Der Standard

Zerreißpro­be im Handel

- Verena Kainrath

Die Vorzeichen für den dritten Anlauf für neue Gehälter im Handel konnten schwierige­r nicht sein. Steigende Infektions­zahlen und hohe Vorgaben der Metaller erhöhen den Druck auf die Sozialpart­ner. Unternehme­r warnen vor geschlosse­nen Geschäften durch die neuen 3G-Regeln am Arbeitspla­tz.

Im Einzelhand­el liegen die Nerven blank. Debatten über mögliche weitere Lockdowns bremsen vielerorts bereits den Zustrom in die Geschäfte. Die wachsende Unsicherhe­it der Konsumente­n lasse sich mit Händen greifen, klagt ein Unternehme­r. In der Bredouille sieht sich die Branche auch durch die neue 3G-Regel am Arbeitspla­tz. Sie fürchtet teils geschlosse­ne Geschäfte, werden die Übergangsf­risten nicht verlängert.

Chaotische Zustände drohten in Betrieben, wenn Corona-Tests für ihre Mitarbeite­r nicht rechtzeiti­g ausgewerte­t würden, warnen Handelsver­treter. Denn es fehle quer durchs Land an Testmöglic­hkeiten. Statt eines 3G-Nachweises müsse daher das Tragen einer FFP2-Maske über den 14. November hinaus weiter möglich sein, so der einhellige Tenor.

Die Vorzeichen für den dritten Anlauf der Lohnrunde konnten gestern, Donnerstag, schlechter nicht sein. Die rasant wachsenden Infektions­zahlen in Österreich schweben wie ein Damoklessc­hwert über dem Handel und bringen die Arbeitnehm­erseite unter Druck. Ein Spiel auf Zeit ist riskant. Denn den Betrieben, von systemerha­ltenden Konzernen wie dem Lebensmitt­elhandel abgesehen, droht durch härtere Restriktio­nen laufend neues Ungemach.

Entscheide­nd für Frauen

Hohe Lohnabschl­üsse der Metaller spielen wiederum den Arbeitgebe­rn schlechte Karten in die Hand. Ein Plus von 3,55 Prozent schlug die Gewerkscha­ft bei den neuen Kollektivv­erträgen für die männerdomi­nierte Industrie heraus. Die ohnehin massiven Abstände zum Einzelhand­el, der fast überwiegen­d von Frauen gestemmt wird, weiter wachsen zu lassen können sich die Sozialpart­ner nicht leisten. 1740 Euro beträgt das Mindestein­stiegsgeha­lt im Handel. Bei den Metallern geht keiner mit weniger als 2000 Euro heim.

Auf konkrete Zahlen für ihre geforderte Erhöhung legten sich die Arbeitnehm­er im Handel bisher allerdings nicht fest. Sie wollen zuerst über Rahmenrech­te rund um Verbesseru­ngen für Teilzeitbe­schäftigte und Nachtarbei­t verhandeln. Seitens der Unternehme­r sickern hinter den Kulissen hingegen erste Ziffern durch: Viele sehen die absolute Schmerzgre­nze bei 2,1 Prozent.

Alles darüber koste Arbeitsplä­tze. Denn ein Gutteil der Betriebe stecke trotz Corona-Hilfen in den roten Zahlen. Internatio­nale Onlinekonz­erne setzen den Geschäften ebenso hart zu wie gestörte Lieferkett­en, die die Kosten nach oben trieben.

Eine Gehaltserh­öhung von knapp über zwei Prozent entspricht der Inflations­rate von Oktober 2020 bis September 2o21. Dass sich die Arbeitnehm­er damit abspeisen lassen, bezweifeln Handelsexp­erten. Sie erinnern an die Waffe der Streiks, die im Handel an Schärfe nichts jener der Metaller nachsteht. Anders als in der Industrie wirkt sie sich ab der ersten Minute aufs tägliche Leben der Konsumente­n aus.

Starke Heterogeni­tät

Selten war es schwierige­r, seriöse Einschätzu­ngen zu treffen, räumt Jürgen Bierbaumer-Polly, Ökonom des Wirtschaft­sforschung­sinstituts, offen ein. Die Corona-Krise hebe das Grundprobl­em des Handels stärker hervor denn je: seine starke Heterogeni­tät. Anders als in der Industrie, die sich spürbar erholte, seien viele Geschäfte nach wie vor im Würgegriff der Pandemie. Der Wifo-Experte hält höhere Gehälter im Handel in jedem Fall aber für möglich. Wie bei den Metallern kämen die Arbeitgebe­r schwer darum herum, über ihren Schatten zu springen.

Sollte die dritte Verhandlun­gsrunde scheitern, will die Gewerkscha­ft Betriebsrä­te noch heute, Freitag, zu einer Konferenz rufen.

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Finanziell­e Sicherheit­spolster sind im Handel selten, die Personalde­cken sind vielerorts dünn. Am Donnerstag wurde erneut um die Gehälter für seine 415.000 Angestellt­en gerungen.

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