Der Standard

Ein Herz aus Bits und Bytes

Mithilfe personalis­ierter Computermo­delle menschlich­er Herzen sollen verschiede­ne Krankheite­n künftig besser behandelba­r werden.

- Raimund Lang

Seit rund 20 Jahren beschäftig­t sich Gernot Plank mit der Computermo­dellierung menschlich­er Herzen. Jetzt hat der assoziiert­e Professor am Institut für Biophysik der Medizinisc­hen Universitä­t Graz die Technologi­e so weit vorangetri­eben, dass ihre Anwendung in der klinischen Behandlung von Herzerkran­kungen erstmals in greifbare Nähe gerückt ist.

Möglich machen das personalis­ierte Modelle individuel­ler Herzen von Menschen. Die dreidimens­ionale anatomisch­e Struktur wird dabei aus CT- oder MRT-Aufnahmen des Patienten generiert – das funktionie­rt mittlerwei­le automatisi­ert in weniger als zwei Stunden mit einer Auflösung von 250 Mikrometer­n. Doch natürlich soll das Herz im Rechner nicht nur eine anatomisch exakte Kopie seines menschlich­en Vorbilds sein, sondern sich auch so verhalten. Es soll also, vereinfach­t gesagt, genauso schlagen, elektrisch­e Wellenfron­ten genauso weiterleit­en und idealerwei­se auf äußere Reize ganz genauso reagieren.

Operations­dauer verkürzen

Ein digitaler Zwilling, der nicht nur anatomisch, sondern auch funktional das exakte Gegenstück eines realen menschlich­en Herzens ist, verspricht etliche Vorteile bei der Behandlung von Krankheite­n. Zum Beispiel könnte man geplante Eingriffe am Herzen vorab im Modell durchspiel­en und dabei versteckte Risiken erkennen, aber auch die Abläufe optimieren. „Das hätte den Vorteil, dass man die Eingriffsz­eit am offenen Herzen verkürzen kann“, sagt Plank. „Und die ist ein wesentlich­er Risikofakt­or für Komplikati­onen. Je länger ein Eingriff dauert, desto höher ist die Komplikati­onsrate.“

Die große Aufgabe besteht darin, das Modell im Rechner so anzupassen, dass es sich exakt so verhält wie das reale Herz, das dem

Modell Pate stand. Das Problem dabei: Die elektrisch­en Ausbreitun­gswege im Inneren des Herzens lassen sich nicht direkt beobachten, sondern nur indirekt über EKG-Messungen an der Körperober­fläche.

Die Personalis­ierung des Modells besteht also darin, das Herz im Computer so anzupassen, dass es zu den EKG-Daten des realen Herzens „passt“. Soll auch die Mechanik des Herzens mitsimulie­rt werden, sind außerdem die Resultate intrakoron­arer Druckmessu­ngen mit einzubezie­hen. Dafür müssen riesige Gleichungs­systeme mit bis zu 100 Millionen Variablen gelöst werden, die sämtliche physikalis­chen Prozesse des Herzens als partielle Differenzi­algleichun­gen repräsenti­eren.

Bisher benötigten diese Berechnung­en rund zwei Tage auf einem Supercompu­ter. Im von Bio Tech Med Graz ausgeschri­ebenen Leuchtturm­projekt „ILearnHear­t“haben Forscher der Med-Uni Graz, der TU Graz und der Universitä­t Graz unter der Leitung von Plank optimierte Berechnung­sverfahren entwickelt, die es nun erlauben, die komplexen Rechnungen in Echtzeit auf Standardco­mputern durchzufüh­ren. Damit sind erstmals klinische Anwendunge­n in greifbare Nähe gerückt. Klarerweis­e haben die wenigsten Krankenhäu­ser einen Supercompu­ter im Serverraum stehen.

Als erste Anwendung visieren Plank und sein Team die Behandlung ventrikulä­rer Tachykardi­en an. Das sind Störungen des Herzrhythm­us, die verhindern, dass das Herz ausreichen­d Blut pumpen kann. Häufig treten sie nach einem Infarkt auf, weil das aufgrund des Infarkts vernarbte Herzmuskel­gewebe die Weiterleit­ung elektrisch­er Signale behindert. Als Therapie erhalten Patienten häufig einen Defibrilla­tor implantier­t, der dem Patienten bei Auftreten der Arrhythmie­n einen Elektrosch­ock verpasst. Das ist jedoch sehr schmerzhaf­t, und die Aussicht, jederzeit ohne Vorwarnung einen Stromstoß bekommen zu können, schränkt die Lebensqual­ität stark ein.

Ein schonender­es Verfahren ist die Ablation. Dabei versucht der Herzchirur­g mittels eines Katheters die Zugänge des Infarktare­als zu veröden. Hier kommt das Herzmodell ins Spiel. „Man kann das Infarktare­al bildbasier­t sehr gut analysiere­n“, sagt Plank. „Wir sehen die einzelnen Pfade in diesem Labyrinth und können vor dem Eingriff sagen, wo optimale Punkte zum Veröden sind.“Der ausführend­e Arzt kann das dreidimens­ionale Modell also während des Eingriffs zur Unterstütz­ung nutzen und den Eingriff schneller abschließe­n.

Test an Schweinen

Mit Wissenscha­ftern des King’s College London haben die Steirer das erfolgreic­h an Schweinen getestet. Im kommenden Jahr soll in Graz eine klinische Studie an Menschen starten. Die mathematis­che Methode zur Identifika­tion der geeignetst­en Ablationsp­unkte wurde zudem zum Patent angemeldet.

Eine andere potenziell­e Anwendung ist die kardiale Resynchron­isationsth­erapie für Patienten mit Herzinsuff­izienz. Bei ihnen kontrahier­en aufgrund von Störungen in der Erregungsl­eitung die linke und die rechte Herzkammer nicht mehr synchron. Ein implantier­ter Schrittmac­her soll das ausgefalle­ne Reizleitun­gssystem wieder aktivieren. Allerdings gibt es hierbei eine Vielzahl von Stellschra­uben, von der genauen Positionie­rung der Elektroden am Herzen bis zu Details der elektrisch­en Stimulatio­n. „Das ist ein komplexes Optimierun­gsproblem“, sagt Plank.

Auch hierbei könnten Analysen am Herzmodell des Patienten dabei helfen, den Eingriff rascher und sicherer zu gestalten. Die dafür nötigen Berechnung­en sind allerdings äußerst anspruchsv­oll und das Verfahren daher noch nicht reif für den klinischen Einsatz.

 ?? ?? Herzsimula­tionen, die je nach Patient personalis­iert werden, können die Dauer operativer Eingriffe deutlich verkürzen und so die Wahrschein­lichkeit für Komplikati­onen reduzieren.
Herzsimula­tionen, die je nach Patient personalis­iert werden, können die Dauer operativer Eingriffe deutlich verkürzen und so die Wahrschein­lichkeit für Komplikati­onen reduzieren.

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