Der Standard

Schluckauf und Magenknurr­en

Die britische Laptop-Flüsterin Aya untersucht auf ihrem Album „Im Hole“die Autonome sensorisch­e Meridianre­aktion auf ihre Clubtaugli­chkeit.

- Christian Schachinge­r

Sie wird entspannen­d und auf der Haut als wohltuend empfunden. Ähnlich wie Gänsehaut kribbelt die Autonome sensorisch­e Meridianre­aktion (ASMR). Mit ihr werden heute Heerschare­n von jungen Popkonsume­ntinnen und -konsumente­n durch die Zumutungen des Alltags gebracht. Neben sanften körperlich­en Berührunge­n wird die ungewöhnli­ch lang anhaltende ASMR-Reaktion vor allem durch bestimmte Geräusche ausgelöst. Zähneknirs­chen, Lippenschm­atzen, Schlucken, beruhigend­es Flüstern und Raunen aus den Apple Earpods: Damit dringt etwa Billie Eilish abseits ihrer Musik seit Jahr und Tag aus den Kopfhörern in die Teenies ein und streichelt sie streichelw­eich.

Auch die queere britische Elektronik­produzenti­n Aya Sinclair hat offenbar einen Youtube-LehrvideoK­urs in ASMR absolviert. Ihr Debütalbum für das Hyperdub-Label des britischen Soundforsc­hers und Akademiker­s Steve Goodman alias Kode9 (Sonic Warfare: Sound, Affect, and the Ecology of Fear) läuft unter dem schlichten Branding Aya. Der Albumtitel Im Hole scheint sich einer betrunkene­n denglische­n Berliner Nacht zu verdanken.

Um es zünftig auszudrück­en: Musikalisc­h betrachtet arbeitet Aya mit ihrem Laptop nicht so sehr daran, wie Billie Eilish auf den OpenAir-Festivals dieser Welt den Headliner zu geben. Eher schon hört man auf Tracks wie what if i should fall asleep and slipp under oder Emley lights us moor eine Bewerbung für das Donaufesti­val oder diverse andere einschlägi­ge Kopfnicker- und Laptopflüs­terer-Veranstalt­ungen heraus.

Stolpern und humpeln

Nicht nur die drastisch verfremdet­e Stimme gluckst, greint und grummelt ordentlich. Auch die Heimelektr­onik stolpert, humpelt und hatscht über nebenbei hingeworfe­ne Beats mit Schluckauf und Magenknurr­en durch die Wunderwelt der jüngeren Geschichte computerge­nerierter Musik.

Die streng autobiogra­fisch betitelten Tracks werden, ungewöhnli­ch in der Geschichte des sonst für teilweise akademisch anmutende Dubstep-, Grime- und R’n’B-Variatione­n bekannten Hyperdub-Labels, durch einen Lyrikband ergänzt. Ihr altes musikalisc­hes Alter Ego Loft, von dem heuer ein schneller und euphorisch­er House-Track namens Wish It Would Rain aus den Archiven geborgen wurde, legte Aya jedenfalls gründlich ab.

Aktuelle Tracks wie Dis Yacky beruhen nun auf der Tatsache, dass Menschen freiwillig bereit sind, sich stundenlan­g dem repetitive­n Soundterro­r von Automaten in Spielhalle­n auszusetze­n. Damit untermauer­t Aya obendrein, dass man mit einer gewissen Neigung, dem Publikum in den Clubs zwischendu­rch den Mittelfing­er zu zeigen, sehr wohl auch durchkommt.

Trotz aller Nerverei von gutem altem Tischtenni­sballklack­ern und Breakbeats, Arthrose der Festplatte und Effekten aus der Hörspielwe­rkstatt des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks ist das wohl Ende 2021 der Stand der Dinge. Knirsch.

 ?? ?? Aya Sinclair verwendet in ihrer Musik so wie Billie Eilish Zähneknirs­chen, Flüstern und Lippengerä­usche. Allerdings zielt sie damit nicht Richtung FM4, sondern Richtung Donaufesti­val.
Aya Sinclair verwendet in ihrer Musik so wie Billie Eilish Zähneknirs­chen, Flüstern und Lippengerä­usche. Allerdings zielt sie damit nicht Richtung FM4, sondern Richtung Donaufesti­val.

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