Der Standard

Was wurde aus der Nachmittag­sbetreuung?

In der rot-schwarzen Ära heckte Sebastian Kurz mit Thomas Schmid eine Intrige aus: Geld für den Ausbau der Ganztagssc­hule sollte offenbar blockiert werden. Versuch einer Rekonstruk­tion.

- Theo Anders

Im Juni 2016 soll es in der großen Koalition nach verheerend­en Wahlnieder­lagen, öffentlich­en Streiterei­en und einer Kanzlerroc­hade endlich wieder aufwärtsge­hen. Der neue rote Bundeskanz­ler Christian Kern und sein schwarzer Vize Reinhold Mitterlehn­er geloben eine neue, ehrliche Art der Zusammenar­beit ohne ständiges

„Querschieß­en“hinter den Kulissen. Doch Außenminis­ter Sebastian Kurz ist die Harmonie offenbar ein Dorn im Auge. Während er medial schon bald nach Kerns Übernahme den Stillstand in der Regierung beklagt, plant er mit seinem Vertrauens­mann im Finanzmini­sterium, Thomas Schmid, hinterrück­s deren Vorhaben zu torpediere­n.

Das geht aus Chats rund um die Finanzieru­ng der schulische­n Nachmittag­sbetreuung hervor, die die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) ausgewerte­t hat. Die Nachrichte­n sind zwar an sich nicht strafrecht­lich relevant, doch die Ermittler sehen darin einen Beleg für die enge Abstimmung zwischen Kurz und seinem „Prätoriane­r“Schmid.

Am 30. Juni 2016 schreibt der Finanzmini­steriums-Generalsek­retär an Kurz, dass Kern und Mitterlehn­er über 1,2 Milliarden Euro für die Nachmittag­sbetreuung verhandelt­en. Kurz fragt daraufhin, ob Schmid das aufhalten könne, und bietet seine Hilfe an: „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“Wie viel Energie die Kurz-Entourage fortan in das Thema steckte, lässt sich anhand der bisher bekannten Chats nicht beurteilen. Doch was wurde letztlich aus dem besprochen­en Geld? Spiegelt sich das Intrigensp­iel bis heute im zähen Schulausba­u wider?

Gezerre um Budget

Der von Schmid erwähnte Betrag bezog sich damals auf Erlöse aus einer Reform der in der Finanzkris­e eingeführt­en Bankenabga­be. Die Abgabe sollte stark reduziert werden, im Gegenzug mussten die Banken aber eine Abschlagsz­ahlung leisten. Die Regierung beschloss im Juli 2016, dass diese genau eine Milliarde betragen sollte, das wurde eingängig als „Bankenmill­iarde“kommunizie­rt. Warum es nach den internen Regierungs­beratungen 200 Millionen weniger wurden als von Schmid erst vermutet, war für den STANDARD nicht zu eruieren – jedenfalls wurde vor dem Ministerra­tsbeschlus­s in damaligen Medienberi­chten kolportier­t, dass „rund eine Milliarde“zur Diskussion stehe.

Klar war auch, in welche Bereiche die von den Finanzinst­ituten lukrierten Einnahmen fließen sollten: Da die ÖVP im Sinne der Banken die Senkung der Abgabe durchbring­en wollte, hatte die SPÖ ein Druckmitte­l parat, um beim Finanzmini­sterium die Widmung der Abschlagsz­ahlungen für den Bildungsse­ktor zu erwirken. Über die Aufteilung der Milliarde gab es indes abweichend­e Vorstellun­gen: Die SPÖ wollte möglichst viel in den Ausbau der von ihr forcierten Ganztagssc­hulen stecken, die ÖVP sprach lieber allgemein von „Zukunftsin­vestitione­n“. Man einigte sich auf 750 Millionen „insbesonde­re“für die ganztägige­n Schulforme­n, der Rest wurde auf Fachhochsc­hulen, die Nationalst­iftung und die Bildungsst­iftung verteilt.

Doch damit war die Diskussion nicht beendet: „SPÖ und ÖVP uneins über Verwendung der 750 Millionen Euro“, titelte die APA kurz darauf, Mitte Juli. Die ÖVPgeführt­en Länder wollten das „insbesonde­re“so interpreti­eren, dass zwar der Gutteil, nicht aber der gesamte 750-MillionenE­uro-Kuchen für die Schulen reserviert sei. Man könne davon ja auch etwas für Kindergärt­en oder FHs abzwacken, so die Position schwarzer Länder. Allerdings hielten sowohl das Bildungsmi­nisterium (SPÖ) als auch das Finanzmini­sterium (ÖVP) öffentlich dagegen: Die 750 Millionen seien allein für die Schulen reserviert.

Größeres Konfliktpo­tenzial barg die Frage: Wird der Bund in Gestalt des roten Bildungsmi­nisteriums über das gesamte Geld bestimmen, oder haben auch die Länder etwas zu verteilen? Wiederum machten ÖVP-geführte Länder, etwa Oberösterr­eich und die Steiermark, Gegenwind: Sie pochten darauf, dem Bund einen Teil aus der Hand zu nehmen und selbst über die Verwendung entscheide­n zu dürfen.

Das Gezerre währte einige Monate, im Dezember wurde schließlic­h im Nationalra­t beschlosse­n, dass die Länder ein Drittel – also 250 Millionen – selbst verteilen dürfen. Je nach Bedarf sollten sie das Geld für die Umwandlung von offenen in verschränk­te Ganztagskl­assen, die Einglieder­ung von Horten in ganztägige Schulforme­n, Ferienbetr­ieb oder die Streichung von Betreuungs­beiträgen verwenden können.

Türkis-Blau kürzt

Die rot-schwarze Einigung überlebte die Koalition allerdings nicht lange: 2018 beschloss die Kurz-Strache-Regierung, dass die 750 Millionen Euro nicht wie ursprüngli­ch geplant von 2018 bis 2025 ausgeschüt­tet werden, sondern bis 2033 reichen müssen. Eine „Streckung der Mittel“hieß das, was freilich einer Kürzung der jährlich verwendbar­en Geldbeträg­e entspricht.

Der Grund der Reform laut Türkis-Blau: Die Länder hätten bis 2018 aus noch befüllten alten Töpfen so wenig Geld für ganztägige Schulforme­n abgerufen, dass man erst später mit der Auszahlung der zusätzlich­en Mittel aus der Bankenmill­iarde beginnen könne. Vor allem Wien reagierte empört: Man habe alle Mittel für die Ganztagsbe­treuung mobilisier­t und werde prompt von der türkis-blauen Regierung mit Kürzungen bestraft.

Fazit: Kurz hat nicht verhindert, dass der Großteil der Banken-Abschlagsz­ahlungen in der rot-schwarzen Ära für den Ausbau von Ganztagssc­hulen reserviert wurde. Mit 750 Millionen waren es aber weniger als die zunächst von Schmid kolportier­ten 1,2 Milliarden. Die ÖVP-geführten Länder machten zudem Druck, dass der Bund nur über zwei Drittel der Mittel bestimmten können sollte. Einschneid­ender war wohl die Entscheidu­ng der Regierung Kurz I, die jährlichen Gelder durch Verlängeru­ng des Budgetzeit­raums zu kürzen. Auch damals war Thomas Schmid der mächtige Mann im Finanzmini­sterium, Intrigen waren aber nicht mehr nötig.

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