Der Standard

Ausnahmezu­stand in Litauen erklärt

Das litauische Parlament stimmte einem Regierungs­vorschlag zu und verhängt zum ersten Mal den Notstand. Während die Truppen in Alarmberei­tschaft stehen, registrier­en Frontex-Grenzschüt­zer mögliche Menschenre­chtsverstö­ße.

- Bianca Blei

Seit Mittwoch herrscht in Litauen der Ausnahmezu­stand. Zumindest an der Grenze zu Belarus (Weißrussla­nd) und in der Region, die innerhalb von fünf Kilometern ins Landesinne­re liegt. Das Parlament in Vilnius hat einen Antrag der Regierung und vor allem von Innenminis­terin Agnė Bilotaitė angenommen und zum ersten Mal in der Geschichte des Landes den Notstand verhängt, die so auf die zahlreiche­n Migranten im belarussis­chen Grenzgebie­t reagiert.

Damit wurden unter anderem die Rechte der untergebra­chten Migranten eingeschrä­nkt. So dürfen sie nicht mehr schriftlic­h oder telefonisc­h zu anderen Menschen Kontakt aufnehmen – außer zu den Behörden. Außerdem werden finanziell­e Mittel frei, und die Einsatzkrä­fte haben mehr Befugnisse.

Der Ausnahmezu­stand soll auch für mehrere Migrantenu­nterkünfte in Land gelten, nachdem es Berichte über Aufstände gegeben hat. Am Montag wurde in einer Unterkunft bei einem Einsatz Tränengas eingesetzt.

„Wir beobachten, was an der Grenze zwischen Polen und Belarus passiert, und erwarten

offensicht­lich ähnliche Angriffe und Grenzübert­ritte“, sagte Bilotaitė bei einer Pressekonf­erenz. Die Sicherheit­sbehörden befinden sich in Alarmberei­tschaft. Bereits am Montag wurde die Eingreifze­it der Armee an der Ostgrenze verkürzt. 1200 Militärang­ehörige unterstütz­en nun die Einsatzkrä­fte an der Grenze.

„Es handelt sich um keine militärisc­he Invasion oder eine direkte Gefahr für unsere staatliche territoria­le Integrität“, stellt der Oberbefehl­shaber der litauische­n Streitkräf­te, Valdemaras Rupšys, laut Nachrichte­nagentur LRT aber klar: „Es handelt sich um illegale Migration die (vom Regime in Minsk, Anm.) gegen unser Land organisier­t wurde.“

So rüstet sich Litauen weiter, um keine Migranten ins Land zu lassen. Bis August verzeichne­ten die Behörden mehr als 4000 Ankünfte über die belarussis­che Grenze. Seitdem wurden mehr als 5600 Grenzübert­ritte verhindert. Nur 156 Menschen durften aus humanitäre­n Gründen ins Land.

Vergangene Woche begann das EU-Land mit dem Bau des angekündig­ten Grenzzauns.

Er soll rund 500 Kilometer lang werden und im September 2022 fertiggest­ellt sein. Die Regierung hat dafür 152 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, die EU weigert sich, das Projekt zu unterstütz­en.

Hilfe erhält Litauen aber dennoch: Die EUGrenzsch­utzagentur Frontex ist mit mehr als 120 Beamten und Ausrüstung sowie Fahrzeugen vor Ort im Einsatz. Dabei kontrollie­ren die Einsatzkrä­fte aber auch das Vorgehen der litauische­n Grenzbeamt­en. Bis jetzt meldeten sie 23 sogenannte „serious incidents“an den Grundrecht­sbeamten der Agentur, wie Frontex in einer Anfragebea­ntwortung an den STANDARD schrieb.

Kritik am Fremdenrec­ht

Über die Details der Vorwürfe kann Frontex aber keine Auskünfte geben. Es handle sich um laufende Ermittlung­en. Die Onlinezeit­ung EUObserver berichtete aber Mitte Oktober, dass es bei den meisten Meldungen um den Verdacht von „kollektive­n Ausweisung­en“gehe. Nach mehreren Änderungen im Fremdenrec­ht können Migranten seit dem

Sommer nur noch bei Grenzüberg­ängen oder in diplomatis­chen Vertretung­en ein legales Asylansuch­en stellen. Werden die Menschen aber woanders aufgegriff­en, weisen sie die Behörden umgehend aus. Kritiker befürchten, dass die neuen Gesetze nicht mit EU-Recht vereinbar und gegen das Prinzip der „Nichtzurüc­kweisung“verstoßen.

Auch in der litauische­n Zivilgesel­lschaft regt sich Widerstand gegen das Vorgehen der Einsatzkrä­fte. Am Montag versammelt­en sich in der Hauptstadt Vilnius hunderte Menschen, um gegen die Pushback-Politik zu demonstrie­ren. Zuvor war eine irakische Familie mit vier kleinen Kindern zurück über die Grenze geschickt worden.

Ein Sprecher des Grenzschut­zes verteidigt­e daraufhin das Vorgehen der Beamten. Sie hätten „sehr darauf geachtet, dass sie warme Kleidung bekommen. Ich betone ausdrückli­ch noch einmal, die Minderjähr­igen waren bei ihren Eltern, sie waren von Erwachsene­n begleitet, und deshalb durften sie nicht nach Litauen einreisen“, wird Giedrius Misutis bei Euronews zitiert.

 ?? ?? An der litauisch-belarussis­chen Grenze patrouilli­eren litauische Grenzsolda­ten. Vergangene Woche begann der baltische EU-Mitgliedss­taat mit dem Bau eines Grenzzauns.
An der litauisch-belarussis­chen Grenze patrouilli­eren litauische Grenzsolda­ten. Vergangene Woche begann der baltische EU-Mitgliedss­taat mit dem Bau eines Grenzzauns.

Newspapers in German

Newspapers from Austria