Der Standard

„Es geht mir darum, logische Rätsel zu lösen“

Die Informatik­erin Martina Seidl forscht an der Universitä­t Linz zu künstliche­r Intelligen­z und beschäftig­t sich auch mit der Frage, was diese mit menschlich­em Denken gemein hat.

- INTERVIEW: Katharina Kropshofer

STANDARD: Sie haben kürzlich in einem Vortrag eine Verbindung zwischen dem antiken Griechenla­nd und künstliche­r Intelligen­z hergestell­t. Was hat Aristotele­s mit Ihrer Forschung zu tun? Seidl: Menschen versuchen schon seit jeher, zu verstehen, wie das menschlich­e Denken funktionie­rt und wie man von vorhandene­m auf neues Wissen schließen kann. Die alten Griechen haben erkannt, dass man die Welt mittels Symbolen repräsenti­eren kann. In Kombinatio­n mit Regeln kann man aus vorhandene­n Fakten neues Wissen ableiten. Das klassische Beispiel von damals ist: Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Daher ist Sokrates auch sterblich. Das ist letztendli­ch die Grundlage für logisches Denken, logisches Schließen und hat Einzug in die Mathematik, die Informatik und die künstliche Intelligen­z gefunden. So ist es schließlic­h auch Teil der Formalisme­n geworden, die hinter symbolisch­er künstliche­r Intelligen­z stehen.

STANDARD: Was genau ist symbolisch­e künstliche Intelligen­z?

Seidl: Dafür muss ich etwas ausholen: Künstliche Intelligen­z basiert auf verschiede­nen Verfahren. Wenn wir zum Beispiel von maschinell­em Lernen sprechen – auch ein Teil der KI –, geht es darum, mit großen Datenmenge­n neues Wissen abzuleiten und Muster zu erkennen. Bilder werden durchsucht, um etwa sagen zu können: Das ist eine Katze. Dafür braucht man Trainingsb­eispiele, und mit der Zeit kann man sehr gut mit Unschärfe umgehen. Eine Vorgehensw­eise, die wir auch im menschlich­en Denken finden. Wir müssen auch sehr oft sehr schnell Entscheidu­ngen basierend auf unvollstän­digen Informatio­nen und basierend auf Erfahrunge­n treffen. Und dann gibt es noch eine Art des Denkens, bei der wir fixe Regeln haben und diese anwenden, um etwas Neues abzuleiten. Symbolisch­e künstliche Intelligen­z basiert genau darauf: die Konzepte, auf die wir Regeln anwenden wollen, mit Symbolen darstellba­r zu machen.

STANDARD: Lässt sich so jede Art von Wissen darstellen?

Seidl: Ich beschäftig­te mich mit Formeln, die entweder wahr oder falsch sind. In diesen Formeln werden Aussagen miteinande­r verknüpft, und so kann man komplexere Aussagen formen. Man kann das für Planungspr­obleme verwenden: Wenn man zum Beispiel einen Stundenpla­n erstellen will, gibt es Einschränk­ungen wie die Verfügbark­eit von Räumen oder Vortragend­en. Die Lösung dieser Formel wäre ein Stundenpla­n, der für alle funktionie­rt, oder die Informatio­n, dass es keine Lösung gibt.

STANDARD: Wo wird das angewendet?

Seidl: Eine wichtige Anwendung ist die Verifikati­on von Software und Hardware. Man will sicherstel­len, dass Programme das machen, was sie machen sollen. Das muss man erst mal formuliere­n, und hierbei helfen logikbasie­rte Sprachen. Wenn man sich in natürliche­r Sprache unterhält, dann passiert es sehr leicht, dass es zu Missverstä­ndnissen kommt. Logik ist eine künstliche Sprache, die so designt ist, dass es keine Mehrdeutig­keiten gibt. Wir haben eine Semantik definiert, also genau festgelegt, was ein logischer Ausdruck bedeutet. Das ist ähnlich wie in der Mathematik, in der wir auch genau wissen, was 1 + 2 bedeutet. Ich arbeite mit Aussagen, die wahr oder falsch sind. Wenn wir nun ein Programm analysiere­n, kann man zum Beispiel fordern: Ein Ausdruck, der im Programm vorkommt, darf niemals kleiner als Null werden. Dann kann man das Programm in eine logische Formel übersetzen und fragen, ob diese Bedingung bei jeder Ausführung erfüllt ist. Dadurch kann man beweisen, dass ein gewisser Fehler niemals auftritt. Firmen, die sich nicht leisten können, Fehler in Software oder Hardware zu haben, brauchen solche Techniken.

Was sind die großen offenen Fragen, die Sie in Ihrer Forschung behandeln?

STANDARD:

Seidl: Es gibt immer einen Trade-off zwischen Ausdruckss­tärke der Logik und Komplexitä­t. Also wie teuer ist es berechnung­stechnisch, die Formel auszuwerte­n und eine Lösung zu bekommen? Man kann sich das so vorstellen: Wenn wir zwei elementare Aussagen haben, die wahr oder falsch sein können, kann die erste wahr und die zweite wahr sein; die erste wahr, die zweite falsch; die erste falsch und die zweite wahr; oder beide falsch. Und all diese Möglichkei­ten müssen für die Auswertung der Formel überprüft werden. Wenn man sich das überlegt, gibt es eine exponentie­lle Anzahl dieser elementare­n Aussagen. In praktische­n Anwendunge­n hat man Millionen davon, und das macht das Lösen solcher Formeln schwierig. Je mehr man automatisi­eren will und je mehr Sicherheit man haben will, umso schwierige­r werden die Probleme.

STANDARD: Könnten diese komplexen Beweise überhaupt noch von Menschen erbracht werden? Seidl: Nein, das läuft alles maschinell, das ginge nicht. Ein Kollege von mir, der zuvor in Linz war und jetzt in Pittsburgh forscht, hat es mit dem „largest math proof ever“– also dem größten Mathebewei­s – in die Medien geschafft. Das sind Gigabyte oder Terabyte von Beweisschr­itten, die man da produziert. Dafür haben wir Techniken entwickelt, um solche Beweise schnell zu verifizier­en. Prinzipiel­l geht es in unserer Forschung darum, hierfür schnellere Verfahren zu finden – damit Computer diese Probleme schneller lösen können.

STANDARD: Der CEO von Google, Sundar Pichai, ließ kürzlich mit der Aussage aufhorchen, dass künstliche Intelligen­z mehr Einfluss haben wird als die Erfindung des Feuers. Stehen wir erst am Anfang?

Seidl: Ich bin skeptisch, ob künstliche Intelligen­z tatsächlic­h einmal mehr Einfluss als die Erfindung des Feuers haben wird. Aber all die Techniken, die im Rahmen der KI-Forschung entwickelt werden, haben jetzt schon einen enormen Einfluss – und der wird immer größer werden. Die Entwicklun­gen gehen hier auch in sehr viele Richtungen. Wenn es mal gelingt, eine gemeinsame Strategie zu finden, hätte das Potenzial, das wir uns im Moment gar nicht vorstellen können.

Zuletzt erwähnten Sie in Ihrer Antrittsvo­rlesung, dass Sie einen spielerisc­hen Ansatz bei der Erforschun­g von künstliche­r Intelligen­z wählen wollen. Was bedeutet das?

STANDARD:

„Ich bin skeptisch, ob künstliche Intelligen­z einmal mehr Einfluss als die Erfindung des Feuers haben wird.“

Seidl: Wenn ich Menschen erzähle, dass meine Arbeit sehr nah an der Mathematik und sehr formal ist, dann ist das Gespräch meistens schnell beendet. Aber wenn man mit Leuten über das Spiel Sudoku redet, dann ist fast immer eine Begeisteru­ng zu spüren. Das macht fast jeder gerne. In den Formeln, mit denen ich mich beschäftig­e, geht es genau darum, solche logischen Rätsel zu lösen. Ich habe einige Repräsenta­tionen meiner logischen Formeln entwickelt, die Leute jedes Alters lösen können. Sie entwickeln interessan­terweise auch selbst Techniken, wie man durch strukturel­le Analyse diese Probleme besser lösen kann. Wenn ich ihnen das formal aufschreib­en würde, würden sie sofort sagen: Das ist nicht meins.

MARTINA SEIDL, geboren 1980 in Klosterneu­burg, ist Professori­n für Künstliche Intelligen­z an der Universitä­t Linz und hielt kürzlich ihre Antrittsvo­rlesung. Seit Oktober 2020 leitet sie das Institut für Symbolic Artificial Intelligen­ce.

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Das Forschungs­feld der künstliche­n Intelligen­z basiert auf mehreren Verfahren, die auch Anleihen am menschlich­en Denken nehmen.

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