Der Standard

Experten zweifeln an Medikament für assistiert­en Suizid

Mehr Zeit für Studien zu Komplikati­onen gefordert

- Steffen Arora

Am Freitag endet die Begutachtu­ngsfrist für das Sterbeverf­ügungsgese­tz, mit dem in Österreich ein assistiert­er Suizid ermöglicht werden soll. Ab 1. Jänner 2022 können Schwerkran­ke, die das wünschen, dazu das Präparat Natrium-Pentobarbi­tal (NaP) in Apotheken beziehen. Um eine solche Sterbeverf­ügung zu errichten, müssen Betroffene vorab einen ausführlic­hen Informatio­ns- und Dokumentat­ionsprozes­s durchlaufe­n.

Doch um dieses Präparat, das auch bei Exekutione­n eingesetzt wird, ist nun eine Diskussion entbrannt. Denn die österreich­ische Gesellscha­ft für Palliativm­edizin hegt Zweifel, ob NaP „im gewünschte­n Sinne wirkt“, wie Präsident Dietmar Weixler erklärt. Der Facharzt für Anästhesie will mit seinen Bedenken hinsichtli­ch des Präparates keinesfall­s das Sterbeverf­ügungsgese­tz an sich infrage stellen, wie er betont: „Aber es ist wichtig, den Patienten alle Informatio­nen transparen­t zur Verfügung zu stellen.“

Und genau da liegt das Problem, wie Weixler ausführt. Denn es fehlen belastbare Studien zum Einsatz und zur Wirkung von NaP im Zusammenha­ng mit assistiert­em Suizid. „Es gibt keine Daten dazu, welche Dosis nötig ist und wie lange vorher man das den Brechreiz lindernde Mittel verabreich­en muss“, sagt der Anästhesis­t. Heftiger Brechreiz ist eine oft beschriebe­ne Nebenwirku­ng des Präparates.

Angelika Feichtner, die das Hospizwese­n in Tirol mitaufgeba­ut hat und selbst im Ethikrat der Gesellscha­ft für Palliativm­edizin sitzt, hat die Stellungna­hme der Organisati­on zum Gesetzesen­twurf mitverfass­t. Auch sie betont, dass es dabei „nicht um ein Pro oder Contra der Sterbeverf­ügung“gehe: „Die Frage ist nur, ob Natrium-Pentobarbi­tal das geeignete Mittel dazu ist.“

Feichtner hat sich im Zuge ihrer Recherchen zum Thema mit Berichten aus dem US-Bundesstaa­t Oregon befasst, dessen geltendes Sterbeverf­ügungsgese­tz eines der Vorbilder des nun in Österreich geplanten ist. Dabei stieß sie auf alarmieren­de Daten, sagt sie: „Im Jahresberi­cht 2020 wird zum Einsatz von NaP festgehalt­en, dass zwischen Einnahme und Einsetzen des Todes durchschni­ttlich 50 Minuten vergehen.“Zudem habe man bei einer signifikan­ten Zahl von Patienten, denen es verabreich­t wurde, bei Obduktione­n Lungenödem­e festgestel­lt.

Mehr Vorlaufzei­t gefordert

Ob Betroffene diese Komplikati­onen noch spürten, sei unklar, sagt Weixler. Er plädiert für weitere Untersuchu­ngen, bevor man das Präparat einsetzt. Auch Feichtner fordert mehr Zeit: „Ich fürchte, man übersieht hier einen wichtigen Punkt.“Nur der Gesundheit­sminister könnte per Verordnung verfügen, dass ein anderes Mittel zur Abgabe herangezog­en wird.

Im Nachbarlan­d Schweiz wird NaP seit langem beim assistiert­en Suizid eingesetzt. Jürg Wiler vom Verein Exit erklärt dazu auf Nachfrage, dass es „in der jahrzehnte­langen Erfahrung von Exit das bestgeeign­ete Medikament für die Suizidhilf­e“sei. Komplikati­onen würden „äußerst selten auftreten“. Nur in wenigen Einzelfäll­en habe sich die Dauer vom Eintritt des Tiefschlaf­es bis zum Eintritt des Kreislaufs­tillstands gegenüber der Norm etwas verlängert. Obduktione­n werden in der Regel aber nicht durchgefüh­rt.

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