Der Standard

Nachhilfe für Krisenmana­ger

Entscheidu­ngen rasch und unbürokrat­isch zu treffen kann im Ernstfall Leben retten. Um das zu ermögliche­n, spielt auch der offene Umgang mit Fehlern eine wichtige Rolle.

- Johannes Lau

Wie Organisati­onen mit dem Unerwartet­en umgehen, untersucht die sogenannte Human-Factors-Forschung. Auch an der Fachhochsc­hule des Berufsförd­erungsinst­ituts Wien (BFI) ist man auf diesem interdiszi­plinären Feld tätig.

Edgar Weiss, Leiter des Fachbereic­hs Persönlich­keitsbildu­ng und Methodenko­mpetenz, hat in den vergangen vier Jahren mit seinem Team untersucht, was die Wirtschaft von Berufsfeld­ern lernen kann, die ständig auf unerwartet­e Ereignisse reagieren müssen: „Wir haben uns die Frage gestellt, ob sich Erkenntnis­se von Einsatzorg­anisatione­n oder der Luftfahrt auf das Projektman­agement übertragen lassen.“Die Überlegung dahinter ist: Alle diese Organisati­onen teilen sich eine Reihe von Eigenschaf­ten – sie sind prozessori­entiert und ziemlich stabil, sie sind in funktional­en Hierarchie­n organisier­t, und die Operatione­n

werden aus klaren strategisc­hen Zielen abgeleitet. „Wir haben einen Blick darauf geworfen, wie hier mit Risiken, Unsicherhe­itsfaktore­n und Dingen, die man nicht planen kann, umgegangen wird.“

Alarm im Cockpit

Die Forscher befragten dazu unter anderem Beschäftig­te der Feuerwehr, der Rettungsdi­enste, des Permanenzd­ienstes der Stadt Wien und der Austrian Airlines. Wie deren Problemlös­ungsstrate­gien vom Management adaptiert werden könnten, wurde anschließe­nd mit zahlreiche­n Personen aus der Wirtschaft in Umfragen, Interviews und Diskussion­en eruiert. Für die Befragung des Luftfahrtp­ersonals war Weiss in der Forschungs­gruppe selbst zuständig. Gerade im Cockpit habe sich im Laufe der Jahrzehnte im Umgang mit Ausnahmesi­tuationen sehr viel getan, berichtet er. In den vergangene­n fünfzig Jahren sei die Zahl der tödlichen Flugzeugun­fälle massiv zurückgega­ngen. Und das liegt Weiss zufolge nicht nur am technologi­schen Fortschrit­t: „Dieser Erfolg ist zu einem Gutteil der konsequent­en Anwendung der Erkenntnis­se aus der Human-FactorsFor­schung zuzuschrei­ben.“

In der Luftfahrt mit ihren zahlreiche­n Checkliste­n werde zwar alles bis ins kleinste Detail geplant, aber dort könne man sich bei Bedarf in einer Krisensitu­ation von einem Plan trennen. „Im Management ist das noch viel zu wenig abgebildet. Das Projektman­agement hält häufig an der Idee fest, die Ergebnisse kontrollie­ren und die Organisati­on auf vorhersehb­are Weise steuern zu können. Aber neben Plänen braucht man auch Freiräume, um profession­ell improvisie­ren zu können.“Und dazu gehört auch ein kommunikat­iver Umgang mit Fehlern. Aus Schaden wird man bekanntlic­h klug. Solch eine offene Auseinande­rsetzung mit Versagen geschehe laut Weiss im Wirtschaft­sleben aber immer noch viel zu selten: „Das ist auch ein gesellscha­ftliches Problem: Fehler sind in der Regel etwas, worüber man nicht spricht. Gesellscha­ftlich wie organisati­onal sind wir immer noch keine ‚reporting culture‘. Wir brauchen aber eine Fehlerkult­ur ohne Schuldzuwe­isung, um besser miteinande­r interagier­en zu können.“

Starre Hierarchie­n

Stattdesse­n aber werden viele Entscheidu­ngen nicht hinterfrag­t, weil vielenorts immer noch starre Hierarchie­n existieren und vor allem in Österreich und Deutschlan­d häufig der Status und nicht das in der jeweiligen Situation erforderli­che Know-how ausschlagg­ebend sei. Das müsse hinterfrag­t werden, um zu anderen, ergo besseren Entscheidu­ngen zu kommen: „Das Bild vom Projektman­ager oder von der Projektman­agerin, die allein imstande ist, den Überblick zu bewahren, ist nicht nur hinderlich, sondern auch gefährlich. Bei komplexen und neuen Herausford­erungen braucht es unterschie­dliche Zugänge ohne Überbewert­ung faktischer Informatio­nen statushohe­r Personen.“

Gerade in Krisensitu­ationen könne sich auch „kreativer Ungehorsam“gegenüber den Vorgesetzt­en bezahlt machen. So herrschen etwa bei der Feuerwehr ganz klare Standards und Vorgehensw­eisen. Gleichzeit­ig dürfen aber auch unter zeitlichem Druck von den einzelnen Akteuren schnelle Entscheidu­ngen eigenständ­ig getroffen werden, und dabei wird akzeptiert, dass so auch Fehler passieren können. „Man muss Rahmenbedi­ngungen schaffen, damit man, wenn man schnell entscheide­n muss, auch schnell entscheide­n kann.“Und eine solche Flexibilit­ät sei eigentlich ebenfalls im Projektman­agement angebracht.

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Was die Wirtschaft aus Berufsfeld­ern wie Rettung oder Feuerwehr, die ständig mit dem Unvorherse­hbaren rechnen müssen, lernen kann, ergründen Forscher in Wien.

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