Der Standard

Kunst und Leben

Maria Callas, Billy Wilder und Arturo Benedetti Michelange­li: Drei biografisc­he Umkreisung­en erzählen von Kreativitä­t und Tragik dreier großer Künstler.

- Alexander Kluy

Ich weiß es, als wäre es gestern gewesen, wie ich mit Adrian aus diesem Vortrag nach Hause ging.“Sagt Serenus Zeitblom, eine Romanfigur Thomas Manns. Versichert somit also der Protagonis­t eines Buches, Doktor Faustus, über eine andere Romanfigur. Kurz: Wir sind in einem biografisc­hen Erzählwerk. Genregemäß darf sich dieses flexible Freiheiten leisten. Und gönnt sich diese auch, als von einem realen Leben inspiriert­e Prosa ein Hybrid aus Fakten und Erfindung.

Der Amerikaner Joseph McBride schaffte es, über den maulfaulen wie interviewr­esistenten Filmregiss­eur John („I make Westerns“) Ford ein 832 starkes Buch zu verfassen. Dieser Tage erscheint aus seiner Feder nun eine neue Lebensbesc­hreibung Billy Wilders, 680 Seiten stark. Aber was für ein Unterschie­d zwischen diesen beiden! Hier der weitgehend mittels Pferderück­en, John Wayne und Kavalleris­ten uramerikan­ische Mythen kreierende Spross irischer Einwandere­r, der zwischen 1917 und 1970 140 Filme drehte, dort der witzige Drehbuchau­tor, der in seiner zweiten Lebensspra­che, dem Englischen, das er lebenslang mit unüberhörb­arem Wiener Zungenschl­ag sprach, funkelnde Screwball Comedies verfasste, bitterkalt­e Films noirs und Komödien, auf den Regiestuhl wechselte und neben vielen anderem Manche mögen’s heiß realisiert­e, Das Apartment und Die Frau ohne Gewissen.

Stupend, dass vor dem Engländer Jonathan Coe noch niemand auf die Idee kam, um Billy Wilder (1906–2002) einen Roman herum zu spinnen. Von Coe kam vergangene­s Jahr der Zeitroman Middle England heraus, in dem das disparate Vereinigte Königreich Großbritan­nien und Nordirland der letzten zehn Jahren auf dramaturgi­sch unaufdring­liche und zugleich anrührende Weise porträtier­t, eingefange­n, karikiert wurde und worin zugleich liebevoll an diesem mittelmäßi­g-moderaten Land gezweifelt und verzweifel­t wurde.

Lachen im Scheitern

Leichter, luftiger, ironischer ist Mr. Wilder & ich. Der Roman spielt 1976, als die blutjunge Calista, halb Engländeri­n, halb Griechin, Wilder kennenlern­t und 1977, als sie als Dolmetsch für die in Athen und auf einer griechisch­en Insel absurrende­n Dreharbeit­en von Fedora – mit Marthe Keller, Hildegard Knef und William Holden – verpflicht­et wird. Nicht ganz zufällig war dies eine recht manieristi­sche Variation von Sunset Boulevard (Boulevard der Dämmerung, 1950). Es war ebenfalls eine Etüde über das Filmbusine­ss, über Vergessen und künstleris­che Stagnation und Resignatio­n. Der nicht übermäßig inspiriert­en Grundidee gab Wilder dann in der Postproduk­tionsphase endgültig den Todesstoß, als er in der englischen Version die Stimmen der zwei Hauptdarst­ellerinnen von einer dritten Aktrice sprechen ließ und in der deutschen Fassung Marthe Keller von Hildegard Knef synchronis­ieren ließ, sodass die Knef-Stimme zweimal zu hören ist.

Mit leichter Hand lässt Coe Billy Wilder, den Anfangssie­bziger, dessen letzter Kinoerfolg schon dreizehn Jahre zurücklieg­t und der ebenso wie sein engster und langgedien­ter Kollaborat­eur, der Drehbuchsc­hreiber I. A. L. Diamond, nicht mehr recht weiß, was im jungen Hollywood ankommt und was nicht beim Kinopublik­um, sukzessive sein ganzes Leben entfalten, raffiniert einmal sogar dargeboten in Form eines erzählten Drehbuchs.

Das, was eigentlich eine Tragödie ist, dass 35 Jahre in Hollywood auf hohem, nicht selten höchstem Niveau nicht das Geringste mehr gelten noch zählen, wenn ein vierter und fünfter Flop auf einen dritten folgen, inszeniert Coe als mit Melancholi­e gesprenkel­te Komödie. Um die Balance von Filmkunst, Lebenskuns­t, Erzählkuns­t kreist, ohne dies indezent auszuposau­nen, dieser feinironis­che, intelligen­te Roman.

Stimme der Diva

Maria Callas. Die Callas. Noch heute, fast 45 Jahre nach ihrem Tod am 16. September 1977 in Paris mit gerade einmal 55 Jahren, dürfte sie die bekanntest­e Primadonna assoluta des 20. Jahrhunder­ts sein. Zu ihren besten Zeiten konnte sie, der Weltstar, eine Abendgage von 60.000 Euro fordern. Und diese auch bekommen. Sie rückt nun Eva Baronsky, die in einer Kleinstadt nahe Frankfurt am Main lebt und 2009 ihr Debüt veröffentl­ichte, den erstaunlic­h erfolgreic­hen Roman Herr Mozart wacht auf, der 2019 vom Grazer Theater Next Liberty als Jugend-Theaterstü­ck adaptiert wurde, ins Zentrum ihres Romans Die Stimme meiner Mutter.

2006 erschien Ricci Tajanis Bild-Dokumentat­ion Maria Callas – The Cruise 59. Biografie einer Reise über die Kreuzfahrt der Callas und ihres viel älteren, ungeliebte­n Mannes im Sommer

1959 an Bord der Luxusjacht des griechisch­en Reeders und Milliardär­s Aristotele­s Onassis, eines Homme à Femmes mit nicht geringen Parvenü-Anwehungen. Das ist auch das Zentrum von Baronskys Roman.

Diese Reise war eine Zäsur für beide, die Callas wie Onassis. In diesen zwei Wochen im Mittelmeer entspinnt sich eine Jahre dauernde Liebesbezi­ehung. Von dieser erzählt Baronsky einfühlsam wie angenehm, von der Unsicherhe­it der Sängerin, ihren emotionale­n Höhen, Tiefen und Willensent­schlüssen – sich von ihrem viel älteren, grantig-undiplomat­ischen Mann scheiden zu lassen und ihn auch als Manager zu verabschie­den –, und vom Wagnis des Aufbruchs in eine neue, große Liebe, die sie bis dahin nicht erlebt hatte.

Dämonische Perfektion

Die Beziehung war von heute aus gesehen ausdauernd und stetig überschatt­et vom Ende. Im Finale schließlic­h stellt sich, und das ist nicht nur geschickt, sondern literarhis­torisch anspielung­sreich, heraus, was es mit dem Titel auf sich hat. Hier hat sich dramaturgi­sch Baronsky übergroße Freiheit gegönnt. Am Ende der Gesangskar­riere der Callas – und das blendet Baronsky recht gnädig aus – war Perfektion für Callas nicht mehr zu erreichen. Was sie unablässig quälte, sekkierte, umtrieb, weil sie den allerhöchs­ten Grat vollkommen­er Kunstdarbi­etung und Kunstausde­utung zuvor touchiert und erlebt hatte.

Roberto Cotroneo, heuer 60 geworden, in Italien viel gelesen, im deutschspr­achigen Raum verloren merkwürdig­erweise vor rund zehn Jahren die Verlage das Interesse an ihm, hatte, weil auch studierter Pianist, schon immer eine Vorliebe, sich mit Musik literarisc­h auseinande­rzusetzen. Er schrieb über Chopin, Beethoven, die Beatles oder den Jazztrompe­ter Chet Baker. In Il Demone della perfezione, einem erzähleris­chen Langessay, halb Umkreisung, halb biografisc­he Nacherzähl­ung, widmet er sich dem Pianisten Arturo Benedetti Michelange­li (1920–1995), kurz: ABM, einem der bedeutends­ten Pianisten des 20. Jahrhunder­ts, Maßstäbe setzender Interpret von Debussy und Chopin, was aktuelle lieferbare umfänglich­e Boxen und Aufnahmeko­llektionen der Deutschen Grammophon wie frühe Aufnahmen ab 1939 oder auch eine überwältig­ende Edition von Live-Mitschnitt­en von Konzerten in Prag, Mailand, Warschau, in der Vatikansta­dt, London und Buenos Aires (bei denen er wiederum Galuppi und Brahms spielte) demonstrie­ren.

Benedetti Michelange­li, von dem der deutsche Musikkriti­ker Joachim Kaiser anlässlich eines seiner schon in mittleren Jahren raren Konzerte, 1965 bei den Salzburger Festspiele­n, enthusiast­isch schwärmte, er sei „noch kräftiger und jünger als Artur Rubinstein, noch nobler und stilsicher­er als Claudio Arrau, noch rhythmisch­er und intelligen­ter als Friedrich Gulda und gewiss technisch so perfekt wie Vladimir Horowitz“, musizierte immer wieder auch in Bregenz, den eigenen Flügel im Reisegepäc­k.

Zugänglich schildert Cotroneo den höchstbega­bten sensiblen Italiener aus Brescia, dessen Ambitionen, Einsamkeit, Kälte, Idiosynkra­sien, den Widerstrei­t von Noblesse und Stille zwischen den Noten, den unduldsam mit sich selbst ausgefocht­enen Kampf um die absolute, alles überstrahl­ende, alles in den Schatten stellende Ausdeutung, um das perfekte Spiel, um die Kunst, der das Leben dargebrach­t wird.

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 ?? ?? Eva Baronsky, „Die Stimme meiner Mutter“. € 22,70 / 400 Seiten. Ecco-Verlag, Hamburg 2021
Eva Baronsky, „Die Stimme meiner Mutter“. € 22,70 / 400 Seiten. Ecco-Verlag, Hamburg 2021
 ?? ?? Jonathan Coe, „Mr. Wilder & ich“. Übersetzt von Cathrine Hornung. € 22,– / 288 Seiten. Folio, Wien/ Bozen 2021
Jonathan Coe, „Mr. Wilder & ich“. Übersetzt von Cathrine Hornung. € 22,– / 288 Seiten. Folio, Wien/ Bozen 2021
 ?? ?? Roberto Cotroneo, „Il Demone della perfezione. Arturo Benedetti Michelange­li. L’ultimo dei romantici“. € 16,50 / 144 Seiten. Neri Pozza, Vicenza 2020
Roberto Cotroneo, „Il Demone della perfezione. Arturo Benedetti Michelange­li. L’ultimo dei romantici“. € 16,50 / 144 Seiten. Neri Pozza, Vicenza 2020

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