„Sobotka war die Abrissbirne“
Die Wahl 2017 sei nicht fair gewesen, sagt Christian Kern, der damals die Kanzlerschaft an Sebastian Kurz verloren hat. Diesem macht er schwere Vorwürfe: Die Regierungsarbeit sei mutwillig torpediert worden. Manche Medien seien Teil der Kampagne gewesen.
Christian Kern zog sich im Oktober 2018 aus der Politik zurück, nachdem er und die SPÖ bei der Nationalratswahl 2019 Sebastian Kurz und der ÖVP unterlegen waren. Aus den nun bekannt gewordenen Chats von Kurz mit seinem Umfeld ist nachvollziehbar geworden, wie sehr Kurz damals die Regierungszusammenarbeit torpedierte, um selbst Nutzen daraus zu ziehen. Kern, der von Mai 2016 bis Dezember 2017 Kanzler war, blickt im Gespräch mit dem STANDARD auf diese Zeit zurück. STANDARD: Hatten Sie schon Kontakt mit Reinhold Mitterlehner? Kern: Ja. Das war eine bemerkenswerte Zeit in unserem Leben. Der große Unterschied ist: Was wir erlebt haben, ist plötzlich für alle sichtbar. Das ist keine Genugtuung, muss ich sagen, am Ende ist das Schaudern doch größer, wenn du schwarz auf weiß noch einmal liest, was du erlebt hast. Ich finde das wirklich in höchstem Maße irritierend. Man kann jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen, und das geht über die Person von Sebastian Kurz hinaus. STANDARD: Was meinen Sie damit? Kern: Man sollte sich jetzt nicht von dieser Diskussion über die Umfragen beirren lassen, die sind der sichtbare Ausdruck des ganzen Problems. Aber das ist ja systematisch weitergegangen, das betrifft unser Mediensystem, das betrifft wesentliche Institutionen unseres
Staates. Das wesentlichste Element unseres Staates sind freie und faire Wahlen. Und man kann heute im Rückblick sagen, dass das 2017 nicht der Fall gewesen ist, dass eine Partei auch doppelt so viel ausgegeben hat, als sie dürfte, dass öffentliche Mittel parteipolitisch eingesetzt worden sind und man sich damit einen Wettbewerbsvorteil verschafft hat. Das ist auch eine ungeheure Respektlosigkeit vor unserer Verfassung. Wenn ich mir diese Verästelung der Kurz-Truppen in Medien hinein anschaue: Es gibt einzelne Zeitungen, die waren Teil der Kampagne, die waren Teil des KurzCamps und haben sich auch so verhalten.
STANDARD: Geht das über die Zeitung „Österreich“hinaus?
Kern: Das war ganz klar die Kronen Zeitung, das war die Presse, das war später der Kurier. Das muss man reflektieren. Das geht natürlich auch tief in die Beamtenschaft hinein, man denke an die Generalsekretäre in den Ministerien oder die Causa Pilnacek. Aus alldem muss man Konsequenzen ziehen. Ich gebe Herbert Kickl nicht in vielem recht, aber die türkisen Seilschaften im Innenministerium gibt es, die sind eine eigene Betrachtung wert.
STANDARD: Wie haben Sie das damals erlebt? In einem Chat ist nachvollziehbar, wie Sebastian Kurz und Thomas Schmid eine Einigung zwischen Ihnen und Reinhold Mitterlehner über 1,2 Milliarden für Kinderbetreuung am Nachmittag torpediert haben. War Ihnen das bewusst?
Kern: Es war unglaublich zäh, mit der ÖVP zu Einigungen zu kommen. Wir haben lange Runden gehabt, die Ergebnisse sind dann wieder verworfen worden. Das, was wir hier erlebt haben, hat sich in vielen Fällen wiederholt. Wir haben das bei vielen Reformprojekten gespürt, die behindert worden sind. Eines der gravierendsten Beispiele war der Migrations- und Integrationsbereich. Uns war klar, wir müssen wesentlich mehr Anstrengungen unternehmen. Ich hatte vorgeschlagen, dass wir einen Integrationsbeauftragten benennen, der das managt: Christian Konrad, der ist eng mit der ÖVP verbunden, ehemaliger RaiffeisenManager. Mitterlehner war ganz angetan, wir haben uns darauf verständigt, dass wir das tun wollen, aber das ist von Kurz und Sobotka radikal abgelehnt worden. Das ist deshalb so eine interessante Anekdote, weil es genau das beschreibt, was abgegangen ist: Kurz hat immer wieder den Stillstand und die Streitereien in der Regierung beklagt, die er jeden Tag herbeigeführt hat. Er hat überhaupt kein Interesse gehabt, dass die Integration funktioniert, weil er die Probleme gebraucht hat. Das war für ihn und seine Politik der Antrieb. Probleme in der Migrationsfrage, Probleme in der Regierung, davon hat er gelebt. Wir haben jeden einzelnen Tag erlebt, der patzt permanent die Leute an und wirft mit Schlamm um sich.
STANDARD: Hat er im Ministerrat klar Stellung bezogen?
Kern: Nein, Kurz ist nie aus der Deckung gekommen. Dazu hat er nicht das Rückgrat gehabt. Er hat immer darauf geachtet, dass die Schmutzarbeit ein anderer erledigt. Er hat Sophie Karmasin, Andrä Rupprechter, auch Hans Jörg Schelling vorgeschickt. Das Bizarre ist ja: Kurz hat die reihenweise auch abserviert, er hat seine eigenen Leute vor den Bus geworfen, weil er gefunden hat, sie sind ihm jetzt nicht mehr nützlich.
STANDARD: Sie haben Wolfgang Sobotka erwähnt, damals Innenminister, heute ist er Nationalratspräsident. Kern: Sobotka war die Abrissbirne dieser Regierungszusammenarbeit. Dass man gefunden hat, das qualifiziert ihn, das Amt des Nationalratspräsidenten auszuüben, hat mich doch gewundert. STANDARD: Sie haben die Inseratenvergabe angesprochen. Wollte man das nicht reformieren?
Kern: Wir hatten das Gefühl, dass die Inserate aus den Ministerien sehr erratisch vergeben werden. Als Bundeskanzler hast du in Österreich kein Durchgriffsrecht. Da kannst du die Faust in der Hosentasche ballen. Aber wie die Inserate vergeben werden, ist ausschließlich die Entscheidung des Ministers. Daher wollten wir die Entscheidungsmechanismen verändern. Wir haben den Vorschlag gemacht, dass alle Minister ihre Insertionsvorhaben in die Bundesregierung bringen müssen, also Transparenz schaffen und dort eine gemeinsame Entscheidung herbeiführen, mit Einstimmigkeit. Meine Einschätzung war: Sobald wir das tun, wird sich das Volumen der Inserate sofort deutlich reduzieren.
STANDARD: Mitterlehner und Sie waren sich da einig?
Kern: Mitterlehner war da ganz entspannt, er hat damals allerdings schon die Einschätzung gehabt, dass das ein Sisyphusprojekt in seinen eigenen Kreisen wird. Und so war es auch. Das ist verhindert worden, das ist auch in die Medien hineingetragen worden: „Die SPÖ will euch das zerstören und wegnehmen.“So haben sich diese Konflikte weiter hochgeschaukelt. Wir waren eine Bedrohung, Sebastian Kurz hingegen eine Einnahmequelle.
Kurz ist nie aus der Deckung gekommen. Er hat darauf geachtet, dass die Schmutzarbeit ein anderer erledigt.
Das schwebt über allem drüber in diesem Land, das ist so eine Geißel geworden, ein Krebsgeschwür der Demokratie.
STANDARD: Fairerweise muss man sagen, dass nicht Kurz dieses System erfunden hat, das gab es vorher schon: Ihr Vorgänger Werner Faymann hat dieses System aufbereitet.
Kern: Ich muss sagen, das ist eine der echten Erbsünden und einer der gravierendsten Fehler, die auch die SPÖ mitzuverantworten hat. Man hat die Methode begonnen, die Kurz zur Meisterschaft entwickelt hat. Ich könnte Ihnen lange erzählen, was ich in dieser Zeit alles falsch gemacht habe, aber hier nicht entschlossener von der ersten Minute an aufgetreten zu sein war sicher einer der größten Fehler. Das hätte man aus demokratiepolitischer Räson machen müssen. Das schwebt über allem drüber in diesem Land, das ist so eine Geißel geworden, so ein Krebsgeschwür unserer Demokratie. Dass ich dieses System der Inseratenvergabe nicht entschlossener bekämpft habe, mache ich mir selber zum Vorwurf. Aber ich hoffe, dass man jetzt daraus lernt. Da sind die Grünen gefordert, die Konsequenzen zu ziehen. Da kann man nicht mehr wegschauen.