Der Standard

Die Quadratur des Kreises

Das Ehrenmal Karl Luegers in Wien soll eine „künstleris­che Kontextual­isierung“bekommen. Das Entscheide­nde steht jedoch noch bevor. Um die politische Pattstellu­ng aufzulösen, darf sich die Kunst nicht vereinnahm­en lassen.

- Rainer Fuchs

Der Streit um das Ehrenmal von Karl Lueger scheint nun gelöst: Es soll künstleris­ch kontextual­isiert werden. Bemerkensw­erterweise informiert­e die SPÖ-Kulturstad­trätin Veronica Kaup-Hasler die Medien darüber just zu einem Zeitpunkt, an dem gerade im Mumok eine von der Licra, der internatio­nalen Liga gegen Rassismus und Antisemiti­smus in Österreich, unter ihrem Präsidente­n Benjamin Kaufmann sowie von der Philosophi­n und Akademie-Professori­n Ruth Sonderegge­r initiierte Veranstalt­ung bezüglich des Lueger-Ehrenmals stattgefun­den hat. Während in der Veranstalt­ung, an der die Stadträtin selbst teilnahm, ein offener Diskurs über die Veränderun­g oder Entfernung des Ehrenmals sowie die Umbenennun­g des Platzes geführt wurde, schuf die APA-Aussendung über die Kontextual­isierung vollendete Tatsachen.

Es konnte nun so aussehen, als ob die Diskussion im Mumok geradewegs zu diesem Ergebnis geführt hätte, was aber in Wahrheit nicht zutrifft. Denn dort ging es darum, ein zu Recht emotionsge­ladenes Thema auf eine möglichst faktenbasi­erte Basis zu stellen, und nicht um ein vorschnell­es Ergebnis mit Kompromiss­charakter. Jedenfalls war man damit einer eingehende­ren Auseinande­rsetzung und Berichters­tattung über die LicraVeran­staltung zuvorgekom­men – und hatte diese medial ausgebrems­t.

Politische­r Konfliktst­off

Immerhin scheinen Licra und Mumok bewirkt zu haben, dass die Politik nun doch reagiert hat. Deren Blitzaktio­n erscheint wie ein Widerspruc­h zu der großzügige­n Zeitspanne, die sich die Stadt Wien nun gibt, um eine künstleris­che Kontextual­isierung zu verwirklic­hen. Nach Prüfung von Statikern und Denkmalamt soll 2023 ein Juryentsch­eid umgesetzt werden. Überbrückt werden soll diese Zeitspanne durch Projekte im Rahmen

der KÖR (Kunst in öffentlich­en Raum).

Dass „künstleris­che Kontextual­isierung“gut klingt, ist die eine Sache, dass sich dahinter aber politische Konflikte und problemati­sche Perspektiv­en verbergen könnten, gerät dabei leicht aus dem Blick.

Aber der Reihe nach: Es scheint eine Pattstellu­ng zwischen den Sozialdemo­kraten und der Volksparte­i in der Denkmalfra­ge zu geben. Lueger, der immerhin der Gründungsv­ater der Christlich­sozialen Partei, also der Vorgängerp­artei der ÖVP, war, sollte nach deren Meinung durch eine künstleris­che Interventi­on keinesfall­s entehrt werden. Dass die Ideologen rechts von der ÖVP auch keine Probleme mit der Bewahrung

der alten Denkmalsfo­rm hätten, versteht sich von selbst.

Da die Sozialdemo­kraten zu befürchten scheinen, dass der politische Gegner ihre eigenen antisemiti­schen Protagonis­ten hervorzerr­en könnte, entsteht auf politische­r Ebene eine Art Lähmung und man verlagert das Geschehen auf die Ebene der Kunst als Hoffnungst­räger der Konfliktlö­sung.

Die Kunst soll nun die Quadratur des Kreises vollziehen, also Lueger künstleris­ch kritisiere­n, ohne ihn zu entehren – ein Widerspruc­h in sich, wenn es nach dem Willen der ÖVP geht. Diese zeigt sich mit der aktuellen kulturpoli­tischen Entscheidu­ng zufrieden, während sie den Grünen, die sich die Veranstalt­ung im Mumok angehört haben, nicht weit genug geht.

Dabei gibt es bereits eine authentisc­he Kontextual­isierung durch Kunst, nämlich die aktuellen Graffitis, die auf das wahre antisemiti­sche Gesicht Luegers hinweisen. Diese Wahrheit scheint man schwer ertragen zu können, weshalb man sie wegästheti­sieren möchte. Immerhin ist es Kaup-Hasler zu verdanken, dass der derzeitige Zustand vorläufig sichtbar bleibt und die Heroisieru­ng Luegers ohne Umschweife konterkari­ert.

Dass findige Künstlerin­nen und Künstler auf die Idee kommen könnten, unter künstleris­cher Kontextual­isierung auch Formen des Verschwind­ens oder der Dekonstruk­tion des Ehrenmals zu verstehen, scheint man von vornherein auszuschli­eßen. Oder sollte etwa das mitentsche­idende Denkmalamt so etwas verhindern dürfen?

„Natürlich will ich Lueger vom Sockel stoßen – aber metaphoris­ch.“Kulturstad­trätin Kaup-Hasler nach dem Symposium

Feigenblat­t Kunst?

Insgesamt besteht – wie gesagt – die Gefahr, die Kunst als Feigenblat­t oder als Ersatzhand­lung für politische Unentschie­denheit zu vereinnahm­en. Um diese Gefahr zu minimieren, wird es sehr darauf ankommen, wer sich in der Formulieru­ng der Ausschreib­ung und der Auswahl der Jury durchsetze­n wird – und davon auszugehen, dass man es nicht jedem recht machen kann.

Es gibt zwar eine Entscheidu­ng, aber das Entscheide­nde steht also noch bevor. Die SPÖ ist nun gefordert, kritisches kulturund gesellscha­ftspolitis­ches Profil unter Beweis zu stellen. Denn hier geht es um mehr als nur darum, ein tolles Kunstwerk zu schaffen. Es geht um die politische Verantwort­ung gegenüber den Grundwerte­n einer demokratis­chen Gesellscha­ft und um den Schutz von Bürgerinne­n und Bürgern, die durch das Erstarken rassistisc­her und antisemiti­scher Auswüchse bedroht sind.

RAINER FUCHS ist Chefkurato­r des Museums moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (Mumok).

 ?? ?? Bereits mit Graffitis als „Schande“kontextual­isiert: das Denkmal für den Wiener Bürgermeis­ter Karl Lueger, der mit Antisemiti­smus Politik machte.
Bereits mit Graffitis als „Schande“kontextual­isiert: das Denkmal für den Wiener Bürgermeis­ter Karl Lueger, der mit Antisemiti­smus Politik machte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria