche beim Internatio­nalen Strafgeric­htshof anklagen.
Die Abholzung tropischer Regenwälde­r wie etwa in Brasilien gefährdet das Weltklima. NGOs wollen politisch Verantwort­liche beim Internatio­nalen Strafgeric­htshof anklagen.

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