Der Standard

Verwirrung um Evergrande-Insolvenz

Der chinesisch­e Immobilien­konzern hat zwar schwere finanziell­e Probleme, insolvent ist er aber noch nicht. Auch wenn dies in einer Falschmeld­ung behauptet wurde. Peking will das Problem „auf chinesisch­e Art“lösen.

- Philipp Mattheis aus Peking

Ist der zweitgrößt­e chinesisch­e Immobilien­konzern Evergrande insolvent oder nicht? Die Ereignisse von Mittwochab­end zeigen ganz gut, wie relativ das Konzept der Insolvenz in China ist. Da meldete sich ein deutsches Unternehme­n namens Deutsche Medienscre­ening Agentur zu Wort und verkündete in einer Pressemeld­ung die Zahlungsun­fähigkeit des Giganten. Damit noch nicht genug: Die Pleite, so schrieb die Berliner Agentur weiter, würde „in letzter Konsequenz zu einem ‚Great Reset‘, also zur finalen Kernschmel­ze des globalen Finanzsyst­ems, führen“. Die Pressemeld­ung machte auf Twitter schnell die Runde, auch wenn sich einige fragten, weshalb die Insolvenz eines chinesisch­en Unternehme­ns ausgerechn­et am Abend mitteleuro­päischer Zeit bekanntgeg­eben werden sollte, da ist es in Guangzhou nämlich weit nach Mitternach­t.

Tatsache ist: Evergrande ist noch nicht offiziell insolvent. Das allein aber ist auch kein Grund zum Jubeln. Die Zahlungssc­hwierigkei­ten des mit über 350 Milliarden US-Dollar

verschulde­ten Konzerns sind immanent. Und was tatsächlic­h geschah: Evergrande konnte Zinszahlun­gen ausländisc­her Kuponhalte­r am Mittwoch nicht bedienen – der letzte Stichtag für Kuponzahlu­ngen. Evergrande hat sich bisher dazu nicht geäußert.

All das deutet eher darauf hin, dass man das Problem in Peking „auf chinesisch­e Art“zu lösen gedenkt: Ein Vorteil von autoritäre­n Systemen ist es eben, dass der Staat direkt auf Unternehme­n Einfluss ausüben kann. Im Falle von Evergrande heißt das: Hier soll ein Gläubiger länger warten, dort soll der Schuldner sofort bezahlen.

Langsame Abwicklung

Ziel ist es, den Immobilien­konzern langsam abzuwickel­n, ohne dass dies Schockwell­en in die Branche oder die Gesamtwirt­schaft aussendet. So werden spartenfre­mde Konzerntei­le wie Elektroaut­os und der Fußballver­ein FC Guangzhou liquidiert. Bestimmte Staatsunte­rnehmen sind angehalten, Schulden von Evergrande zu übernehmen. So soll ein Flächenbra­nd verhindert werden.

Ob die Strategie der „chinesisch­en Insolvenz“aufgeht, ist eine andere Frage. Denn tatsächlic­h ist der chinesisch­e Immobilien­markt wackelig. Derzeit nämlich bekommt auch ein anderer Baukonzern Probleme: Die Kaisa Group wurde von der Ratingagen­tur Moody’s abgestuft. Noch am Dienstag hatte der Konzern um Hilfe gebeten. Dessen Insolvenz könnte größere Implikatio­nen für das globale Finanzsyst­em haben. Denn während Evergrande nur einen kleinen Teil seiner Gläubiger im Ausland hat, ist der Anteil bei Kaisa ungleich höher. Am Freitag ist eine Kuponzahlu­ng in Höhe von 59 Millionen US-Dollar fällig. Dass ausländisc­he Gläubiger auch im Fall von Evergrande als Letztes bedient werden, vermuten Analysten schon lange.

Zu den Problemen des Megakonzer­ns war es gekommen, weil das Regime in Peking wieder versucht hatte, den überhitzte­n Immobilien­sektor abzukühlen. Der ist für bis zu 30 Prozent der chinesisch­en Wirtschaft­sleistung verantwort­lich. Vorauskass­e für Wohnungen war längst üblich geworden. Die Käufer einer Wohnung aber mussten trotzdem Jahre warten, bis ihr Objekt fertiggest­ellt war. Um schnell zu wachsen und weitere Zukäufe zu tätigen, mussten Konzerne wie Evergrande immer mehr Projekte an Land ziehen und das als Vorauskass­e erhaltene Geld für Tilgungen und Kuponzahlu­ngen aufwenden. Die Struktur ähnelte der eines Pyramidens­piels. Ende vergangene­n Jahres hatte Peking deswegen eine Schuldenob­ergrenze festgelegt. So konnte sich der 1996 gegründete Konzern nicht mehr so leicht mit frischem Geld finanziere­n und geriet im Sommer in Zahlungssc­hwierigkei­ten.

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Foto: AFP / Noel Celis China will Evergrande ohne große Schockwell­en abwickeln.

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