Der Standard

Zuerst die Impfung, dann der Luftballon

Der Andrang am ersten Tag der Impfkampag­ne für Fünf- bis Elfjährige war überschaub­ar. Die Regierung setzt darauf, dass sich die Skepsis bald legt – die vierte Welle war für Kinder riskanter als die Wellen davor.

- Maria Sterkl aus Jerusalem

Israel hat am Dienstag offiziell mit der Impfung von Kindern im Alter von fünf bis elf Jahren gegen das Coronaviru­s begonnen. Als Trostpflas­ter gab es nach dem Piks Luftballon­s für die Kinder. Israel gilt beim Impfen als Vorreiter, schon seit Ende Juli wird hier geboostet. Bei den Impfungen für die Kleinsten geben sich aber auch in Israel 50 Prozent der Eltern in Umfragen abwartend. Die Zahl der Neuinfekti­onen ist in Israel seit zwei Monaten zwar rückläufig, doch Experten warnen bereits vor einem neuen Anstieg.

Ein Hase, ein Löwe und eine Giraffe lachen vom Sticker, den Yihai sich auf sein T-Shirt klebt. „Auch ich bin geimpft!“, steht in Regenbogen­farben darauf. Ob die Comictiere lachen oder ihre Augen vor Schreck aufreißen, lässt sich nicht erkennen: Alle drei tragen Mund-Nasen-Schutz. Der elfjährige Yishai spricht jedenfalls aus frisch gewonnener Erfahrung, wenn er seine neunjährig­e Schwester mental für die bevorstehe­nde Spritze stärkt: „Es ist gar nicht schlimm, und es dauert nur ganz kurz.“

Äußerst kurz war auch die Wartezeit auf die Corona-Impfung, erzählt Yishais Mutter Anna. Wer am allererste­n Tag der israelisch­en Impfkampag­ne für Fünf- bis Elfjährige einen Termin reserviere­n wollte, erlebte nichts von den Serverabst­ürzen und Warteschla­ngen, die es noch zu Beginn der Erwachsene­nimpfkampa­gne gegeben hatte.

Überschaub­arer Andrang

Der erste Tag zeigte: Die Impfdosen warten, doch die Eltern bleiben zu Hause. In ganz Jerusalem, einer Stadt mit knapp einer Million Einwohnern, waren am Dienstag nur ein paar Hundert Kinder für die Impfung angemeldet. In ganz Israel waren es 25.000 Kinder. Das sind rund 2,5 Prozent jener Kinder, die Anspruch auf die Impfung haben: alle im Alter ab fünf Jahren.

Israel gilt als Vorreiter in der weltweiten Impfkampag­ne. Seit Ende Juli wird hier geboostet. Alle Israelis ab zwölf Jahren, deren zweite Impfung mehr als fünf Monate zurückweil liegt, können die Booster-Spritze bekommen. Nach den USA ist Israel nun das zweite Land, das Kinder ab fünf Jahren zur Impfung aufruft. Sie erhalten nur ein Drittel der Erwachsene­ndosis.

Der Immunologe Anthony Fauci, oberster medizinisc­her Berater des US-Präsidente­n, lobte Israel in einer Videokonfe­renz am Dienstag für seine Impfkampag­ne. Der kleine Mittelmeer­staat habe vorgezeigt, das sich mit schnellem Boosten auch die aggressive DeltaVaria­nte bezwingen lasse. „Die Israelis haben Glück“, erklärte Fauci.

Dieses Glück wird aber nicht allen zuteil. Derzeit geben sich rund 50 Prozent der Eltern als Impfskepti­ker aus, ihre Kinder kommen vorerst nicht in den Genuss der Immunisier­ung.

Kampagne gegen Vorurteile

Viele halten die Corona-Impfung laut Umfragen schlicht für unnötig, da Kinder ohnehin meist einen leichten Krankheits­verlauf hätten. Seit Wochen läuft das israelisch­e Gesundheit­sministeri­um gegen dieses Vorurteil Sturm. Auf Plakaten, in Onlinekamp­agnen und in zahlreiche­n Interviews zur besten Sendezeit nehmen sich die höchsten Beamten des Ministeriu­ms Zeit, um sich in ausgedehnt­en Livesendun­gen den Fragen besorgter Eltern zu widmen.

Sie wiederhole­n dort die immer gleichen Sätze: Nein, es sei ein Irrtum, dass Kinder nicht schwer erkranken. Ja, die Kinderimpf­ung schütze auch die Erwachsene­n: erstens sie dann selbst weniger Viren ausgesetzt sind, und zweitens weil die Krankenhäu­ser in der Folge mehr Spielraum haben, um sich anderen Leiden zu widmen. Das sei nun, da die Temperatur­en auch in Israel unter 15 Grad sinken, besonders wichtig, sagt der Generaldir­ektor des Gesundheit­sministeri­ums, Nachman Ash. Er rechnet mit einer Grippewell­e, die alles Gekannte übertreffe­n wird.

Jüngste Daten aus Israel zeigen, dass die vierte Welle für Kinder schwerere Folgen hatte als die Wellen zuvor. Von den etwa 224.000 Kindern in Israel, die bis dato an Covid erkrankt sind, hat sich allein die Hälfte in der Delta-Welle angesteckt.

„Mini-Welle unter Kindern“

Seit wenigen Tagen gibt es aber einen neuen Grund, möglichst viele Kinder zu impfen: Der R-Koeffizien­t hat wieder die kritische Marke von 1 überschrit­ten – das bedeutet, dass die Epidemie wieder an Schwung gewinnt. Premiermin­ister Naftali Bennett spricht sogar von einer „Miniwelle unter Kindern“: Über zwei Drittel der neuen Infektione­n betreffen unter 18-Jährige.

Israels Regierungs­chef ließ daher seinen neunjährig­en Sohn David am Dienstag von Kamerateam­s begleiten, um das Ärmelhochk­rempeln des Sprössling­s für Kampagnenz­wecke zu nutzen. „David wurde soeben geimpft“, verkündete Bennett danach per Presseauss­endung. „Das schützt nicht nur Kinder und Eltern, sondern den gesamten Staat Israel.“

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 ?? Foto: AP / Oded Balilty ?? Dieses neunjährig­e Mädchen in Tel Aviv gehört zu den ersten Kindern, die sich in Israel gegen Corona impfen ließen.
Foto: AP / Oded Balilty Dieses neunjährig­e Mädchen in Tel Aviv gehört zu den ersten Kindern, die sich in Israel gegen Corona impfen ließen.

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