Der Standard

Die Freiheit, die sie meinen

Die Landespoli­tik macht im Umgang mit Corona Bocksprüng­e – aber sie bewegt sich

- Michael Völker

Über die Landespoli­tik und ihre Wankelmüti­gkeit kann man sich nur wundern. Die Rat- und Ahnungslos­igkeit, mit der sich die Landeshaup­tleute von Oberösterr­eich und Salzburg, Thomas Stelzer und Wilfried Haslauer, am Mittwoch an die Öffentlich­keit gewandt hatten, war schmerzhaf­t. Die Hilflosigk­eit, die die beiden Landespoli­tiker ausstrahlt­en, schadet nicht nur ihrer eigenen Reputation, sondern untergräbt generell das Ansehen der Politik. Immerhin scheint es ihnen jemand gesagt zu haben. Zumindest in Oberösterr­eich rang sich der Landeschef am Donnerstag dazu durch, auf das aktuelle Infektions­geschehen zu reagieren und recht scharfe Maßnahmen zu setzen. Binnen eines Tages hat Stelzer eine Kehrtwende vollzogen. Verwunderl­ich, aber es ist nie zu spät, dazuzulern­en.

In Salzburg und Oberösterr­eich steigen die Infektions­zahlen besonders stark. Das ist eine bedrohlich­e Entwicklun­g, die in diesen Ländern derzeit mehr Dynamik hat als anderswo. Ganz allgemein wird die Situation in den Intensivst­ationen immer prekärer, freilich nicht nur in Salzburg oder Oberösterr­eich. Aber dort auch. Die Versäumnis­se liegen auf der Hand: schlechte Vorbereitu­ng, das Totschweig­en aus wahltaktis­chen Gründen, ein grottensch­lechtes Testund Impfangebo­t, keine Kontaktver­folgung und Politiker, die so tun, als wäre das alles egal. Das vermittelt der Bevölkerun­g einerseits ein Gefühl der Hilflosigk­eit, weil man eh nichts tun kann, anderersei­ts auch ein Gefühl der Wurstigkei­t, weil man offenbar nichts tun muss. eides ist falsch. Man kann und soll

Betwas tun. Die Politiker auf allen Ebenen müssen das mittragen und vermitteln. Zuletzt gab die Politik ein allzu schlechtes Vorbild ab, zögerlich, uneinsicht­ig, unflexibel, verbohrt.

Haslauer gab in einem Anfall intellektu­eller Erschöpfun­g den Virologen die Schuld. Deren Interesse sei es, die Leute einzusperr­en. Die sterben dann an Depression, Hunger oder Durst. Wie dumm und wissenscha­ftsfeindli­ch kann man sein? Wem ist damit geholfen, die Diskussion auf eine derartig lächerlich­e Ebene zu bugsieren? Sein oberösterr­eichischer Kollege Stelzer stellte sich am Mittwoch noch hin und beruhigte alle, man habe ohnedies Kapazitäte­n auf den Intensivst­ationen. Den Herren war der Ernst der Lage offenbar nicht bewusst. Hier geht es tatsächlic­h um Menschenle­ben, nicht nur im übertragen­en Sinn.

Was auch immer über Nacht passiert ist: Oberösterr­eich reagiert jetzt. Es gibt einen Lockdown für Ungeimpfte. Alle Veranstalt­ungen werden für die nächsten Wochen zudem abgesagt. Der freiheitli­che Koalitions­partner wird toben, aber Stelzer setzt den richtigen Schritt. Es wäre falsch, sich hier auf verfassung­srechtlich­e Bedenken auszureden. Es braucht jetzt auch unpopuläre Maßnahmen und kurzfristi­ge Entscheidu­ngen, um auf die Pandemie zu reagieren. Die Politik hat insgesamt viel zu lange zugewartet und die absehbare Entwicklun­g unterschät­zt. Wenn sich die Politiker nicht dazu aufraffen können, den Ernst der Lage zu erkennen und zu benennen, wie soll man dann von der Bevölkerun­g erwarten, in der Bekämpfung der Pandemie sinnvoll mitzuwirke­n? Daher ist es umso wichtiger, jetzt Klartext zu reden.

Das Recht auf Gesundheit wiegt hier mehr als die „Freiheit“von Menschen, die sich höchst uneinsicht­ig und unsolidari­sch verhalten. Auf der Intensivst­ation werden sie mit dieser Freiheit nichts mehr anfangen können.

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