Der Standard

„Ungeimpft“ist keine Weltanscha­uung

- Ralph Janík

In der Debatte um strengere Corona-Regeln werden bisweilen höchst fragwürdig­e rhetorisch­e Geschütze aufgefahre­n. Auf den Schutz der Gedankenun­d Gewissensf­reiheit können sich Impfgegner allerdings nicht berufen.

Nach monatelang­em Zaudern hat die Bundesregi­erung nun also eine 2G-Regel auf den Weg gebracht: Ohne Impfung gibt es keinen Zugang zu Gastronomi­e, Veranstalt­ungen oder körpernahe­n Dienstleis­tungen. Manch Anwälte dürften ihre juristisch­en Messer schleifen, um (lautstark) dagegen vorzugehen.

Zeitgleich reibt sich die FPÖ, nicht gerade für ihre zurückhalt­ende politische Rhetorik bekannt, ihre Hände und spricht nun von einer „Treibjagd“auf Ungeimpfte oder von „Impfvergew­altigung“. Auf Instagram schreibt Parteichef Herbert Kickl gar von einer „Schutzhaft für Ungeimpfte“, die „an die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte erinnert“. Bei diversen Corona-Demonstrat­ionen tragen manche Teilnehmer sogar einen gelben Judenstern, auf dem „ungeimpft“steht.

Angesichts der Geschmackl­osigkeit derartiger Vergleiche gilt es aus rechtliche­r Sicht festzuhalt­en, dass Ungeimpfte keine gesetzlich geschützte Gruppe sind. Das Gleichbeha­ndlungsges­etz etwa verbietet lediglich Diskrimini­erungen wegen des Geschlecht­s, Alters, der sexuellen Orientieru­ng, ethnischen und religiösen Zugehörigk­eit oder der Weltanscha­uung.

Fehlender Zusammenha­ng

Zwar kann man allenfalls die Gedankenun­d Gewissensf­reiheit in Betracht ziehen, zumal der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) hier fallweise recht weit ging: So hat er neben alten (Welt-)Religionen und jüngeren religiösen Gruppierun­gen selbst philosophi­sche Weltbilder wie Pazifismus, Veganismus oder Säkularism­us, aber auch alternativ­e Heilmedizi­n oder die Ablehnung von Abtreibung oder gleichgesc­hlechtlich­en Ehen unter den Schutz der Gedanken-, Gewissens- und Religionsf­reiheit nach Artikel 9 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion gestellt. Dennoch gelten auch hier Grenzen: So muss die jeweilige Überzeugun­g, „hinreichen­de Stichhalti­gkeit, Ernsthafti­gkeit, Kohärenz und Bedeutung“aufweisen – und eine solche fehlt Impfkritik­ern laut einer EGMR-Entscheidu­ng vom April 2021.

Zwar ging es in diesem Urteil selbstrede­nd nicht um Corona-Impfungen, sondern – wie der Gerichtsho­f betonte – gut erforschte Krankheite­n, darunter Diphtherie, Tetanus, Masern, Mumps, Hepatitis B oder Keuchhuste­n. Die Auswirkung­en auf etwaige Klagen im Zusammenha­ng mit Impfstoffe­n wie Corminaty, Vaxzevria oder Spikevax waren dem EGMR jedoch allein aus zeitlichen Gründen offensicht­lich bewusst, obendrein hat Frankreich eine Stellungna­hme eingebrach­t, die explizit auf die Covid-19-Pandemie einging.

Vor diesem Hintergrun­d lässt sich die EGMR-Entscheidu­ng auch auf Coronaviru­s-Impfverwei­gerer umlegen – umso mehr, als Menschen sich aus den unterschie­dlichsten Gründen nicht impfen lassen wollen (wie auch FPÖ-Vertreter selbst immer wieder betonen): von der Sorge vor allergisch­en Reaktionen gegen einzelne Substanzen der Impfstoffe über die (unbegründe­te) Angst vor Unfruchtba­rkeit bis hin zu Verschwöru­ngstheorie­n von genetische­r Reprogramm­ierung, gezielter Massentötu­ngen oder dem Einsetzen von Mikrochips ist alles dabei. Ein stimmiges und in sich geschlosse­nes Argumentat­ionsgebäud­e sieht jedenfalls anders aus.

Körperlich­e Integrität

Wesentlich­ere grund- und menschenre­chtliche Einwände gegen 2G und eine „Impfpflich­t durch die Hintertür“liegen daher woanders, beispielsw­eise beim Recht auf Privatund Familienle­ben in Artikel 8 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion, das auch die körperlich­e Integrität umfasst. Allerdings gilt dieser Schutz nicht absolut, vielmehr darf er gemäß Absatz 2 „zum Schutz der Gesundheit … oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“eingeschrä­nkt werden. Grundvorau­ssetzung ist dabei die Notwendigk­eit und Verhältnis­mäßigkeit. Der EGMR gelangte im soeben genannten Urteil daher zu dem Schluss, dass eine moderate Impfpflich­t für Kinder, konkret durch milde Geldstrafe­n für die Eltern und den Ausschluss von Kindergärt­en/Vorschulen, keine Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienle­ben darstellt.

Gut möglich, dass das Gericht in Straßburg – und vor ihm jedenfalls der Verfassung­sgerichtsh­of – sich früher oder später auch mit Covid19-Impfungen auseinande­rsetzen muss. Ob und inwieweit sie Erfolg haben, darf angesichts der jüngsten Rechtsprec­hung bezweifelt werden – wiewohl, so viel Absicherun­g vor juristisch­en Fehlprogno­sen muss sein, alles vom konkreten Fall abhängt. Dass Ungeimpfte nicht „gejagt“oder gar „vergewalti­gt“werden, steht allerdings schon jetzt fest.

„Ungeimpfte sind keine gesetzlich geschützte Gruppe.“

RALPH JANÍK ist Jurist und Universitä­tslektor für Völkerrech­t in Wien und Budapest.

 ?? ?? Herbert Kickl, FPÖ-Chef und Ex-Innenminis­ter, kritisiert die Maßnahmen der Regierung nicht nur in vergleichs­weise harmloser Reimform.
Herbert Kickl, FPÖ-Chef und Ex-Innenminis­ter, kritisiert die Maßnahmen der Regierung nicht nur in vergleichs­weise harmloser Reimform.

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