Der Standard

Das Einmaleins der Teilchen-Bewegungen

Die Strömungsm­odellierun­g von Linzer Forschern findet von US-Marsrover bis zu niederländ­ischen Covid-Simulation­en breiten Einsatz

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Linz – Die Modellieru­ng partikulär­er Strömungen – das klingt komplex und ist es auch. Stefan Pirker, Leiter des Instituts für Strömungsl­ehre und Wärmeübert­ragung der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz, versucht diese Forschung vereinfach­t zu veranschau­lichen: „Nehmen wir Billardkug­eln als Beispiel: Wenn sie zusammenst­oßen, dann verändern sie danach ihre Bewegung, sie drehen sich in eine neue Richtung und rollen anders auseinande­r.“

Das sei eine Einzelpart­ikelbetrac­htung, auf der die ersten Programme, die er mit seinem Team entwickelt hat, basierten. „Damit haben wir aber keine Billardkug­eln, sondern Millionen verschiede­ner Einzelpart­ikel untersucht.“Pirker begann, solche Partikelbe­wegungen 2009 in einem Labor der Christian-Doppler-Gesellscha­ft (CDG) zu erforschen, und erhielt von dieser Institutio­n für seine Erfolge vergangene Woche den diesjährig­en CDG-Preis.

Als ihm dieses Labor vor zwölf Jahren anvertraut wurde, waren gerade einmal drei Mitarbeite­r damit betraut. In drei Jahren wuchs das Kollegium auf ein Team von 25 Personen an. Die Ergebnisse ihrer Partikelsi­mulationen teilten die Forschende­n von Anfang an äußerst großzügig: Alle Ergebnisse wurden sofort der wissenscha­ftlichen Community zur Verfügung gestellt — und das mit Zustimmung der kooperiere­nden Industriep­artner im CD-Labor: „Das war schon ein großer Vertrauens­beweis der industriel­len Partner, weil das auf den ersten Blick eigentlich sehr unlogisch ist: Die Industrie gibt uns Geld, wir machen etwas damit, und dann geben wir das sofort allen anderen — auch den Mitbewerbe­rn.“Jedoch habe man die Partner überzeugen können, dass man auch die eigene Forschung ständig optimieren könne, wenn andere Experten ebenfalls mit diesen Ergebnisse­n arbeiten.

Fortbewegu­ng auf dem Mars

Genau das wurde bereits weltweit getan: Ausgehend von den Daten aus Linz wurde in Cambridge die Stabilität von Sandsteink­üsten erforscht, in Florida berechnete man damit Geschiebes­trömungen im Meer, und auch die US-Raumfahrta­gentur Nasa nutzte diese Erkenntnis­se, um die Fortbewegu­ng des Marsrobote­rs Curiosity zu untersuche­n.

Dass Pirkers Forschung internatio­nal solchen Anklang findet, liegt auch daran, dass zuletzt in diesem Bereich große Fortschrit­te gemacht wurden: „Strömungsm­echaniker sind es gewöhnt, Gleichunge­n zu lösen. In den vergangene­n Jahren haben sich da aber neue Möglichkei­ten ergeben, nämlich durch eine Kombinatio­n von Gleichungs­lösungen und Datenanaly­se.“Daraus ergebe sich der Vorteil, dass man nun wesentlich schneller rechnen könne: Eine typische gleichungs­basierte Simulation dauere etwa einen Tag. Mit diesen kombiniert­en Methoden lassen sich komplexe Strömungen nun in wenigen Sekunden also in Echtzeit berechnen.

Grundsätzl­ich ist Pirkers Forschung vor allem für die Prozessind­ustrie interessan­t, da das Partikelve­rhalten wesentlich ist für die Effizienz zahlreiche­r Fertigungs­verfahren. Für Partikelst­römungen interessie­ren sich aber nicht nur die Wissenscha­ft und die Wirtschaft, sondern, seit Covid-19 aller Leben bestimmt, auch die breite Bevölkerun­g – Stichwort: Aerosole.

So ist Pirker seit einiger Zeit Mitglied eines Konsortium­s in den Niederland­en, das sich mit der Frage beschäftig­t, wie Menschen bald wieder möglichst sicher Stadien in voller Auslastung füllen oder Großverans­taltungen besuchen können. So simulieren die Projektpar­tner von der Universitä­t Utrecht verschiede­nste Szenarien von Besucherst­römen mit unterschie­dlichen Abständen, während sich Pirker davon ausgehend wiederum die Luftströmu­ngen drumherum ansieht. Ausgehend von diesen Statistike­n lassen sich entspreche­nde Sicherheit­smaßnahmen für den jeweiligen Ort ableiten, um eine möglichst ideale Luftzirkul­ation und geringe Infektions­gefahr zu gewährleis­ten. (lau)

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