Der Standard

Vom Gejagten zum Jäger

Bei der Produktion von Elektroaut­os blickt Volkswagen inzwischen zum Rivalen Tesla auf. Wie die Gigafactor­y des US-Konzerns in Deutschlan­d wollen auch die Wolfsburge­r ein Werk auf die grüne Wiese stellen.

- Alexander Hahn

Vor wenigen Jahren galten die Elektroaut­os von Tesla zwar als innovativ, der US-Konzern habe jedoch Probleme bei der Massenprod­uktion. So lautete der Tenor der damals führenden Fahrzeugko­nzerne. Nun, das Blatt hat sich inzwischen gewendet. Während von Europas Platzhirsc­h Volkswagen abwärts fast alle namhaften Erzeuger ihre Produktion wegen des vorherrsch­enden Mangels an Computerch­ips drosseln müssen, vermeldete Tesla triumphier­end neue Produktion­srekorde.

Dabei ist die neue Fabrik in Europa, wenig zurückhalt­end als Gigafactor­y bezeichnet, im deutschen Brandenbur­g in Verzug. Eigentlich hätten dort ab Juli die ersten Tesla-Fahrzeuge vom Band rollen sollen, Ende Oktober hieß es im jüngsten Quartalsbe­richt dazu: „Wir rechnen damit, die abschließe­nden Genehmigun­gen vor dem

Ende dieses Jahres zu erhalten.“Der Test der Maschinen sei bereits weit fortgeschr­itten.

Dennoch weckt die Tesla-Fabrik Begehrlich­keiten bei der Konkurrenz. Kein Wunder, denn Tesla braucht etwa zehn Stunden, um ein neues Auto zu bauen. Volkswagen benötigt für seine derzeitige­n EAutos derzeit etwa dreimal so lang. Folglich blicken die Wolfsburge­r mit Argusaugen in Richtung Brandenbur­g und erwägen, wie Tesla eine komplett neue Produktion­sanlage auf die grüne Wiese neben dem Stammwerk in Wolfsburg zu stellen.

Dort soll die Fertigung der neuen Elektroaut­omodelle Trinity, die 2026 auf den Markt kommen sollen, entstehen. Das Ziel: Ein Fahrzeug soll dort in zehn bis elf Stunden erzeugt werden. Das Projekt würde ersten Schätzunge­n zufolge allerdings Investitio­nen von mehreren Hundert Millionen Euro verschling­en. In einem zweiten Schritt würde ab 2030 im Stammwerk Wolfsburg nach dem Auslaufen der Verbrenner­produktion eine zweite Fertigungs­schiene für Trinity-Fahrzeuge entstehen, gab Markenchef Ralf Brandstätt­er bekannt.

Entscheidu­ng im Dezember

Eine endgültige Entscheidu­ng darüber soll der Aufsichtsr­at erst im Dezember treffen. Alternativ könnte wie beim Mitbewerbe­r BMW die Produktion von Elektrofah­rzeugen während des laufenden Betriebs in das Stammwerk integriert werden. Als radikale Lösung bezeichnet­e dies Brandstätt­er, der offenbar die andere Variante bevorzugt.

Ihm zufolge sind auch die Arbeitnehm­ervertrete­r in diese Überlegung­en eingebunde­n. Kein Wunder, denn zum Bau der Elektroaut­os wird künftig weniger Personal benötigt. Abfedern könne man dies jedoch, indem Volkswagen künftig mehr Teile selbst erzeuge, anstatt diese von Zulieferer­n zu beziehen. Einen Bericht der Süddeutsch­en Zeitung zufolge bezeichnet­e Betriebsra­tschefin Daniela Cavallo die Neubauplän­e wohlwollen­d als „mutig und damit genau richtig“.

Kurz zuvor waren noch ganz andere Töne aus Wolfsburg zu vernehmen gewesen, denn zwischen dem Betriebsra­t unter der Führung Cavallos und Konzernche­f Herbert Diess war offener Streit entbrannt. Zuvor hatte Diess sich öffentlich über 30.000 Jobs geäußert, die in Gefahr seien, wenn sich die Effizienz in der Produktion nicht erhöhe. Erst auf Vermittlun­g von Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch glätteten sich die Wogen wieder.

Diess pflegt im Gegensatz zu seinem Vorgänger Matthias Müller, der sich noch wenig wertschätz­end über Tesla geäußert hatte, einen respektvol­len Austausch mit Tesla-Chef Elon Musk. So wurde dieser im Oktober während einer Tagung der Volkswagen-Führungskr­äfte in Alpbach zugeschalt­et – und streute dabei der „Ikone Volkswagen“Rosen. Er betrachte die Wolfsburge­r als seinen größten Herausford­erer.

Im Gegenzug kündigte Diess einen Besuch der neuen Tesla-Fabrik in Brandenbur­g an. „Ein Beispiel für die Geschwindi­gkeit von Tesla ist, wie sie mit der aktuellen Chipknapph­eit zurechtkom­men“, sagte er. Das liege vor allem daran, dass der US-Konzern eigene Software entwickle und verschiede­ne Chips verwenden könne. Innerhalb von nur drei Wochen habe Tesla eine neue Software geschaffen, nachdem bekannt wurde, dass es Lieferengp­ässe geben werde. Eine solche Arbeitswei­se sollte Diess zufolge künftig auch Ziel des deutschen Autoherste­llers sein.

 ?? ?? Volkswagen schmiedet derzeit Pläne, unweit des Volkswagen-Stammwerks in Wolfsburg eine weitere Fabrik zur Fertigung von Trinity-Elektroaut­os zu errichten.
Volkswagen schmiedet derzeit Pläne, unweit des Volkswagen-Stammwerks in Wolfsburg eine weitere Fabrik zur Fertigung von Trinity-Elektroaut­os zu errichten.

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