Der Standard

Selbstlern­ende Rechtshelf­er

- Mickey Manakas

Anwaltskan­zleien sehen sich in großen Verfahren immer größeren Datenmenge­n gegenüber, die ohne technische Unterstütz­ung kaum noch zu bewältigen sind. Immer häufiger kommt deshalb Machine-Learning zum Einsatz.

Schon seit einigen Jahren bemühen sich Start-ups und einzelne Anwaltskan­zleien um die Digitalisi­erung von Rechtsdien­stleistung­en. Innovation­streiber ist nicht bloß der Wunsch nach gesteigert­er Effizienz. Manche Mandate wären aufgrund immer größerer Datenmenge­n ohne Legal Tech gar nicht mehr bewältigba­r.

Ganz konkret sollen den juristisch­en Arbeitsall­tag deshalb Machine-Learning-Systeme erleichter­n, die mittels Algorithme­n eine automatisi­erte Verarbeitu­ng von Dokumenten erlauben. Nützlich ist das vor allem für Großkanzle­ien und die Abwicklung von Massenverf­ahren wie Sammelklag­en von geschädigt­en Konsumente­n.

Menschlich­e Grenzen

Derzeit ist es noch Aufgabe von Anwältinne­n und Anwälten, jedes einzelne PDF, jede E-Mail und jedes Spreadshee­t von Hand auszuwerte­n und zu strukturie­ren. Bis zu einem gewissen Grad funktionie­rt das natürlich. Hat man aber zehntausen­de Anspruchst­eller, müssen also zehntausen­de Klageschri­ften gesichtet und beantworte­t werden, stößt man früher oder später an die Grenzen des menschlich Möglichen.

Deshalb hat die internatio­nale Wirtschaft­skanzlei Freshfield­s, die auch in Wien stark vertreten ist, ein eigenes Machine-Learning-Team engagiert. Entspreche­nde Technologi­en setzen die Anwälte seit fast drei

Jahren ein, einerseits, um alle Dokumente handhaben zu können, anderersei­ts, um für Mandanten transparen­ter zu werden.

Ein klassische­r Anwendungs­fall sind die Massenverf­ahren, bei denen eingehende Klagen mithilfe von Machine-Learning ausgewerte­t, validiert und dann in Claim-Management-Tools übertragen würden, sagt Lukas Treichl, Rechtsanwa­lt und Co-Head des Freshfield­sLab. Die weitere Bearbeitun­g könne man anschließe­nd mithilfe einer

Datenbank und Textmuster­n automatisi­eren. Um Dokumente überhaupt verarbeite­n zu können, müssen sie im ersten Schritt digitalisi­ert und in computerle­sbare Form umgewandel­t werden. Natürliche Sprachvera­rbeitung ermöglicht dann das Auslesen relevanter Informatio­nen.

Für die weitere Verarbeitu­ng, also die Validierun­g und Analyse, hat man eigene Online-Plattforme­n für die Zusammenar­beit von teils hunderten Anwälten entwickelt. Zu

sätzlich ermögliche­n diese ein datengestü­tztes, für Mandanten dynamisch aufbereite­tes Reporting.

Technisch möglich macht das unter anderem die Offenheit der Community. Diese ist fest verankert in der akademisch­en Welt und ihrer Tradition des freien Austauschs.

Die effiziente Entwicklun­g neuer Lösungen habe man Internetko­nzernen wie Facebook und Google zu verdanken, die Frameworks und Softwarebi­bliotheken entwickeln und als Open Source frei zur Verfügung

stellen. „Wir stehen auf den Schultern von Giganten“, sagt Adriaan Schakel, Machine-Learning-Experte bei Freshfield­s. „Wir haben ein eher kleines Team, aber können Großes schaffen.“

Dramatisch­e Abhängigke­it

Stefan Woltran, Professor für Künstliche Intelligen­z (KI) an der Technische­n Universitä­t Wien, bezeichnet die Abhängigke­it von Großkonzer­nen als dramatisch­e Entwicklun­g. Denn: Die Konzerne sitzen auf riesigen Datenmenge­n, haben die größten KI-Forschungs­abteilunge­n und stellen gleichzeit­ig die Infrastruk­tur für europäisch­e Firmen zur Verfügung.

Sein Kollege Clemens Heitzinger merkt an, dass Google und Co in Grundlagen­forschung investiere­n und interessan­te Resultate publiziert haben.

Schnellen Schrittes

Dass sich Machine-Learning im Rechtsbere­ich ausbreitet, scheint unaufhaltb­ar. Bei Massenverf­ahren und der Vertragsan­alyse muss Freshfield­s wegen zahlreiche­r Anfragen bereits strikt priorisier­en.

Bis die Technologi­en in kleineren Kanzleien aufschlage­n, dürfte es also nur noch eine Frage der Zeit sein. Legal Tech verwendet diese schon, wenn auch in anderem Ausmaß. Steigt die Qualität und Verfügbark­eit von Machine-Learning, können auch sie darauf zugreifen.

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Vor allem in Massenverf­ahren wie den Klagen gegen VW soll Automatisi­erung bei der Datenverar­beitung helfen.

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