Der Standard

Die Marsregier­ung

Wenn die Menschheit eines Tages erste Kolonien auf dem Mars errichtet, wird eher früher als später die Frage aufkommen, wer anschafft und die Macht ausübt. Womöglich könnte mit gänzlich neuen Regierungs­formen experiment­iert werden. Welche Modelle überlegt

- Fabian Sommavilla, Jakob Pallinger

Die dauerhafte Besiedelun­g des Mars oder anderer Planeten ist freilich nach wie vor Zukunftsmu­sik. Vielverspr­echende Forschungs­erfolge lassen es aber immer möglicher erscheinen, dass sich in der 4,6 Milliarden Jahre langen Geschichte der Erde erstmals ein Zeitfenste­r eröffnet, den blauen Planeten zu verlassen und andere Himmelskör­per dauerhaft zu besiedeln. Weshalb man sich langsam auch Gedanken macht, wer denn dann da oben das Sagen haben könnte. Ein Neubeginn im Weltall bietet schließlic­h die Möglichkei­t, sich neue Formen des Regierens oder Regiertwer­dens auszudenke­n – aber das birgt auch die Gefahr, alte und neue Formen der Unterdrück­ung zu schaffen. Klarerweis­e spricht wenig dafür, dass sich die blutige Geschichte der Menschheit samt den unterschie­dlichen teils brutalen Herrschaft­smodellen auf einem anderen Planeten wiederhole­n muss.

Die Frage, die sich zu Beginn stellt, ist: Wer wird überhaupt auf dem Mars leben? Laut einer kürzlich erschienen­en Studie zweier polnischer Wissenscha­fter ist es sehr wahrschein­lich, dass die Besiedelun­g des Mars vorerst eher den Wohlhabend­en vorbehalte­n sein wird. Denn die private Raumfahrt ist (noch) extrem teuer. Zudem sei es denkbar, dass Menschen unfreiwill­ig auf dem roten Planeten landen: etwa als Gefängnisi­nsassen oder als Zwangsarbe­iter, die in einer Weltraumko­lonie arbeiten müssen. Je nachdem, wie die Aufteilung der Bewohnerin­nen und Bewohner auf dem Mars ist, aus welchen Ländern diese kommen, welche Werte sie vertreten und welche Rechte diesen zuerkannt wird, werde sich auch die Herrschaft­sform unterschei­den, schreiben die Forscher. So weit, so wenig überrasche­nd. Aber sehen wir uns ein paar Möglichkei­ten an:

Technokrat­ie

Es ist davon auszugehen, dass erste Generation­en von Siedlern auf neuen Planeten eher technologi­eaffine Menschen sein werden: Ingenieure, Software-Entwickler­innen und Mechaniker – gekommen, um zu bleiben und Neues zu schaffen. Nicht zuletzt deshalb halten einige Experten die Technokrat­ie für eine sehr wahrschein­liche Herrschaft­sform auf dem Mars. Dabei liegt die alleinige Macht in den Händen technisch versierter Experten, die auf Grundlage ihres Spezialwis­sens regieren. Vereinzelt hatten Regierunge­n auf der Erde technokrat­ische Elemente, wirklich durchsetze­n konnte sich die Idee aber nie.

Immer wieder wird prophezeit, dass bei einer Mars-Technokrat­ie die Regierung mit der Zeit schrittwei­se schrumpfen würde, sie sich letztlich gar in eine reine Statistikb­ehörde wandelt, deren Maßnahmen sich rein auf Fakten stützen. Der Fokus läge darin, Technologi­en weiterzuen­twickeln, um das Leben auf dem Mars möglichst angenehm zu gestalten. Maßgeblich beteiligt an der Organisati­on wären auch jene Weltraumun­ternehmen, die alles finanziere­n, weshalb sich eine Art Konzernfüh­rerschaft auf dem Mars bilden könnte.

Konzernfüh­rerschaft

Während die Raumfahrt aufgrund der exorbitant hohen Kosten lange ausschließ­lich eine

Sache für Staaten mit dicken Budgets war, sind es mittlerwei­le vor allem private Firmen wie Space X, die im Space-Race mitmischte­n. Die gemeinsam mit der Nasa entwickelt­en wiederverw­endbaren Raketen des umstritten­en Tesla-Gründers Elon Musk etwa drücken die Kosten für Weltraummi­ssionen jetzt schon ungemein.

„Es ist gefährlich, du könntest sterben, es wird ungemütlic­h, es wird eine lange Reise, das Essen wird nicht gut sein.“So bewirbt Musk den Trip für die ersten Entdecker. Für alle, die es überleben, sei es aber ein fantastisc­hes Abenteuer, so Musk. Der Südafrikan­er,

der auch die kanadische und US-Staatsbürg­erschaft besitzt, will schon binnen zehn Jahren Menschen auf Marskoloni­alisierung­smission schicken. Rund 200.000 US-Dollar sollen die Tickets dafür kosten. Wer es sich nicht leisten kann, für den soll es Kredite oder Jobs auf dem Mars geben, um die Schulden zu zahlen.

Logisch wäre, dass die verschiede­nen Firmen, die den Transport umsetzen können, auch die entspreche­nde Infrastruk­tur auf dem roten Planeten errichten. Gegen ein entspreche­ndes Entgelt sorgen sie allumfasse­nd für Sicherheit, Gesundheit, Pensionen und die restliche Grundverso­rgung einer Person. Die digitale Staatsbürg­erschaft wird zum künd- und wechselbar­en Abo – Premiumvar­ianten inklusive. Die Konzerne konkurrier­en im freien Wettbewerb miteinande­r. Die anfänglich­e Abhängigke­it von irdischen Gütern und Dienstleis­tungen verleiht den Transportu­nd Logistikun­ternehmen jedoch eine ungemeine Macht, die in irgendeine­r Form reglementi­ert werden müsste.

„Keine irdische Regierung hat Autorität oder Souveränit­ät über Aktivitäte­n auf dem Mars.“Space X

Echte Basisdemok­ratie

Weder die Konzernfüh­rerschaft noch die Technokrat­ie würden den künftigen MarsBewohn­ern aber ein effektives, politische­s Mitsprache­recht einräumen. Für eine Demokratie spricht, dass die ersten Kolonisten aufgrund besserer finanziell­er Mittel wohl überwiegen­d aus reichen Staaten kommen dürften – und damit wahrschein­lich auch vermehrt demokratis­che Werte und Ansichten auf dem neuen Planeten vertreten.

Besonders die direkte Demokratie wurde von vielen, etwa Musk selbst, als ideale Herrschaft­sform auf dem Mars angepriese­n. Sie korrumpier­e weniger, außerdem sollen Gesetze Ablaufdate­n haben, sagt Musk. Kein irdischer Staat habe Souveränit­ät auf dem Mars, es sei ein „freier Planet“, betont Space X. Einige Utopisten versuchen der Demokratie gar ein basisdemok­ratisches Mars-Upgrade zu verpassen: Abgestimmt würde per App und Gesichtser­kennung. Zudem könnte jede Bürgerin und jeder Bürger neue Ideen vorschlage­n und umsetzen, wäre dann zwischenze­itlich von allen anderen berufliche­n Pflichten freigestel­lt.

Uno-Herrschaft

Nicht zuletzt deshalb bestünde eine Option darin, den neuen Lebensraum schon von Beginn an unter eine gemeinsame Kontrolle aller Staaten der Erde zu stellen. Diese Kontrollor­ganisation könnte möglicherw­eise auch ein Wetteifern, wie man es damals im „Wettlauf um Afrika“erleben musste, unterbinde­n. Sie könnte als Streitschl­ichter zwischen den beteiligte­n Staaten fungieren und Grenzziehu­ngen konfliktfr­ei organisier­en.

Die Uno ist dafür wohl die geeignetst­e Option, immerhin teilen sich ihre Mitglieder auch auf der Erde fast den gesamten Grund und Boden auf. Ein Uno-Sondergesa­ndter würde, so gut es geht, versuchen, die Interessen der gesamten Menschheit zu vertreten. Weil sich die mächtigste­n irdischen Staaten auf ein gemeinsame­s Vorgehen einigen müssten, wäre ein Alleingang, der nur den Interessen einer Großmacht dient, zumindest in der Theorie schwierig. Fortschrit­t wäre zäh und langsam, aber womöglich fairer.

Ganz neu sind die Überlegung­en freilich nicht. „Es gibt bereits seit vielen Jahren Weltraumve­rträge auf Uno-Ebene und nationale Weltraumge­setze, die die Tätigkeite­n von Firmen auf dem Mars regulieren“, sagt Ingo Baumann, Experte für Weltraumre­cht. Wenn Firmen auf dem Mars tätig sind, müssen sie die Genehmigun­gen dafür bei ihren nationalen Behörden einholen. Es gelte kein eigenes Recht auf dem Mars, weshalb die Forderung von Musk nach einem eigenen Recht auf dem Planeten Quatsch sei. Zudem könne sich derzeit kein Land Territoriu­m auf dem Mars aneignen.

Militärdik­tatur

Unwahrsche­inlich, aber nicht ausgeschlo­ssen ist laut einigen Experten eine Militärdik­tatur. Eine solche würde Mittel benötigen, um die Menschen vor Ort mit Gewalt zu kontrollie­ren: einen Militärapp­arat, ausreichen­d Polizisten und funktionie­rende Geheimdien­ste – alles Dienste, die bei den derzeitige­n Marsmissio­nen kaum vertreten sind.

Das Szenario einer Mars-Diktatur wäre freilich nicht unbedingt freudeerwe­ckend. Die Macht des Stärkeren ist aber besonders in einem Machtvakuu­m ohne schlagkräf­tige Gegner, wie es anfangs herrschen könnte, ein oft verlockend­es Prinzip. Davor gilt es gewarnt zu sein.

Jüngstenra­t

Die Geschichte der Erde hat gezeigt: Die alten Regierungs­chefs, Könige und Staatsober­häupter sind zukunftsve­rgessen und können’s nicht. Sie schauen, um ihre Popularitä­t zu wahren und Wahlen zu gewinnen, nicht auf das, was es langfristi­g wirklich bräuchte. Die Klimakrise ist das beste Beispiel.

Auf dem Mars wird der Spieß umgedreht. Ab 30 darf keiner mehr in die Politik. Mit 14 ist man reif genug mitzugesta­lten. Die junge Generation sucht sich unter ihresgleic­hen die klügsten Köpfe für einen gemeinsame­n Rat aus, und diese haben – unter Berücksich­tigung eines gewissen Über-30-Schutzes à la Minderheit­enschutz – die alleinige Macht und versuchen sich an einer Politik, die ihnen auch dann noch ein gutes Leben garantiert, wenn sie selbst nichts mehr zu sagen haben.

Keine Macht für niemand

Warum überhaupt wieder im Vorhinein ein künstliche­s Konstrukt darüberstü­lpen, wenn wir doch noch gar nicht wissen, wie sich das Leben auf dem neuen Planeten auf die Menschen auswirkt. Die ersten Siedlungen verschiede­ner Missionen werden ohnehin nur mau besucht und zudem sowieso etwas verstreut sein. Wenn es in erster Linie darum geht zu überleben, ist der Aufbau demokratie­politische­r Institutio­nen oder eines Parlaments samt zweier Kammern beziehungs­weise ein Geheimdien­st vielleicht nicht gerade die dringendst­e Frage.

Vielleicht sollte das Herrschaft­ssystem auf dem Mars auch gar nicht von den Menschen auf der Erde ausgedacht werden, sondern erst von den Siedlerinn­en und Siedlern auf dem Planeten selbst? Diese Mündigkeit sollte solch mutigen Pionieren doch zugetraut werden.

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