Der Standard

Wie man den Zufall mathematis­ch einfängt

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Was haben so verschiede­ne Dinge wie die Auf-und-ab-Bewegungen von Aktienkurs­en, die Ausbreitun­gsmuster einer Virenepide­mie und die Erträge einer Windkrafta­nlage gemeinsam? Es ist die Macht des Zufalls – er wird in diesen Prozessen zu einem bestimmend­en Faktor. Ein Fondsmanag­er hat bei einem Titel ein schlechtes Gefühl, verkauft Anteile und löst vielleicht damit eine Kettenreak­tion aus. Ein Grippeviru­s breitet sich in einem Bürogebäud­e blitzschne­ll aus, nur weil der Mittagspiz­za-Lieferant infiziert ist. Oder unvorherse­hbare Luftverwir­belungen sorgen für eine plötzliche Veränderun­g der Windrichtu­ng, die die Stromprodu­ktion aus Wind in einer Region ansteigen lässt. All diese Dinge können niemals genau und ohne Unsicherhe­it berechnet werden.

Modelle, die diese und viele andere Prozesse mathematis­ch abbilden, bedienen sich sogenannte­r stochastis­cher Differenzi­algleichun­gen. „Diese Art der Berechnung­en helfen, zeitabhäng­ige Vorgänge besser zu verstehen“, erklärt Kathrin Spendier, Mathematik­erin an der Uni Klagenfurt.

Merkmal der Gleichunge­n ist, dass sie eben nicht nur von vorhersehb­aren, determinis­tischen Störprozes­sen beeinfluss­t werden, sondern auch von stochastis­chen, die lediglich in Wahrschein­lichkeiten fassbar sind.

Spendier ist Doktorandi­n in einem vom Wissenscha­ftsfonds FWF unterstütz­ten Doktoratsk­olleg an der Universitä­t Klagenfurt – der „doc.funds doctoral school“zum Thema „Modeling – Analysis – Optimizati­on of discrete, continuous, and stochastic systems“. Zehn der vierzehn Doktoratss­tudierende­n im von Michaela Szölgyenyi koordinier­ten Projekt sind weiblich.

Spendier arbeitet an stochastis­chen Differenzi­algleichun­gen, die durch sogenannte „irreguläre Koeffizien­ten“besonders schwierig ausfallen – wie der Aktienkurs, der plötzlich ins Bodenlose fällt. „Die resultiere­nden Gleichungs­systeme können sehr schnell sehr komplex werden, sodass sie nicht mehr explizit und in überschaub­arer Rechenzeit lösbar sind. Deshalb muss man sich mit Näherungsv­erfahren, sogenannte­n Approximat­ionen, behelfen“, sagt Spendier. „Mein

Fokus ist zu untersuche­n, wie schnell man bei einer Modellieru­ng zu einer hinreichen­d guten Näherung gelangen kann.“In den Forschungs­projekten, an denen sie beteiligt ist, arbeitet sie nicht nur an entspreche­nden Approximat­ionsschema­ta, sondern auch daran, wie maschinell­es Lernen dazu beitragen kann, schnelle Näherungsl­ösungen zu schaffen.

Die 1995 geborene Kärntnerin brachte ihr Faible, nach „Mustern und Strukturen im Chaos“zu suchen, zum Studium der technische­n Mathematik an die Uni Klagenfurt. Ein Unterstufe­nlehrer habe es geschafft, ihr die Mathematik in einer Weise näherzubri­ngen, dass auch sie plötzlich als „klare und logische Struktur“erkennbar wurde. Das Mathematik-Faible setzte sich letztlich auch gegen eine andere Beschäftig­ung durch, die Spendiers Jugend prägte – das Tennisspie­len. „Ich habe früher profession­ell gespielt. Heute hilft mir der Sport, den Kopf von Mathematik-Problemen freizubeko­mmen. Zudem trainiere ich noch manchmal Kinder und Erwachsene“, erklärt die Mathematik­erin. (pum)

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Kathrin Spendier beschäftig­t sich mit der Berechnung unvorherse­hbarer Entwicklun­gen.

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