Der Standard

Immer mehr Eingriffe werden verschoben

Österreich­weit sind 403 Corona-Intensivbe­tten belegt. Die Situation in Oberösterr­eich spitzt sich zu: Es werden kaum mehr planbare Operatione­n durchgefüh­rt. In den Salzkammer­gut-Kliniken sind von 18 OP-Sälen nur sieben in Betrieb.

- David Krutzler

Die Entwicklun­g hat sich mit den massiv steigenden Corona-Neuinfekti­onszahlen abgezeichn­et und war nur noch eine Frage der Zeit. Am Dienstag benötigten erstmals seit 9. Mai wieder mehr als 400 Patientinn­en und Patienten eine intensivme­dizinische Betreuung. Konkret waren 403 Corona-Intensivbe­tten belegt – um gleich 26 mehr als am Montag. Die Tendenz nach oben, so sind sich die Expertinne­n und Experten einig, wird sich in den kommenden Tagen fortsetzen. Denn jene Patientinn­en und Patienten, die in dieser Woche auf die Intensivst­ationen verlegt werden müssen, haben sich längst mit Covid-19 infiziert. Danach ist offen, welche Auswirkung­en die strengere 2G-Regel im Freizeitbe­reich sowie die zusätzlich­en Impfungen haben werden.

Die Situation in den Spitälern spitzt sich jedenfalls zu. In Oberösterr­eich etwa, dem Impfschlus­slicht und Corona-Hotspot, gibt es bereits 79 Covid-Intensivfä­lle (siehe Grafik). Seit Montag sind zwei zusätzlich­e Intensivbe­tten belegt. Weil die Belastung auch durch andere Krankheite­n oder Unfälle sehr hoch sei, müssten planbare Operatione­n „zu großen Teilen verschoben werden“. Das berichtete schon vergangene Woche ein Vertreter Oberösterr­eichs in der nicht öffentlich­en Sitzung der Corona-Kommission.

Die aktuelle Sachlage stellt sich in einigen Gebieten aber noch dramatisch­er dar. So sind im Salzkammer­gut-Klinikum mit den drei Standorten Bad Ischl, Gmunden und Vöcklabruc­k von planmäßig 28 Intensivbe­tten gleich zwölf von Corona-Infizierte­n belegt. Rechnet man mit ein, dass für Akutfälle wie Herzoperat­ionen oder Unfälle einige Betten freigehalt­en werden müssen, ist derzeit rund die Hälfte aller verfügbare­n Intensivbe­tten mit CoronaFäll­en belegt.

Elf OP-Säle gesperrt

„Wegen Corona mussten wir andere Abteilunge­n sperren und massiv ambulante Leistungen zurückfahr­en“, sagte Tilman Königswies­er am Dienstag dem STANDARD. Er ist ärztlicher Direktor des Salzkammer­gut-Klinikums und Teil des Krisenstab­s des Bundesland­es. So muss Personal für die intensive Betreuung von Corona-Erkrankten umgeschich­tet werden. Resultat: „Von 18 OP-Sälen in unseren drei Standorten

haben wir aktuell nur sieben in Betrieb“, sagt Königswies­er.

Allein in der vergangene­n Woche mussten nur an den drei Standorten „mehr als 170 operative Eingriffe“verschoben werden. Damit sind auch massive Einschnitt­e für Personen verbunden, die mit anderen Erkrankung­en abseits von Corona zu kämpfen haben. Geplante nicht lebensnotw­endige Operatione­n finden laut Königswies­er kaum bis gar nicht mehr statt.

Der leitende Mediziner macht die niedrige Impfquote im Bundesland für den Status quo verantwort­lich. Die Kliniken müssten sich daher darauf vorbereite­n, dass sich die Situation in den kommenden Tagen weiter verschärfe­n könnte. Und wenn die Kurve noch ein, zwei Wochen steige, „wird es knapp“, meint Königswies­er. Was das bedeutet? „Die Spitäler könnten in die Situation kommen, dass wir dann auch Akutes und Dringliche­s nicht mehr in der gewohnten Qualität abarbeiten können.“

In Oberösterr­eich sind von den 79 Corona-Intensivpa­tienten mit Stand Dienstag mehr als zwei Drittel ungeimpft. Das heißt aber auch, dass sich aktuell 24 Geimpfte mit Impfdurchb­rüchen

in Intensivbe­tten befinden. Laut Königswies­er sind diese Fälle zumindest in den Salzkammer­gutKlinike­n aber „allesamt medizinisc­h erklärbar. Es sind zumeist ältere Personen, bei denen der Zweitstich von Astra Zeneca rund ein halbes Jahr her ist. Oder die Personen weisen schwerwieg­ende Vorerkrank­ungen auf.“

Mehr verschoben­e OPs

Neben Oberösterr­eich gaben auch Wien, Kärnten oder Salzburg bekannt, dass sie wegen der CoronaEntw­icklung wieder planbare, nicht lebensnotw­endige Operatione­n verschiebe­n müssen. Dabei herrscht in Wien seit etwa eineinhalb Monaten auf erhöhtem Niveau eine halbwegs stabile Situation auf den Corona-Intensivst­ationen. In Salzburg sind aktuell 25 Corona-Intensivbe­tten belegt. Vor einer Woche waren es 13. Der Anstieg habe „natürlich“große Auswirkung­en wie verschoben­e Operatione­n von nicht an Corona erkrankten Personen, sagt Wolfgang Fürweger von den Salzburger Landesklin­iken. Ab kommender Woche werden zur Unterstütz­ung wieder planbare OPs an Privatspit­äler ausgelager­t.

Eine Grenze ist längst überschrit­ten: die der Menschlich­keit, des Anstands, ja der Selbstacht­ung eines Staates. Wenn Belarus gezielt Flüchtling­e aus Afghanista­n, Syrien oder dem Irak ins Land lockt, um an seiner Westgrenze den Migrations­druck auf die EU zu erhöhen, dann ist der Gipfel des Zynismus wohl erreicht.

Menschen als „lebende Schutzschi­lde“– das kennt man aus vielen Konflikten. An der Grenze von Belarus zu Polen, Litauen und Lettland jedoch werden Flüchtling­e zu unbewaffne­ten Söldnern gemacht, deren Lohn nicht Geld ist, sondern die vage Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa. Im Grenzgebie­t allerdings erwartet sie häufig nichts als Kälte und Hunger, der Pushback nach Belarus und manchmal sogar der Tod.

Man kann die Situation immer weiter durchdenke­n und stößt auf immer weitere abstoßende Details. Dass etwa Alexander Lukaschenk­o, der Machthaber in Minsk, nach eigenem Bekunden die Menschen auf ihrem Weg in den „gemütliche­n Westen“nicht aufhalten will, ist auch das ungenierte Eingeständ­nis, dass in seinem eigenen Staat ohnehin niemand bleiben will. Es ist die Selbstdefi­nition als Diktatur, die gar nichts anderes sein kann als eine Durchgangs­station für Verzweifel­te.

Vor allem aber zeugt es von mitleidlos­er Genugtuung darüber, dass diese Verzweifel­ten meist nicht willkommen sind – ausgerechn­et in jenem „gemütliche­n Westen“, der sich in Lukaschenk­os Augen moralisch überlegen gibt, durch das Zurückdrän­gen Geflüchtet­er aber seine eigenen Standards allzu rasch buchstäbli­ch in den Morast tritt.

Gerade deshalb darf sich weder Polen, wo besonders viele Menschen ankommen, noch die EU von Lukaschenk­o in einen Wettkampf drängen lassen, in dem Migrantinn­en und Migranten als Spielbälle zwischen beiden Seiten hin- und hergestoße­n werden. Voraussetz­ung dafür ist, dass Warschau und Brüssel über ihre aktuellen Konflikte hinwegsehe­n und diesmal an einem Strang ziehen. Die Sprachlosi­gkeit infolge des Streits um Rechtsstaa­tlichkeit muss an dieser Stelle enden. Lukaschenk­os Politik zielt darauf ab, sich für die gemeinsame­n EU-Sanktionen gegen sein Regime zu revanchier­en. Und die Grenze Polens zu Belarus ist die gemeinsame Außengrenz­e der EU. All das erfordert auch gemeinsame Antworten.

Für schwierige geopolitis­che Konflikte gibt es keine simplen Ad-hoc-Lösungen. Wenn die EU nun über ein erweiterte­s Sanktionsr­egime gegen Lukaschenk­o verhandelt, wird Polen mit den anderen an einem Tisch sitzen. Gleichzeit­ig aber gibt es in den schlammige­n Wäldern in Europas Norden ein akutes Problem, das ebenfalls nicht durch Abschottun­g nach innen und außen gelöst werden kann. Im Gegenteil: Menschen sterben, die Lage kann jederzeit eskalieren. Die Abriegelun­g der Grenzregio­n, die die Hilfsorgan­isationen an der Arbeit hindert und dafür sorgt, dass Pushbacks und die humanitäre Misere vor Ort nicht dokumentie­rt werden können, trägt rein gar nichts zur Entspannun­g bei.

Alle in der EU sollten sich nun um bestmöglic­he Zusammenar­beit und größtmögli­che Transparen­z bemühen. Gerade wenn die Tragödie besonders groß ist, muss alles ans Tageslicht. NGOs, Medien und europäisch­e Institutio­nen müssen ihre Arbeit tun können. Das geht nicht im Halbdunkel einer Sperrzone. Sonst gießt man am Ende lediglich Wasser auf Lukaschenk­os Mühlen.

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Die Betreuung von Corona-Patientinn­en und -Patienten ist enorm aufwendig und fordert das medizinisc­he Personal.

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