Antisemitismus in Europa verbreitet, doch schwer fassbar
Europäische Grundrechteagentur beklagt mangelhafte Datenerhebung zu antisemitischen Vorfällen innerhalb der EU
Wien – 83 Jahre nach den Novemberpogromen des Jahres 1938 ist Antisemitismus in Europa noch immer ein im Alltag präsentes Thema – in welchem Ausmaß der Hass gegen Juden das gesellschaftliche Zusammenleben in der EU belastet, ist aufgrund einer lückenhaften und uneinheitlichen Datenerfassung antisemitischer Vorfälle in der EU nicht abzuschätzen.
Dies beklagt jedenfalls die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) in ihrem zum Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November veröffentlichten Antisemitismus-Bericht. Jedes Land verwende eigene Definitionen und Sammelmethoden, heißt es. Dies verunmögliche einen internationalen Vergleich der Daten, schreibt die Grundrechteagentur.
Definitionsfrage
In dem Bericht werden Daten antisemitischer Vorfälle in den 27 EU-Mitgliedsstaaten plus Serbien, das Beobachterstatus hat, analysiert. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von 2010 bis 2020. Grundlegendes Problem sind dabei die unterschiedlichen Definitionen von Antisemitismus und die divergierenden Erhebungsmethoden in den einzelnen Staaten.
In manchen Ländern werden erst gar keine Daten erhoben, während andere ihre Statistiken auf die Informationen
verschiedener Nichtregierungsorganisationen stützen. Daher kann keine vergleichende Statistik erstellt werden.
Hervorgehoben wird, dass mehrere Staaten wie auch Österreich mittlerweile die AntisemitismusDefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) anwenden und so für mehr Vergleichbarkeit sorgen.
Mit Blick auf Österreich werden die Zahlen der Verfassungsschutzberichte zitiert, in denen Antisemitismus ausschließlich unter dem Bereich Rechtsextremismus abgehandelt werden. Islamisch motivierte antisemitische Vorfälle bleiben dabei ausgeblendet. Außerdem finden sich in dem Bericht gesammelte Daten des „Forums gegen Antisemitismus“und der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde.
Während sich die offiziellen Zahlen des Innenministeriums im Bereich einiger Dutzend bewegen und 2014 mit 58 Vorfällen den Höhepunkt erreichten, führen FGA und IKG klar höhere Zahlen an, die vor allem nach 2014 auf mehrere Hundert Fälle pro Jahr stiegen. 2020 wurde mit 585 ein Höchstwert erreicht, wobei auch antisemitische Texte im Internet zu den Vorfällen gezählt wurden. Physische Angriffe bewegen sich jedes Jahr im einstelligen Bereich. (red, APA)