Der Standard

Diesen Klauen ist nicht zu trauen

Mit Heraldik und Fake-Propaganda beleuchtet Riccardo Giacconi im Kunstpavil­lon Innsbruck die Geschichte der Option in Südtirol.

- Ivona Jelčić

Norbert C. Kaser wollte den Tiroler Adler „rupfen wie einen Gigger“, um ihn hernach „schön langsam über dem Feuer zu drehen“. Dass die Leute sich den Wappenvoge­l heute als Ausdruck besonders patriotisc­her Gesinnung gern ans Autoheck kleben, hätte dem Südtiroler Dichter kaum gefallen. Der Tiroler Adler galt ihm als Symbol jener konservati­ven Geisteshal­tung und dichterisc­hen Deutschtüm­elei, gegen die er zeit seines kurzen Lebens anschrieb.

An Kaser’scher Lyrik vorbei gelangt man nun in den Keller des Innsbrucke­r Kunstpavil­lons. Er wirkt wie ein düsterer Verhörraum, in dem eine Kinderstim­me die „zehn Gebote für Umsiedler“aufsagt. 1939 schlossen Hitler und Mussolini das Abkommen für die Umsiedlung der deutschen Bevölkerun­g in Südtirol, die vor die Wahl gestellt wurde, entweder ins benachbart­e Nazi-Reich auszuwande­rn oder sich im faschistis­chen Italien dem Assimilier­ungszwang zu unterwerfe­n. Die sogenannte „Option“spaltete die Bevölkerun­g und ist bis heute ein emotionale­s Thema.

In Italien sei es dagegen nahezu unbekannt, sagt der aus den mittelital­ienischen Marken stammende Künstler Riccardo Giacconi. Sein Werkkomple­x Options entstand ursprüngli­ch im Auftrag des Steirische­n Herbstes und markiert nun den Auftakt zum Jahresprog­ramm Dancing at the Edge of the World.

Giacconi ging in die Nord- und Südtiroler Archive. Was dort an Flugblätte­rn, Plakaten, martialisc­hen Aufrufen, Wappentier­en und anderen Symbolen zu finden war, hat er zerlegt und neu zusammenge­setzt. Dem „Ja!“unter einer Adlerklaue ist nunmehr ebenso wenig zu trauen wie den vom Künstler manipulier­ten NS-Merksätzen für die Umsiedler. Die Versatzstü­cke der Propaganda verschwimm­en zu einem in freundlich­er Comic-Ästhetik daherkomme­nden und trotzdem bedrohlich wirkenden Einheitsbr­ei.

Womit Giacconi mit subversive­r Ironie auch die bis heute gültigen Mechanisme­n von Identitäts­konstrukti­on und nationalis­tisch verbrämten Heimatbegr­iffen entlarvt: Sie basieren auf Ausgrenzun­g und der Definition des jeweils „Anderen“. Auf einem Plastikvor­hang, durch den man die Ausstellun­g betritt, sind dagegen alle Wappen gleich – erfunden und absurd. In einem verdunkelt­en Raum baumeln derweil knorrige Äste wie Marionette­n von der Decke, während unterschie­dliche Stimmen zu hören sind: eine Geschichts­stunde, in der auch Platz für Gegenbilde­r ist. Bis 15. 1.

 ?? ?? Der „Gigger“als Teil von Riccardo Giacconis „Options“: Wer hat Angst vor diesem Wappentier? Wen schließt es aus?
Der „Gigger“als Teil von Riccardo Giacconis „Options“: Wer hat Angst vor diesem Wappentier? Wen schließt es aus?

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