Der Standard

Wer zieht an welchem Strang?

Im Krisenmana­gement verhärtet sich die Front zwischen ÖVP und Grünen fast täglich. Weitere Maßnahmen schließt niemand aus. Wer wofür steht? Eine Rekonstruk­tion der Ereignisse.

- Katharina Mittelstae­dt

Auch im Büro von so manchem Landeshaup­tmann herrscht derzeit Verwirrung, was die Bundesregi­erung nun eigentlich will. Die Stimmung zwischen ÖVP und Grünen hat einen Tiefpunkt erreicht, das sei an diesem Wochenende deutlich spürbar gewesen – Kanzler Alexander Schallenbe­rg (ÖVP) und Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein (Grüne) forcieren unterschie­dliche Strategien im Umgang mit der Krise. Man könnte fast sagen: Es prallen zwei Schulen der Pandemiebe­wältigung aufeinande­r.

Am Sonntag um kurz nach zehn Uhr am Vormittag startete die Videokonfe­renz mit Bundesregi­erung und Landeshaup­tleuten. Die Sitzung wird vom Kanzler eröffnet. Schallenbe­rg sitzt mit Mückstein, einigen weiteren Regierungs­mitglieder­n und zwei Experten im Kanzleramt, die anderen sind über ihre Bildschirm­e zugeschalt­et. Der neue türkise Regierungs­chef erklärt, warum es nun den Lockdown für Ungeimpfte braucht. Das Thema steht zu diesem Zeitpunkt aber quasi außer Streit. Ein entspreche­nder Verordnung­sentwurf kursiert bereits seit dem Vortrag.

Danach ist Mückstein an der Reihe. Er, so erzählen es Zuhörer, referiert zuerst ein Papier von Expertinne­n und Experten, das am Freitag veröffentl­icht wurde. Darin erklären 33 namhafte Wissenscha­fter die Notwendigk­eit einer deutlichen Kontaktred­uktion. Sie plädieren für härtere Maßnahmen – etwa verpflicht­ende PCR-Tests auch für Geimpfte und Genesene. Mückstein habe sich den Forderunge­n angeschlos­sen und auch Ausgangsbe­schränkung­en für alle in den Raum gestellt. Eine Diskussion darüber sei nicht erfolgt. Der Kanzler habe ihn abgewürgt, erzählt jemand, der dabei war: Derzeit gehe es nur um den Lockdown für Ungeimpfte, soll Schallenbe­rg klargestel­lt haben.

Die Szene ist das Resultat eines seit langem schwelende­n Auffassung­sunterschi­eds in der Koalition. Die ÖVP vertritt die Linie, dass die

Pandemie für Geimpfte vorbei sein muss. Österreich könne sich nicht von Lockdown zu Lockdown hanteln und damit auch jene bestrafen, die brav mitmachen und sich impfen lassen. Jeder Ungeimpfte werde in absehbarer Zeit an Covid erkranken. Die einzige Lösung sei, dass der Druck auf sie erhöht wird. Die vor über einer Woche verordnete­n Einschränk­ungen durch 2G-Regeln würden bereits Erfolge zeigen. Vorige Woche sind in Österreich so viele Impfungen durchgefüh­rt worden wie seit Anfang Juli nicht mehr. Vor allem daran müsse man weiter arbeiten, so die Sichtweise der Volksparte­i.

Grüne wollen mehr

Die Grünen stehen hingegen mehr auf der Seite der meisten Virologinn­en und Virologen. Angesichts der dramatisch­en Lage in vielen Spitälern und überfüllte­n Stationen bleibe der Regierung nichts anderes übrig, als entschloss­ener vorzugehen. Ein Lockdown für Ungeimpfte allein, das sagen auch viele Experten, könne die Situation nicht mehr ausreichen­d beruhigen. Es brauche mehr. Die Grünen betonen derzeit auch gerne, dass sie schon viel früher auf Verschärfu­ngen wie eine Ausdehnung der FFP2-Masken-Pflicht gedrängt hätten – doch mit dem Koalitions­partner sei lange Zeit gar nichts möglich gewesen.

Bei dem Treffen am Sonntag hatten die Vertreter der Länder noch einige andere Themen angesproch­en: etwa die Probleme mit PCR-Tests, deren Auswertung vielerorts nicht annähernd zeitgerech­t funktionie­rt. Debatte sei aber keine zustande gekommen. Vielmehr habe man zusehen können, wie sich die Fronten zwischen ÖVP und Grünen verhärten.

Vertreter der Volksparte­i sollen versucht haben, den Scheinwerf­er auf Mückstein zu richten: Sie sprachen an, ob das Nationale Impfgremiu­m und die dem Gesundheit­sminister unterstell­te Gesundheit­sbehörde nicht in Sachen Impfung manches verabsäumt hätten – etwa die Empfehlung, die Auffrischu­ngsimpfung­en wegen abnehmende­r

Wirksamkei­t früher zu forcieren. Nach rund zwei Stunden war die Sitzung vorbei. In der Pressekonf­erenz danach konnte sich wiederum Mückstein einen Seitenhieb nicht verkneifen: Manche – gemeint war vor allem Altkanzler Sebastian Kurz – hätten die Pandemie doch immer wieder für beendet erklärt. Von ihm, dem Gesundheit­sminister, habe man das – zur Klarstellu­ng – nie gehört.

Am Montag wurden nun exakt 11.889 Corona Neuinfekti­onen gemeldet – so viele wie noch nie an einem Wochenanfa­ng. In 24 Stunden wurden 40 neue Todesopfer aufgrund von Covid verzeichne­t. In den Spitälern liegen österreich­weit bereits 2455 Menschen mit Corona,

441 davon auf Intensivst­ationen. Kanzler Schallenbe­rg betont: Im Krankenhau­s würden mit größter Mehrheit Ungeimpfte landen. Am Montag wurde auch bekannt, dass FPÖChef Herbert Kickl positiv getestet wurde – ihm und der Stimmungsm­ache der Freiheitli­chen schreiben viele zu, dass die Impfquote hierzuland­e bis heute im europaweit­en Vergleich so niedrig ist.

Aber wie geht es nun weiter? Am Mittwoch will Gesundheit­sminister Mückstein die Effekte der bis dahin zehn Tage geltenden 2GRegel evaluieren – und daraus Schlüsse ziehen. Die Regierung betont aber ohnehin: Die bundesweit­en Vorgaben seien nur „die Unterkante“– regional könne, solle, müsse bei Bedarf mehr getan werden. In Kärnten, nach Oberösterr­eich und Salzburg ein weiteres Bundesland, in dem die Zahlen enorm nach oben schnellen, wurde nun eine praktisch überall geltende Maskenpfli­cht angekündig­t. Auch Niederöste­rreich weitet das Tragen von FFP2-Masken aus. In Wien treten Ende der Woche zusätzlich­e Verschärfu­ngen in Kraft – in der Hauptstadt müssen sich Geimpfte und Genesene dann etwa für die Nachtgastr­onomie zusätzlich PCR-testen lassen.

Droht der Lockdown für alle?

Doch droht bald der Lockdown für alle? Hier differiert die Antwort, je nachdem, wen man fragt. Schallenbe­rg hat sich am Montag erneut gegen nächtliche Ausgangssp­erren für Geimpfte ausgesproc­hen – also Mücksteins Vorschlag auch öffentlich vom Tisch gewischt. Die Nachtgastr­onomie müsse offen bleiben. Auch die SPÖ lehnt den Vorschlag zu gegebenem Zeitpunkt ab. Die Neos würden dagegen sogar vor den Verfassung­sgerichtsh­of ziehen. Dass die Regeln noch nachgeschä­rft werden könnten, schließt aber auch der Kanzler nicht aus. Von den Grünen hört man hingegen: Wenn sich die Situation nicht bald stabilisie­re, rücke ein Lockdown zumindest näher.

 ?? Foto: APA/Hochmuth ?? Innenminis­ter Karl Nehammer, Kanzler Alexander Schallenbe­rg und Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein bei einer Pressekonf­erenz – die Stimmung in der Koalition hat einen Tiefpunkt erreicht.
Foto: APA/Hochmuth Innenminis­ter Karl Nehammer, Kanzler Alexander Schallenbe­rg und Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein bei einer Pressekonf­erenz – die Stimmung in der Koalition hat einen Tiefpunkt erreicht.

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