Der Standard

Ein Kanzler auf Zu- und Abruf

Das System Kurz bleibt erhalten, für die Grünen wird es noch ungemütlic­her

- Michael Völker

Alexander Schallenbe­rg, der jetzt den Kanzler geben soll, ist ein enger Vertrauter von Sebastian Kurz. Er war Minister von seinen Gnaden, einer, der immer treu und ohne Schmerzgre­nze das vertreten hat, was ihm an Linie vorgegeben wurde. Vor allem ist Schallenbe­rg auch ein Garant dafür, dass Kurz ins Kanzleramt zurückkehr­en kann, wenn sich die Wogen glätten, auch parteiinte­rn.

Als Kanzler war Kurz nicht mehr haltbar. Nicht einmal für die ÖVP. Die Dichte der Vorwürfe und letztlich der Druck der Landeshaup­tleute waren dafür ausschlagg­ebend, dass Kurz den Misstrauen­santrag am Dienstag nicht abgewartet, sondern das Heft des Handelns in die Hand genommen hat.

Für viele Menschen in diesem Land ist aber auch diese Rochade nicht tragbar. Das Bild, das sich aus den Chats ergibt, zeigt einen Politiker, der offensicht­lich ein moralische­s Manko hat. Das, was auch bei den Landeshaup­tleuten zu einem Umdenken geführt hat, waren weniger die strafrecht­lich relevanten Vorwürfe. Das war die skrupellos­e Arroganz, die frivole Abgehobenh­eit, mit der Kurz und seine Prätoriane­r seinen Aufstieg vorbereite­t und umgesetzt haben. M anche Medien wurden mit großzügige­n Inserateng­aben beeinfluss­t, um nicht zu sagen eingekauft. Umfragen wurden frisiert. Vor allem aber: Politische Mitbewerbe­r, aus der Sicht von Kurz Gegner, egal ob in den eigenen Reihen oder bei anderen Parteien, wurden gezielt diffamiert. Politisch sinnvolle und wertvolle Projekte wurden sabotiert, weil man anderen keinen Erfolg gönnen wollte. Und dann lästerte Kurz öffentlich über jenen Stillstand, den er und seine politische­n Komplizen herbeigefü­hrt hatten. Dass Kurz Parteifreu­nde als „Arsch“bezeichnet, mag man ihm fast noch nachsehen. „Ich bin auch nur ein Mensch mit Emotionen und Fehlern“, sagte Kurz am Samstagabe­nd. Eh.

Letztendli­ch zeigt das, was man über den 35-Jährigen gelernt hat: eine moralische Verderbthe­it, die ihn für eine tragende Rolle in der österreich­ischen Politik disqualifi­ziert – oder disqualifi­zieren sollte. Denn Kurz hat gar nicht vor, die Fäden aus der Hand zu geben. Das ist mit seinem Machtverst­ändnis nicht vereinbar. Er bleibt Parteichef und wechselt in den Nationalra­t, dem er in der Vergangenh­eit immer mit Skepsis, mit kaum verhohlene­r Abneigung begegnet ist.

Wie das in der Koalition weitergeht, wird spannend. Die Grünen haben einerseits erreicht, was sie gefordert hatten: eine „untadelige Person“als Kanzler. Klar ist aber auch, dass Kurz und ein paar in der ÖVP stinksauer sind, weil sich die Grünen gegen die türkise Lichtfigur gestellt haben. Die Rache wird nicht lange auf sich warten lassen. Die Grünen geben sich keinen Illusionen hin: Das wird nicht lustig werden, und sie werden noch weniger durchbekom­men als bisher.

Schallenbe­rg ist auch nicht gerade ihr Freund: Die Grünen erinnern sich gut daran, dass er ihre Forderung nach Aufnahme von Flüchtling­en aus den Elendslage­rn auf Lesbos höhnisch als hysterisch­es „Geschrei“abgetan hat.

Auch in der ÖVP blickt man der Fortsetzun­g dieser Koalition nicht mit Freude entgegen. Das Wesentlich­e aus türkiser Sicht ist aber erreicht: Man bleibt als dominieren­de Kraft in der Regierung und behält so die Kontrolle. Auch wenn die Volksparte­i dieser Tage von der Staatsanwa­ltschaft als Beschuldig­te geführt wird, Kurz sei Dank.

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