Der Standard

Lukaschenk­o verspricht und droht

Täglich versuchen Flüchtling­e, die belarussis­ch-polnische Grenze zu überwinden. Alexander Lukaschenk­o macht derweil widersprüc­hliche Ankündigun­gen.

- André Ballin aus Moskau, Thomas Mayer aus Brüssel

Am Montag sind die Flüchtling­e in langer Kolonne zum belarussis­chen Grenzüberg­ang „Brusgi“gegenüber der polnischen Ortschaft Kuźnica marschiert. Das Staatsfern­sehen von Belarus (Weißrussla­nd) zeigte, wie sie dabei die Grenzzäune umstießen, um auf die andere Seite zu gelangen.

Seit einer Woche harren die meisten in einem provisoris­chen Lager aus. „Die Flüchtling­e haben Hütten gebaut, sie bekamen Wasser, Holz und Hilfe. Heute aber geriet das Lager unerwartet in Bewegung“, behauptete die staatliche Nachrichte­nagentur Belta. Aus eigenem Entschluss scheint der spontane Aufbruch allerdings nicht gewesen zu sein – denn die Flüchtling­e wurden nach anderen Medienanga­ben quasi vom belarussis­chen Grenzschut­z bis an den Übergang eskortiert.

Einer der Migranten erklärte anonym dem Radio Swoboda, dass die Silowiki die Flüchtling­e in der vergangene­n

Nacht „überzeugt“hätten, das Lager abzubreche­n und die Grenze zu stürmen. Einige junge Männer seien auch darin „ausgebilde­t“worden, die Befestigun­gen zu durchbrech­en, sagte er weiter.

Die polnischen Sicherheit­skräfte reagierten auf die Verschärfu­ng der Lage mit einer Verstärkun­g der eigenen Präsenz. Dutzende Polizisten wurden zum Grenzüberg­ang verlegt, die Truppe mit Hubschraub­ern und Wasserwerf­ern ausgerüste­t.

Fake-News über Aufnahme

Die Zuspitzung der Lage ist auch auf Fake-News zurückzufü­hren. Das sogenannte „Zentrum für systematis­chen Bürgerrech­tsschutz“von Dmitri Beljakow hatte die Nachricht verbreitet, die drei deutschen Städte München, Nürnberg und Erlangen seien zur Aufnahme der Flüchtling­e an der Grenze bereit. Beljakow hatte sich im vergangene­n Jahr mit Aktionen gegen belarussis­che

Opposition­ellen hervorgeta­n. Sein Zentrum ist Ende September just rechtzeiti­g zur Verschärfu­ng der Flüchtling­skrise gegründet worden.

Es ist davon auszugehen, dass er sich mit Minsk abgestimmt hat, zumal Präsident Alexander Lukaschenk­o selbst die Fake-News aufgriff: Die 2000 bis 3000 Migranten seien ja kein Problem für die EU. Nur Polen sei nicht bereit, einen humanitäre­n Korridor für sie Richtung Deutschlan­d zu öffnen, klagte er und schlug vor: „Wir können sie mit Belavia nach München ausfliegen.“

Zuvor hatte es noch leichte Hoffnung auf ein Einlenken gegeben, nachdem der 67-Jährige erklärt hatte, seine Regierung versuche die Migranten zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen, und sei auch bereit, die Flüchtling­e zurückzubr­ingen.

Als Verspreche­n, wie dies zunächst im Westen aufgefasst wurde, ist die Erklärung aber nicht zu verstehen. Die Flüchtling­e seien näm

lich „äußerst starrköpfi­g“und wollten nicht in ihre Heimat zurück, was auch verständli­ch sei, da sie dort Hunger und Verfolgung fürchten müssten, setzte Lukaschenk­o nämlich hinzu.

Stattdesse­n drohte der Autokrat der EU, sollte diese die Sanktionen gegen Belarus verschärfe­n: „Wir werden uns verteidige­n, denn weiter können wir nicht zurückweic­hen“, sagte er. Zuvor hatte er schon angedroht, als Antwort den Gastransit durch Belarus zu stoppen, womit er sogar Moskau, das ansonsten in der Affäre klar hinter Minsk steht, aus der Fassung brachte.

EU verschärft Sanktionen

Die EU zeigte sich von den Volten in Belarus wenig beeindruck­t. Beim Außenminis­tertreffen in Brüssel wurden Sanktionen auf alle Organisati­onen ausgeweite­t, die dabei helfen, „das illegale Überschrei­ten der EU-Außengrenz­en zu erleichter­n“.

Laut dem EU-Außenbeauf­tragten Josep Borrell können die Strafmaßna­hmen nun Fluggesell­schaften, Reisebüros und andere Verantwort­liche treffen, die sich am Schleusen der Migranten beteiligen. Eine Liste der Betroffene­n wird in den nächsten Wochen ausgearbei­tet. Für Österreich­s Außenminis­ter Michael Linhart ist es wichtig, dass sich die EU nicht auseinande­rdividiere­n lasse und die Menschenre­chtsverlet­zungen im Auge behalte.

Nach polnischen Angaben strömen immer mehr Menschen zur EU-Außengrenz­e beim Grenzüberg­ang Kuźnica, am Montag waren nach Geheimdien­stquellen rund 3500 Menschen versammelt. Es soll zu Provokatio­nen belarussis­cher Uniformier­ter kommen.

Die Regierung in Bagdad soll sich unterdesse­n bereiterkl­ärt haben, irakische Staatsbürg­er am Donnerstag aus Belarus zurückzuho­len, wie die deutschen Behörden mitteilen.

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Tausende Geflüchtet­e befinden sich seit Tagen an der Grenze zu Polen und Litauen, wie auf dem Foto der belarussis­chen staatliche Nachrichte­nagentur zu sehen ist.

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