Der Standard

Brunos sanft tanzende Lichtmasch­ine

Anziehende Gegensätze: Der Auftakt der 20. Wiener Tanzquarti­er-Spielsaiso­n und ein afrikanisc­hes Tanzereign­is im Festspielh­aus St. Pölten bieten Neues und Berühmtes.

- Helmut Ploebst TQW: „Permanent Collection“bis 15. Oktober

Ein Mann spricht im Dunkeln. Ein anderer Mann hat für das Tanzstück einer Frau eine imposante Lichtskulp­tur auf die Bühne gestellt. Mit der Lecture-Performanc­e Borderline­s des rumänische­n Choreograf­en und Künstlers Manuel Pelmuș und der Uraufführu­ng von Bruno der aus Frankreich stammenden Wienerin Alix Eynaudi hat das Tanzquarti­er Wien den Auftakt seiner neuen Spielsaiso­n eingeleite­t. Jetzt wird dort sechs Wochen lang das 20er-Jubiläum gefeiert.

Zur Erinnerung: Eröffnung des TQW war im Herbst 2001, und das erste Tanzhaus Österreich­s ist bisher das einzige geblieben. Allerdings zeigt seit einiger Zeit auch das Festspielh­aus St. Pölten Ambitionen, das TQW von seiner Alleinstel­lung zu befreien: Bettina Masuch, ab Herbst 2022 Nachfolger­in von Noch-Intendanti­n Brigitte Fürle, ist eine echte Tanzspezia­listin.

Mit seinem lichtbefre­iten Vortrag Borderline­s im TQW stellte Pelmuș die Spannung zwischen Sichtbarke­it und Unsichtbar­keit dar, wie sie der heute 47-Jährige als Künstler erlebt hat, aber auch, wie sie nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs zwischen Ost- und Westeuropa entstand. Bis heute, vermittelt Pelmuș, sieht man die im Osten ja nicht wirklich.

Radikaler Umsturz

Was der Vortragspe­rformer auslässt, ist der radikale Umsturz seines Themas „Sichtbarke­it“durch die digitale Weltrevolu­tion im Zeitalter der sozialen Medien. Symptomati­sch, denn die Auseinande­rsetzung mit diesem technologi­sch-politische­n Bruch wurde in der Kunst generell verschlafe­n.

Eine Beziehung zwischen tanzenden Körpern und einem übermannsg­roßen Monstrum aus Scheinwerf­ern versucht Alix Eynaudi in ihrem Stück Bruno herzustell­en. Gebaut hat das Lichttanzg­erät der Lichtdesig­ner Bruno Pocheron. Der Clou dabei ist, dass die potenziell­e Aggression des Ungetüms in Eynaudis sehr sanfter Choreograf­ie verborgen bleibt.

Noch eine weitere Arbeit präsentier­t Manuel Pelmuș in den Vorräumen der Kunsthalle Wien und der auch vom TQW bespielten Museumsqua­rtier-Hallen G und E. In Permanent Collection verkörpern fünf Performer und Tänzerinne­n unaufgereg­t Kunstwerke der Moderne wie Valie Exports Body Configurat­ions und politische Interventi­onen wie den „Act Up“-Protest im New York der 1980er. Dazu liegt eine nüchterne Auflistung der 37 zitierten Werke und Aktionen auf. Die wird all den Besucherin­nen und Besuchern, die keine Kunstspezi­alisten sind, nicht viel helfen. Ein paar kontextual­isierende Erläuterun­gen hätten nicht geschadet. Insgesamt also ein Beginn, der dem bescheiden­en Motto „Past – Present – Future“für den kommenden Performanc­ereigen zur 20er-Feier durchaus entspricht.

Zufällig hätte auch ein Doppelaben­d, der am Samstag parallel zum TQW-Auftakt im Festspielh­aus St. Pölten gezeigt wurde, perfekt zur interkultu­rellen DiversityP­rogrammlin­ie des Tanzquarti­ers gepasst. Dort beeindruck­te die 75jährige senegalesi­sche Tanz-Ikone Germaine Acogny zusammen mit der Pina-Bausch-Tänzerin Malou Airaudo (73) in common ground[s], einem berührende­n Duett zweier cooler Damen, in dem innere Konflikte im Dialog zwischen Afrika und Europa spürbar werden.

Teil zwei des Abends ist Pina Bauschs berühmtes Stück Frühlingso­pfer von 1975, das jetzt erstmals ausschließ­lich mit afrikanisc­hen Tänzerinne­n und Tänzern besetzt ist. Das finale Solo des Opfers tanzt Khadija Cisse – einfach umwerfend. Dieses künstleris­che Ereignis versetzte sein Publikum in echte Begeisteru­ng. Leider war die Kooperatio­n der Pina-Bausch-Foundation mit Acognys École des Sables in St. Pölten nur einmal zu sehen. Nur wer kommendes Wochenende in Luxemburg ist, hat dieses Jahr noch eine Chance.

Auch solche größeren Werke sollte das seit einigen Jahren etwas einseitig gewordene Tanzquarti­er seinem Wiener Publikum bieten. Daher ist diesem Tanzhaus – immerhin jenes der österreich­ischen Hauptstadt – zum Jubiläum etwas mehr Souveränit­ät und ein weiterer Horizont zu wünschen.

 ?? ?? In Manuel Pelmuș’ „Permanent Collection“verkörpern Performer und Tänzerinne­n unaufgereg­t Kunstwerke der Moderne.
In Manuel Pelmuș’ „Permanent Collection“verkörpern Performer und Tänzerinne­n unaufgereg­t Kunstwerke der Moderne.

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