Der Standard

„Alles deutet auf weniger Wolken hin“

Caroline Muller untersucht, wie sich steigende Temperatur­en auf Niederschl­agsextreme auswirken. Als erste Klimawisse­nschafteri­n am IST Austria ermöglicht sie genauere Vorhersage­n des Klimawande­ls.

- INTERVIEW: Katharina Kropshofer

Welche physikalis­chen Vorgänge sind für die Bildung von Wolken verantwort­lich? Wie reagiert der Wasserkrei­slauf auf die globale Erwärmung? Das sind zentrale Forschungs­fragen von Caroline Muller. Die Mathematik­erin und Raumfahrtt­echnikerin forschte unter anderem in New York, Princeton und Paris, bevor sie kürzlich ans Institute for Science and Technology (IST) Austria in Klosterneu­burg wechselte.

STANDARD: Wieso sind manche Phänomene der Klimakrise einfacher vorherzusa­gen als andere?

Muller: Phänomene, die eine breitere Region betreffen, sind leichter vorauszusa­gen. Zum Beispiel wie sich die Temperatur in den Tropen verändert. Bei allem, was sehr spezifisch wird – etwa die Temperatur in Wien für das Jahr 2100 –, ist das schwierig. Auch Extreme sind schwer vorherzusa­gen. Zum Beispiel wie viele Niederschl­agsextreme oder Dürren es in einer wärmeren Welt geben wird.

STANDARD: Was macht es so schwer?

Muller: Extreme Events sind per definition­em selten – zum Glück. Deshalb haben wir auch weniger Daten. Nehmen wir tropische Wirbelstür­me: Daten dazu gibt es erst seit den 1980er-Jahren, als globale Satelliten­daten verfügbar wurden. Die gute Nachricht ist, dass wir immer mehr Daten zur Verfügung haben.

STANDARD: Sie arbeiten an sogenannte­n Klimamodel­len mit grober Auflösung. Welche Lücken kann man damit füllen?

Muller: Wir nehmen Daten über das aktuelle Klima und versuchen, Aussagen über die Zukunft zu treffen. Dafür verwenden wir mathematis­che Gleichunge­n, die die Bewegung von Flüssigkei­ten beschreibe­n. Die Atmosphäre, die Ozeane – sie haben zwar ihre Eigenheite­n, aber am Ende des Tages verhalten sie sich nicht anders als Wasser in der Badewanne. Wir verwenden diese Gleichunge­n in Klimamodel­len und berechnen so verschiede­ne Szenarien. Abhängig davon, wie viel Treibhausg­ase wir in Zukunft noch emittieren.

STANDARD: In Ihrer Forschung geht es auch um Wolken. Was verraten sie uns darüber, wie sich unser Klima verändert?

Muller: Wolken sind extrem wichtig, weil sie mit dem Energiebud­get der Erde interagier­en. Die Erde erhält Energie von der Sonne, manches wird von Eis oder anderen weißen Flächen reflektier­t und gelangt so wieder ins All. Liegt eine Wolke dazwischen, hat das zwei Effekte: Sie blockt die Sonne und die einfallend­e Strahlung, aber auch die thermale Strahlung, die vom Boden rückreflek­tiert wird. Das ist wichtig, um ein Equilibriu­m im Energiebud­get zu erreichen. Die Frage ist, wie Wolken auf mehr Treibhausg­ase reagieren. Es gibt noch keinen wissenscha­ftlichen Konsens, aber im Moment deutet leider alles darauf hin, dass es weniger Wolken geben wird – und somit ein positives Feedback, also mehr

Erwärmung. Ich interessie­re mich auch dafür, ob und wie Wolken im Raum verteilt sind. Sehr oft ist das nicht beliebig, sie reihen sich

in Linien oder Kreisen aneinander.

STANDARD: So wie tropische Wirbelstür­me. Wie werden sie geformt?

Muller: Dafür braucht es drei Zutaten: warme Ozeane, denn sie ziehen ihre Energie aus Verdunstun­g; schwachen Wind in einer gewissen Höhe, weil sie eine robuste, vertikale Struktur brauchen; und genug Corioliskr­aft (ausgelöst durch die Drehung der Erde um die eigene Achse, Anm.). Sprich: Man muss mindestens 500 Kilometer vom Äquator entfernt sein. Manchmal trifft das alles zu, und es kommt trotzdem zu keinem Wirbelstur­m. Es gibt also noch viele unbekannte Faktoren.

STANDARD: In Sizilien sorgte vor kurzem der Sturm Apollo für heftige Unwetter – ein Medicane, also ein Sturmtief im Mittelmeer­raum. Sind sie verwandt?

Muller: Zu tropischen Wirbelstür­men gehört alles von Hurrikans zu Taifunen. Das gibt es auch außerhalb der Tropen, aber mit etwas anderen Eigenschaf­ten: Die Temperatur­en sind niedriger, die Corioliskr­aft stärker. Medicanes sind meist kleiner, können aber trotzdem großen Schaden anrichten. Und sie sind recht selten.

STANDARD: Wenn wir von solchen extremen Ereignisse­n reden, wird schnell die Klimakrise als Ursache genannt. Wieso ist es schwierig, einen direkten Zusammenha­ng zu begründen?

Muller: Das ist eine Frage, die wir als Wissenscha­fter sehr oft hören. Medicanes zum Beispiel entstehen nicht aufgrund des Klimawande­ls. Aber ihre Eigenschaf­ten und ihre Häufigkeit können sich aufgrund des Klimawande­ls verändern. Gleich wie bei tropischen Wirbelstür­men. Eigentlich sind sie ein wichtiger Bestandtei­l unseres Klimas, weil sie Energie von den Tropen in die mittleren Breiten bringen können. Aber wenn man zum Beispiel Stürme wie den Hurrikan Harvey nimmt (August 2017 in den USA und Karibiksta­aten, Anm.), können diese aufgrund des Klimawande­ls schwere Folgen haben: Harvey hatte viel Wasser gesammelt und sich dann nach Texas bewegt. Dort ist er stehengebl­ieben – mit den bekannten dramatisch­en Folgen. Wir haben berechnet, wie das mit und ohne Treibhausg­ase ausgesehen hätte. Hier können wir sagen: Die Niederschl­agsmengen wurden durch menschlich­en Einfluss verstärkt.

STANDARD: Werden wir diese Zusammenhä­nge in Zukunft mit mehr Sicherheit herstellen können?

Muller: Ein positiver Effekt des Klimawande­ls ist, dass wir unseren Planeten seit einiger Zeit sehr intensiv untersuche­n. Wir haben im letzten Jahrzehnt sehr viele neue Dinge gelernt, und die Erkenntnis­se werden sicherer und sicherer. Und indem wir solche Aussagen treffen, können wir auch die Politik beraten – wie es soeben auf der Klimakonfe­renz in Glasgow geschieht. Wir identifizi­eren aber auch die großen Herausford­erungen, bei denen wir noch Unsicherhe­it abbauen müssen: Die Wolkenzirk­ulation gehört zum Beispiel auch dazu.

STANDARD: Glauben Sie, dass Wissenscha­fter hinsichtli­ch der Klimakrise klarer Stellung beziehen und Empfehlung­en geben sollten?

Muller: Wissenscha­fter sollten immer objektiv über ihre Forschung berichten. Aber eine Schwierigk­eit liegt darin, klarzumach­en, wann ich als Forscherin und wann ich als Bürgerin spreche. Wenn ich zu einer Klimademo gehe, dann als Bürgerin. Zudem ist wichtig, dass wir die Unsicherhe­iten, die noch bestehen, klar kommunizie­ren. Es ist wie in einem Gerichtspr­ozess: Man weiß davor nicht, ob eine Person schuldig ist. Wir sammeln Monat für Monat mehr Beweise dafür, wie sich die Erde immer schneller erwärmt.

 ?? Foto: IST Austria ?? CAROLINE MULLER ist angewandte Mathematik­erin und Raumfahrtt­echnikerin. Seit 2021 ist sie Leiterin einer Arbeitsgru­ppe am Institute of Science and Technology Austria.
Foto: IST Austria CAROLINE MULLER ist angewandte Mathematik­erin und Raumfahrtt­echnikerin. Seit 2021 ist sie Leiterin einer Arbeitsgru­ppe am Institute of Science and Technology Austria.
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Hurrikan Ida zog Ende August über den Golf von Mexiko, hier aufgenomme­n von der Raumstatio­n ISS.

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