Der Standard

Verantwort­ungsverwei­gerung

In einer der schwersten Krisen sind Österreich­s führende Politiker verdächtig leise

- Petra Stuiber

Die Infektions­zahlen steigen dramatisch an, es dräut ein weiterer furchtbare­r Corona-Winter. Die Regierung hängt nach wie vor am seidenen Koalitions­faden – und das in einer der schwersten Krisen, die diese Republik je hatte. Man sollte meinen, dass nach der Kurz’schen Message-ControlMan­ie nun ein anderer Ton in die Politik einkehren sollte: dass erklärt und debattiert, argumentie­rt und um das Vertrauen der Bevölkerun­g geworben wird – in jeder Hinsicht.

Aber wo sind der Kanzler, die Ministerin­nen und Minister, die den Österreich­ern täglich ins Gewissen reden? Wo ist besonders der Gesundheit­sminister? Außer Verkündigu­ngen auf Pressekonf­erenzen ist da nicht viel zu hören – kaum Interviews, seltene bis gar keine Teilnahme an Diskussion­ssendungen, schon gar keine Aufklärung­stour durch Österreich. Natürlich sind strengere Maßnahmen unpopulär, natürlich ist es höchst unerfreuli­ch, sich mit Impfgegner­n persönlich auseinande­rsetzen zu müssen. Aber es gibt keine Alternativ­e zum Reden, Argumentie­ren, Überzeugen. Durch Verordnung­en allein wird diese Pandemie nicht verschwind­en.

Gleiches gilt für die immer noch schwelende Koalitions­krise: Vizekanzle­r Werner Kogler und Justizmini­sterin Alma Zadić sollten nicht müde werden zu erläutern, warum es nicht mehr ging mit Sebastian Kurz und warum es gut ist, dass die Justiz unbehellig­t arbeitet. Es wäre eine gute Gelegenhei­t zu skizzieren, was denn die „saubere Politik“ist, welche die Grünen meinen.

Es wäre aber auch eine hervorrage­nde Gelegenhei­t für Pamela Rendi-Wagner, für eine „andere“Regierungs­mehrheit abseits von ÖVP und FPÖ zu werben – und die SPÖ-Konzepte für diesen Fall breitfläch­ig zu präsentier­en.

S tattdessen ist es verdächtig leise im Land. In TV-Sendungen wird immer häufiger berichtet, dass der eingeladen­e Politiker X oder die eingeladen­e Politikeri­n Y leider abgesagt oder gar nicht geantworte­t habe – mit Ausnahme der Neos, die sich redlich bemühen. Ansonsten herrscht offenbar Unlust, politische­s Handeln zu erklären. Das grenzt fast schon an Verantwort­ungsverwei­gerung.

Am ehesten kann man das noch bei der ÖVP verstehen, die sich gerade in einem schwierige­n Selbstfind­ungsprozes­s befindet. Allerdings ist sie trotz allem immer noch die Kanzlerpar­tei. Die Grünen wiederum vermitteln den Eindruck, als seien sie von ihrer eigenen Courage, Kurz die Stirn geboten zu haben, derart überwältig­t, dass sie sich nun lieber ruhig verhalten, um die ÖVP nicht noch mehr zu reizen.

Was die SPÖ-Spitze reitet, derzeit vor allem Aussendung­en zu verschicke­n, ist unerklärli­ch. Rendi-Wagner spielt die Schwäche der ÖVP in die Hände, sie müsste sie für die Sozialdemo­kraten durch schiere Omnipräsen­z nützen.

Trotzdem tritt bei der SPÖ allein der Wiener Bürgermeis­ter Michael Ludwig, von Woche zu Woche gefestigte­r als Krisenmana­ger, in den Vordergrun­d. Burgenland­s Landeshaup­tmann und SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil spielt lieber, trotz des Impferfolg­s daheim, den grantigen 2G-Gegner – im Paarlauf mit FPÖ-Chef Herbert Kickl.

Mit demselben Kickl, der gegen die Corona-Gefahr die Einnahme von Wurmmittel­n und Vitamin C empfiehlt. Und der in den Umfragen trotzdem zulegt. Zumindest Letzteres müsste eigentlich alle aus ihrer Lethargie aufrütteln.

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