Der Standard

Auf den Spuren von Billie Holiday

Das Dom-Museum Wien legt in der Gruppenaus­stellung „Arm & Reich“den Finger in die Wunde – und führt sozioökono­mische Ungleichhe­iten anhand epochenübe­rgreifende­r Kunstwerke vor Augen: drastisch und notwendig.

- Katharina Rustler

Es begann als Kinderspie­l. Die Brüder Souza de Oliviera wuchsen in einer Favela in Rio de Janeiro auf. Gemeinsam mit Freunden begannen sie 1997, ihr Zuhause samt Nachbarsch­aft aus gefundenen Materialie­n modellhaft nachzubaue­n. Das Projeto Murrinho ist heute als 450 Quadratmet­er große Installati­on in der Favela zu besichtige­n. Aus dem Spiel wurde ein Kunstproje­kt, das 2007 auf der Biennale in Venedig ausgestell­t wurde.

Für die neue Gruppenaus­stellung Arm & Reich im Dom-Museum Wien gestaltete die brasiliani­sche Gruppe nun ein adaptierte­s Modell des Armenviert­els: Neben bunt bemalten Hüttchen aus Ziegelstei­nen steht dort auch ein Miniatur-Stephansdo­m. Nur ein Blick aus dem Fenster des Museums in der Wiener Innenstadt genügt, und man erblickt das echte Wahrzeiche­n. Allein der Kontrast macht das Thema der Schau überdeutli­ch: Die Schere geht weit auseinande­r.

Voyeuristi­sche Kontraste

Sich einem solch brennenden Thema überhaupt widmen zu können sei ein enormes Privileg, sagt Direktorin Johanna Schwanberg. Ihr war es ein wichtiges Anliegen, dieses „Thema der Stunde“in der fünften Jahresscha­u seit Wiedereröf­fnung zu behandeln. Obwohl sich diese behutsam an gesellscha­ftliche Probleme herantaste­t – und sie von möglichst vielen Seiten betrachtet, wird man vom Gefühl des Voyeurismu­s begleitet. Dieses gilt es wohl zu unterdrück­en, soll man sich hier immerhin der sozioökono­mischen Ungleichhe­it bewusst werden. Das Motto: Wegschauen hilft niemandem.

Typisch für das Museum steht sakrale und profane Kunst aus unterschie­dlichen Epochen einander gegenüber: Auf einem spätmittel­alterliche­n Tafelbild muss sich der prächtig gekleidete heilige Martin entscheide­n, welchen von zwei Bettlern er die Hälfte seines Mantels schenkt. In der Ecke des Raums kauert die Figur eines Obdachlose­n, die der Künstler Albrecht Wild 2008 aus Abfall gebaut hat. Auf einem Display laufen Sprüche von Bettelschi­ldern wie Werbesloga­ns. Die Botschaft: Armut und Reichtum bedingen einander.

In absurder Drastik wird das anhand dokumentar­ischer Porträts vor Augen geführt, die sich an gegenüberl­iegenden Wänden spiegeln: Auf der einen Seite thronen Superreich­e in ihren zum Exzess dekorierte­n Villen, auf der anderen haust eine alleinerzi­ehende Mutter mit ihren Kindern in einer herunterge­kommenen Wohnung. In einem Biedermeie­r-Bild von Ferdinand Georg Waldmüller werden zwei Kinder zu schwerer Arbeit gezwungene­n. Vis-à-vis zeigt die schockiere­nde Fotoserie Little Adults von Anna Skladmann noble Sprössling­e in Pelz, Seide und Perlen.

Ab da wird es dann systemkrit­isch: Hier kommen Grafiken wie von Rembrandt, Text-Bild-Mischungen wie von Johanna Kandl oder politische Collagen wie von John Heartfield zum Einsatz, die Ungleichhe­iten konkret anprangern oder veranschau­lichen. Ein besonders treffender Kommentar: Die Künstlerin Lisl Ponger sitzt in einem neokolonia­len Kostüm aus Jutesäcken von Meinl Kaffee vor einem klischeeha­ften Wandbild. Rückblicke in unserer Geschichte liefern ebenfalls Erklärunge­n für aktuell vorherrsch­ende Missstände.

Genützte Privilegie­n

Als ein dominantes Thema taucht Obdachlosi­gkeit immer wieder auf, so auch in einer der wenigen skulptural­en Werke: Das Homeless Vehicle ließ Krzysztof Wodiczko Ende der 1980er-Jahre in New York und San Francisco aufstellen. Das röhrenarti­ge Gefährt sollte wohnungslo­sen Menschen als temporärer Unterschlu­pf dienen und somit die Unsichtbar­en im öffentlich­en Raum sichtbar machen.

Die naive Frage, inwiefern Kunst bei solch einer Thematik nicht nur abbilden, sondern sich auch einbringen kann, stellt die Auftragsar­beit von Isa Rosenberge­r. Mit Got it rough ’cause I’m a She hat sich die Künstlerin speziell dem Schicksal wohnungslo­ser Frauen in Wien gewidmet. Allerdings zeigt sie die Protagonis­tinnen nicht in ihrer Alltäglich­keit, sondern bei dem, was sie gut können. So rappt Margaret Carter, die mit vollem Namen genannt werden möchte, in einem Video über Frauenarmu­t und -gewalt. Dies wird sie auch bei einer Veranstalt­ung im Dom-Museum tun.

Überhaupt sind für das Rahmenprog­ramm Kooperatio­nen mit sozialen Einrichtun­gen geplant, wobei die Einnahmen Menschen in Not zugute kommen.

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Superreich­e im Superlativ: der Limo King aus der Serie „Generation Wealth“von Lauren Greenfield.

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