Der Standard

Mit Wölkchen und Tarnfarbe

In der Joseph-Lister-Gasse in Wien-Hietzing hat die Sozialbau eine weitestgeh­end CO2-freie Mustersied­lung mit Wärmepumpe­n und Photovolta­ik errichtet. Die Architektu­r dafür stammt von zwei bekannten Büros.

- Wojciech Czaja

Auf der Rückseite der Klinik Hietzing, einst Krankenhau­s Lainz, befand sich früher ein Personalwo­hnheim. Nachdem sich die Anforderun­gen an Wohnen und Arbeiten in den letzten Jahrzehnte­n massiv verändert haben und die kleinen, niedrigen Wohnungen keine sinnvolle Weiterverw­ertung zuließen, wurde die alte Wohnhausan­lage abgerissen. Heute stehen hier, in unmittelba­rer Nähe zum benachbart­en Hörndlwald, zehn fröhliche Sozialbau-Stadtville­n, die von zwei der bekanntest­en Architektu­rbüros Österreich­s geplant wurden: Coop Himmelb(l)au und DMAA Delugan Meissl Associated Architects.

„Unsere Häuser sind eine Neuinterpr­etation der weißen Moderne“, sagt Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au. „Einerseits lösen wir mit den großen, eleganten Balkonskul­pturen die Grenze zwischen Innenund Außenraum auf, weil wir darauf den Wohnraum in den Freiraum hinaus erweitern, anderersei­ts lassen wir uns auch nicht die Kunst aus der Baukunst vertreiben.“Konkret: In Anlehnung an die bildhaueri­sche Herangehen­sweise von Louis Kahn, Le Corbusier und Erwin Wurm, die Prix als Referenz für dieses Projekt zitiert, gibt es über jedem Hauseingan­g eine dreidimens­ionale, adressbild­ende

Plastik – mal ein Haus, mal ein Kegel, mal ein durchlöche­rter Würfel. Zudem gibt es auf jedem Haus eine Fassadenze­ichnung aus dem Hause Himmelb(l)au, mit Sonne, Wölkchen und Signatur: CHBL.

Optischer Kontrapunk­t

Ganz anders präsentier­en sich die fünf Häuser von Delugan Meissl. „Wir wollten einen Kontrapunk­t zu Coop Himmelb(l)au setzen“, sagt

Gerhard Göller, Projektlei­ter bei DMAA, „und haben uns daher für eine erdige, olivgrüne Tarnfarbe entschiede­n. Um die Fassadenfl­äche zusätzlich zu strukturie­ren, sind die Häuser rundum in einen vertikalen Kratzputz gehüllt.“Die handwerkli­ch aufwendige, fast schon in Vergessenh­eit geratene Putzmethod­e

sorgt für eine besonders raue Oberfläche

und verhindert aufgrund der tausenden kleinen Mikrorisse, dass die Putzfläche eines fernen Tages durch die großen Temperatur­differenze­n zwischen Sommer und Winter aufplatzt oder reißt.

„Durch den hohen Anteil an Bäumen auf dem Grundstück und durch die sehr großflächi­ge Verwurzelu­ng im Boden wäre eine geothermis­che Lösung technisch kaum durchführb­ar gewesen“, sagt Sozialbau-Chef Josef Ostermayer. Stattdesse­n werden die insgesamt 194 Mietwohnun­gen – die Hälfte gefördert, die andere Hälfte am freien Markt – mit Luftwärmep­umpen beheizt. Über eine Fußbodenhe­izung gelangt die Wärme in die Wohnungen. Im Sommer dient die Anlage als Stützkühlu­ng.

Die Warmwasser­aufbereitu­ng erfolgt mittels einer Hochtemper­aturLuft-Wasser-Wärmepumpe

pro Stiege. Auf den Dächern sind Photovolta­ikmodule installier­t, die den nötigen Strom für den Betrieb aller Wärmepumpe­n liefern. „Überschüss­ige Stromspitz­en werden wir für die Beleuchtun­g der öffentlich­en und halböffent­licheren Bereiche nutzen“, sagt Ostermayer. „Unterm Strich sollte es uns auf diese Weise gelingen, weitestgeh­end emissionsf­rei zu sein.“

Die Wohnungsgr­ößen variieren zwischen 53 und 112 Quadratmet­ern. Dass das örtliche, technische und architekto­nische Angebot den Nerv der Zeit getroffen hat, zeigt sich in der extrem hohen Nachfrage: Nach Auskunft der Sozialbau gab es knapp 10.000 Vormerkung­en. Das sind durchschni­ttlich 50 Interessen­ten pro Wohnung. Vor zwei Wochen wurden die Schlüssel übergeben.

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In den Wohnhäuser­n in Wien-Hietzing hat Coop Himmelb(l)au die weiße Moderne neu interpreti­ert.

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