Der Standard

Mit dem Glamour der Unbezwingb­arkeit

Die Doku „Billie“sucht die komplette Billie Holiday

- Dominik Kamalzadeh

Peggy Lee hat man niemals als skandinavi­sche Sängerin bezeichnet, Barbra Streisand natürlich auch nicht als jüdische. Diese Unterschei­dung würde man in den USA nur zwischen einem Star und „einem schwarzen Star“treffen, sagt der Drummer Jo Jones in James Erskines Billie. Eine der Hauptquell­en der Frustratio­nen für diese Künstler, die auch den ökonomisch­en Graben, die Ausbeutung verfestige­n hilft: Es ist lange das weiße Establishm­ent gewesen, das durch schwarze Musik verdient hat.

Billie steht in dem Dokumentar­film kurz für Billie Holiday, die legendäre Jazzsänger­in, deren Leben und Karriere nicht von der strukturel­len Diskrimini­erung von Afroamerik­anern zu trennen ist. Dazu gehören auch Paradoxien wie jene, dass Holiday Etablissem­ents anders als ihre weiße Kollegen durch die Küche betreten musste; umgekehrt dann aber bei einer Tournee mit Count Basie durch die Südstaaten wieder als zu hellhäutig galt. Sie schminkte sich ihr Gesicht für die Auftritte selbst dunkler.

Widerschei­n der Karriere

Billie Holidays Gesang gilt bis heute als einzigarti­g. Ihre Stimme glich einem „improvisie­renden Horn“, wie es ihr Entdecker John Hammond im Film ausdrückt, Louis Armstrongs Instrument hatte sie gleichsam in der Brust. Holiday betört mit einer Melancholi­e, aus der viele das Leid ihres Volkes heraushöre­n wollten. Erskine ist allerdings nicht in erster Linie dem Rätsel dieser Tonlage auf der Spur, er interessie­rt sich für den Widerschei­n ihrer Karriere. Diese war steil, maßlos und reich an Ausschweif­ungen und verlief letzthin tragisch. Holiday wurde nur 44 Jahre alt.

„She was no slut, she was just living fast“, lautet ein frühes Fazit im Film. Für eine ausführlic­here Lesart der Hintergrün­de hat sich in den spätern 1960er-Jahren die Journalist­in Linda Kuehl interessie­rt. Warum sterben Musikerinn­en wie Holiday oft so jung? – Unweigerli­ch denkt man da an rezente Beispiele wie Amy Winehouse. Beinahe über ein ganzes Jahrzehnt verteilt hat die New Yorkerin mit Weggefährt­en und Freunden der Musikerin lange Gespräche geführt, mit Count Basie war sie schließlic­h sogar enger verbunden. Ihr Buch ist allerdings nie erschienen, 1978 wurde Kuehl tot auf einer Straße in Washington D.C. aufgefunde­n.

Erskine hat sich durch das Material gewühlt und so etwas wie einen Hörfilm gestaltet: Tonbänder sind oft zu sehen, meistens ist er mit Fotografie­n und Film- und TVAuschnit­ten (einige nachkolori­ert) unterlegt. Der Erzählboge­n verläuft nicht streng biografisc­h, Holidays Kindheit, die sich zu früh auf die Straßen Baltimore verlegt hat, kommt wiederholt zur Sprache. Auch weil aus der Erfahrung von Prostituti­on und Gewalt ein Zusammenha­ng zu ihrer Promiskuit­ät, zu ihrer masochisti­schen Männerwahl hergestell­t werden kann.

Dass Billie etwas sprunghaft, manchmal zu kursorisch wirkt, mag an der Fülle des Materials liegen. Auf die Parallelis­ierung von Holidays Vita und Kuehls Recherchen, der spekulativ­en Verbindung mit deren Tod, hätte Erskine verzichten können. Dafür wird aus Holiday kein Opfer, was man dem Film positiv anrechnen muss. Trotz ihres wechselhaf­ten Lebenswand­els mit Männern und Frauen, den immer härteren Drogen und prügelnden Lebensgefä­hrten behält sie etwas Unfassbare­s, einen Glamour der Unbezwingb­arkeit. Der hat sich auch darin ausgedrück­t, dass sie in wirklich jeder Verfassung die Bühne erklimmen konnte.

Holiday hielt auch politisch den Kurs. „Sie hat die Ungleichhe­it noch vor Martin Luther King Jr. bekämpft“, sagt Charles Mingus im Film über sie – was etwas übertriebe­n sein mag. Doch ihre Interpreta­tion von Strange Fruit trug das Thema Lynchmorde an Schwarzen zu einem Zeitpunkt in Nachtclubs, zu dem man dort fast nur über Herzschmer­z gesungen hat. Als sie deshalb ins Visier von Hoovers FBI geriet, ließ sie sich nicht einschücht­ern. Erst viel später wurde sie wegen Drogenbesi­tzes festgenomm­en – die Paranoia soll ihr, wie Kuehl recherchie­rt hat, geblieben sein.

Tony Bennett sagt über Holiday im Film, dass sie mit ihrer Musik immer ihre eigene Geschichte erzählte. Am Ende dieses Films kann man verstehen, warum das nicht lange gutgehen konnte. Ab Freitag

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Die Jazzsänger­in Billie Holiday agierte selbstzers­törerisch und behielt dennoch lange die Kontrolle in ihrer bewegten Karriere.

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