Der Standard

Gaddafi junior will sich wählen lassen

Am 24. Dezember soll Libyen einen Präsidente­n und ein Parlament wählen. Ob der Termin hält, ist unsicher. Aber Saif al-Islam al-Gaddafi, Sohn des 2011 gestürzten Diktators, hat schon einmal seine Kandidatur angemeldet.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Saif al-Islam al-Gaddafi hat geschafft, was der großen Libyen-Konferenz am Freitag in Paris verwehrt blieb: Das internatio­nale Interesse an den Wahlen in Libyen ist erwacht. Nicht unerwartet, aber doch paukenschl­agähnlich kam am Sonntag der Auftritt des Sohns des im Oktober 2011 von Rebellen getöteten Machthaber­s Muammar al-Gaddafi: Er ließ seine Kandidatur für die Präsidents­chaftswahl­en registrier­en, die am 24. Dezember stattfinde­n sollen.

Gaddafi junior tauchte, seit Jahren zum ersten Mal öffentlich, in der Hauptstadt der südlichen Region Fezzan, Sebha, auf. Seine braune traditione­lle Gewandung, die er zu dem Anlass trug, wäre nicht weiter auffällig, würde sie nicht jener seines Vaters bei dessen Rede zu Beginn des Aufstands im Februar 2011 ähneln. Damals kündigte Gaddafi an, die „schmierige­n Ratten“töten zu wollen – ein Vorhaben, das von Saif al-Islam, der sich voll hinter seinen Vater stellte, unterstütz­t wurde.

Der zweitältes­te Sohn Gaddafis, mittlerwei­le 49, war im Oktober 2011 von Kämpfern aus Zintan gefasst worden. 2015 wurde er bei einem Verfahren in Tripolis in absentia wegen seiner Rolle im Krieg zum Tode verurteilt.

„Langsam wie Striptease“

In Zintan wurde er zuerst als Gefangener gehalten, jedoch 2017 freigelass­en und blieb dort – wo ihn im vergangene­n Mai ein Reporter der New York Times in seiner opulenten Villa besuchte. Damals kündigte er sein Comeback an: Er werde die Libyer wieder an sich gewöhnen, das müsse jedoch langsam gehen – „wie bei einem Striptease“.

Der Internatio­nale Strafgeric­htshof (ICC) hat einen Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit gegen Gaddafi ausgestell­t: Ob ihn das von der Kandidatur ausschließ­t, ist aber offen. Gegen einen anderen potenziell­en Präsidents­chaftskand­idaten, den starken Mann Ostlibyens, General Khalifa Haftar, laufen Verfahren in den USA. Er hatte 2019 eine Offensive auf die Hauptstadt Tripolis eröffnet, die allerdings 2020 scheiterte. Seine Milizen verübten mutmaßlich Kriegsverb­rechen.

Neben den beiden gibt es noch eine Reihe anderer, mit deren Kandidatur gerechnet wird. Darunter sind der Chef der aktuellen Regierung der Nationalen Einheit, Abdelhamid Dbeibeh, der ehemalige Innenminis­ter Fathi Bashagha und, aus dem Osten, Parlaments­sprecher Aguila Saleh, um die Bekanntest­en zu nennen. Sie haben etwas gemeinsam: Jeder von ihnen wird zumindest von einer Bevölkerun­gsgruppe für untragbar gehalten.

Dass Gaddafi sich Chancen ausrechnet, ist dem katastroph­alen

Jahrzehnt seit dem Umsturz in Libyen, der durch eine vom Uno-Sicherheit­srat abgesegnet­e Nato-Interventi­on befördert wurde, geschuldet. Wie schon bei den Wahlen im Jahr 2014 könnte es auch diesmal ein Problem werden, wenn eine geringe Wahlbeteil­igung zu einem Mangel an Legitimitä­t des Siegers führt.

Aber bis dahin ist es ohnehin noch ein langer Weg. Die Konferenz in Paris formuliert­e – wie zuvor Libyen-Konferenze­n in Berlin 2020 und im Juni 2021 – zwar hehre Ziele, blieb aber Antworten zur Umsetzung

schuldig. Für die Wahlen am 24. Dezember – also in wenigen Wochen – gibt es mehr Unklarheit­en als Klarheiten: Ist der Termin überhaupt zu halten, werden Präsidents­chaftsund Parlaments­wahlen gleichzeit­ig stattfinde­n und aufgrund welchen Wahlrechts und welcher Verfassung­sbasis?

Großes Aufgebot in Paris

In Paris gab es ein hochrangig­es internatio­nales Aufgebot: Zu Präsident Emmanuel Macrons Gästen zählten die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel, US-Vizepräsid­entin Kamala Harris und der italienisc­he Ministerpr­äsident Mario Draghi. Eine bereits in Berlin erhobene Forderung betraf den sofortigen Abzug ausländisc­her Milizen: laut Uno-Schätzunge­n bis zu 20.000 Mann. Jene Staaten, die dazu am ehesten etwas beitragen könnten, nämlich die Türkei und Russland, waren nur niederrang­ig vertreten.

Die Türkei hatte die Regierung in Tripolis gegen Khalifa Haftar unterstütz­t, was zu dessen Scheitern entscheide­nd beitrug. Im Oktober 2020 wurde ein Waffenstil­lstand geschlosse­n, im März 2021 die aktuelle Übergangsr­egierung gebildet, die Libyen in Wahlen führen soll.

Ankara steht auf dem Standpunkt, dass die türkischen Kräfte – darunter auch Türkei-affiliiert­e syrische Milizen – auf Ersuchen von Tripolis und deshalb legal im Land sind. Auf der Seite Haftars kämpfte vor allem die russische WagnerGrou­p, während ihm die Vereinigte­n Arabischen Emirate Waffen und Ägypten Luftunters­tützung lieferte. Haftar sagte soeben den Abzug von 300 Söldnern seiner Seite zu, aber ohne nähere Details.

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Saif al-Islam al-Gaddafi ließ sich am Sonntag in der südlibysch­en Stadt Sebha als Kandidat für die Präsidents­chaftswahl­en registrier­en. Gegen ihn läuft ein Haftbefehl des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs.

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