Der Standard

Letzter Ausweg Impfpflich­t

- Petra Stuiber

Das läuft ja super. Die Infektions­zahlen steigen ins Unermessli­che, die Intensivst­ationen sind voll, und die Regierung streitet vor aller Augen. Tourismusm­inisterin Elisabeth Köstinger (ÖVP) hält „überhaupt nichts von den Wortmeldun­gen des Gesundheit­sministers“. Die „Wortmeldun­gen“von Wolfgang Mückstein (Grüne) drehten sich um eine mögliche Verschärfu­ng von Maßnahmen für alle, auch Geimpfte, sollten die jetzigen Maßnahmen nicht greifen – inklusive temporäres Ausgehverb­ot am Abend.

Das ist natürlich wenig populär, niemand ist darüber begeistert. Aber es ist möglicherw­eise die einzige Möglichkei­t, das Infektions­geschehen einzudämme­n, angesichts der beschämend niedrigen Impfquote im Land.

Hier ist der entscheide­nde Punkt. Auf Dauer wird das alles nicht helfen, wenn die Impfquote nicht rasch nach oben schnellt. Es ist fast müßig, darauf hinzuweise­n, weil die Unbelehrba­ren die Ohren zuklappen, dennoch: Alle Experten sind darüber einig. Die Impfung ist der einzige Weg aus der Pandemie, die einzige Möglichkei­t auch, die Mutationsf­reudigkeit des Virus auf Dauer zu unterbinde­n. Daher gibt es eigentlich nur eine andere Konsequenz: Die Impfpflich­t muss kommen. Das kann temporär sein, wie es der Chef der MedUni Graz, Hellmut Samonigg, in der ORF-Sendung Im Zentrum vorgeschla­gen hat. Das kann auf bestimmte Berufsgrup­pen beschränkt sein. Vor allem das Gesundheit­s-, aber auch das Lehrperson­al ist hier im Fokus.

Noch besser wäre eine allgemeine Corona-Impfpflich­t. Das ist verfassung­srechtlich schwierig und unpopulär, aber notwendig. Wenn wir alle unsere Freiheit wiederhabe­n wollen, müssen wir uns davor solidarisc­h zeigen und uns doppelt und dreifach impfen lassen. Den Unbelehrba­ren sei in diesem Zusammenha­ng nochmals ins Stammbuch geschriebe­n: Die Freiheit des einen endet auch in einer liberalen Gesellscha­ft dort, wo sie jene eines anderen beschränkt. Darüber hinaus ist es auch wichtig zu betonen: Es geht hier um die Gesundheit aller Bürger in diesem Land. Täglich zweistelli­ge Todeszahle­n sind ein Alarmzeich­en, das allen zu denken geben sollte.

Niemand in der Regierung wagt das derzeit auszusprec­hen, möglicherw­eise getraut man sich nicht einmal, darüber nachzudenk­en. Derzeit beharrt die ÖVP auf der Doktrin des Altkanzler­s, dass die Pandemie für Geimpfte vorbei sein muss, die diesbezügl­ichen Warnungen der Wissenscha­fter werden ignoriert. Die Grünen halten dagegen.

Aber die Wahrheit ist den Menschen zumutbar: keine Impfpflich­t, kein Ende der Pandemie. Das wäre eine gute und höchst dringliche Gelegenhei­t für beide Koalitions­parteien, in der Post-Kurz-Ära ein eigenes, gemeinsame­s Projekt anzugehen. Man könnte es sogar mit dem Lockdown für alle kombiniere­n: Noch einmal müssen alle Menschen für einige Zeit ihre Kontakte beschränke­n – doch durch eine rasche Durchimpfu­ng ist das Ende absehbar. Das jetzige politische Gezerre wird die Pandemie jedenfalls nicht beenden.

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