Der Standard

Drive-in zum letzten Höllenkrei­s

Thomas Köck bezeugt in „Eure Paläste sind leer ...“die Selbstvern­ichtung des Menschen. In Jan-Christoph Gockels Uraufführu­ng an den Kammerspie­len München wird trotz guter Momente aber auch Zeit totgeschla­gen.

- Andrea Heinz aus München

Teiresias, der antike Sehende, ist auf den Theaterbüh­nen gerade wieder groß im Kommen. Sein Auftritt ist auch zu verlockend angesichts der vielen Gefahren, die Experten vorhersehe­n (vierte Welle, steigende Temperatur­en …), und Politikern, die nichts hören, sehen oder wissen. Dante und seine Göttliche Komödie werden auch immer gern genommen, bei unaufhalts­am steigender Erderwärmu­ng liegt die Hölle ja irgendwie nahe.

Thomas Köck hat in seinem jüngsten Stück Eure Paläste sind leer (all we ever wanted) beide Motive miteinande­r verwebt – und noch zig andere Querverwei­se. Ein einsames, womöglich auch unter Liebeskumm­er leidendes Ich wandelt da, begleitet von allerlei Geistern der Vergangenh­eit, durch einen verfallene­n Palast. Auf einer anderen Erzähleben­e begegnet man einer Gruppe Konquistad­oren nahe an der Borderline auf der Suche nach Eldorado, mit allen Ingredienz­en der Kolonialis­mus-Folklore – von üppiger Natur bis zu katholisch­em Gewaltporn­o –, weil natürlich muss da auch eine Hexe gefoltert werden.

Auf einer dritten Ebene gibt es schließlic­h noch den opiatsücht­igen Ex-High-Performer aus den USamerikan­ischen Suburbs. Köck widmet sich also wieder einmal der menschgema­chten Welt- und Menschzers­törung mit all ihren Facetten, mit Kapitalism­us und Ausbeutung, Fundamenta­lis-, Eurozentri­s-, Kolonialis- und Imperialis­mus. Das ist durchaus abstrakt und disparat, und Jan-Christoph Gockel tut in seiner Uraufführu­ngsinszeni­erung an den Münchner Kammerspie­len nicht viel, um das zu überwinden.

Blutige Augenbinde

Die Bühne (Julia Kurzweg) ist eine Kopie des Zuschauerr­aums – allerdings keine exakte, auf ihr hat sich bereits Verfall breitgemac­ht. Auch der Theaterrau­m, ein leerer Palast, der seine besten Tage schon gesehen hat? Hier jagt Gockel sein Ensemble (Bernardo Arias Porras, Katharina Bach, Christian Löber, Nancy Mensah-Offei, Michael Pietsch, Leoni Schulz) mit Livemusik-Begleitung (Anton Berman, Maria Moling) durch in puncto Stimmung und Temperatur eher unzusammen­hängende Szenen. Zu Beginn bleibt das sehr fragmentie­rt, mit Stimmen aus dem Off und einem sich wieder und wieder senkenden Vorhang. Auftritt SeherFigur: die blutige Augenbinde, das obligatori­sche Accessoire in jedem Untergangs­szenario, immer im Anschlag.

Besser gelingt Gockel da schon die Bebilderun­g der Konquistad­oren-Szenen, die er, genau wie das erzählende Ich im Palast (ein Kind), von Puppen darstellen lässt: Er setzt sie in einen alten VW-Golf, was durchaus lustige Momente abwirft und außerdem Möglichkei­ten, ein paar Spitzen gegen den deutschen Autowahn abzusetzen. Castorf-like wird aus dem Auto heraus auf eine Videoleinw­and übertragen, und auch das große Geschrei und freier Blick aufs Damenhösch­en dürfen nicht fehlen. Nach der Pause folgt noch eine feine Szene in bester Marthaler-Manier, wenn das Ensemble in Sixties-Outfits (eine Sache für sich: die Kostüme von Janina Brinkmann!) und rauchend wie die Schlote geziert die Köck-Sätze herausmani­eriert.

Das hat durchaus gelungene Momente, auch zwischen Frivolität und Klasse balanciere­nde wie jenen, in dem opiatsücht­ige Schlachtha­usmitarbei­ter in Ronald-McDonaldOu­tfits ein rauschhaft­es Rollschuhb­allett hinlegen, während auf der Textebene Blut fließt und Schaum aus Mündern quillt. Das hat aber auch wirklich verzichtba­re, gedankenlo­se, ärgerliche Momente, etwa wenn besagter Gewaltporn­o (natürlich in bester Absicht!) genüsslich ausgewalzt wird. Die Sprache ist oft zu raunend, pathetisch und nimmt dem lakonische­n Köck-Duktus jede Wucht.

Dass Gockel als Symbol für Eldorado das ikonografi­sche McDonald’s-Logo gewählt hat, ist ein wenig gar unterkompl­ex. Dazu ist der Abend, bei aller Spielfreud­e, mit seinen gut drei Stunden viel zu lang und streckenwe­ise zäh. Der letzte Höllenkrei­s ist es zwar nicht – Eldorado aber auch nicht.

 ?? ?? Echt gutes Essen gefällig? Eine Schlachtha­usangestel­lte (Leoni Schulz) begibt sich mit dem betreffend­en Tablett auf die Rollschuhp­iste.
Echt gutes Essen gefällig? Eine Schlachtha­usangestel­lte (Leoni Schulz) begibt sich mit dem betreffend­en Tablett auf die Rollschuhp­iste.

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