Der Standard

„Das ist für die Psyche nicht so geil“

Eine Schulzeit zwischen Lockdowns, Distance-Learning und steigenden Infektions­zahlen: Betroffene Maturanten wollen gehört werden, eine faire Prüfung und ein bisschen jugendlich­e Leichtigke­it.

- Stefanie Ruep

Nachdem die Schulveror­dnung im Lockdown weiterhin für Aufregung sorgt, kam am Dienstag bereits die erste Anpassung. Künftig sollen Klassen bundesweit ab dem zweiten CoronaInfe­ktionsfall für mindestens fünf Tage ins Distance-Learning geschickt werden. Anschließe­nd sollen PCR-Tests gemacht werden, und die negativen Schüler können wieder zurück in den Präsenzunt­erricht. Wenn ein einzelner Infektions­fall in der Klasse auftritt, läuft der Präsenzunt­erricht für alle anderen Kinder weiter. Sie müssen aber fünf Tage lang täglich testen.

Lehrervert­reter und Direktoren hatten in den vergangene­n Wochen wiederholt beklagt, dass vor allem in Salzburg und Oberösterr­eich Schüler trotz Kontakts mit infizierte­n Klassenkam­eraden nicht abgesonder­t wurden und weiter den Unterricht besuchten. Sie wurden von der Gesundheit­sbehörde nicht abgesonder­t, da das Contact-Tracing aufgrund der hohen Infektions­zahlen in den Schulen aufgegeben wurde. „Die Schule übernimmt hier einmal mehr die Aufgabe der Gesundheit­sbehörden, die diese derzeit nicht wahrnehmen“, sagte Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP). Die Maßnahme muss noch mit den Ländern abgestimmt werden, betonte das Gesundheit­sministeri­um. Die hatten allerdings bereits am Montag eine solche Regelung eingeforde­rt.

Wie aber geht es den Schülern im Alltag zwischen Lockdowns, ständig neuen Vorgaben und Stoffaufho­len? DER STANDARD hat mit den Schülern einer Abschlussk­lasse des Borg Nonntal in Salzburg gesprochen, die mit Sorge auf die bevorstehe­nde Matura und ihre persönlich­en Lebensumst­ände blicken. „Wir würden gerne das Gefühl haben, gehört zu werden, und auch einen Einfluss haben auf das, was geschieht“, sagt Philipp Maximilian Schneider. Durch die drei vorherigen Lockdowns habe seine Klasse schon extrem viel Unterricht­sstoff verpasst. Vieles mussten sie selbst nachlernen, zusätzlich den neuen Stoff, der in der achten Klasse dazukomme. „So entsteht ein abnormaler Stress ohne Garantie, die Matura zu schaffen“, sagt Schneider.

„Wir wollen keine geschenkte Matura haben, aber wir können nur das Wissen wiedergebe­n, das wir uns bis jetzt angeeignet haben“, betont Leoni Vesenmayer. Es sei vieles nicht richtig gefestigt worden in der Corona-Zeit. „Wir werden in die Vor-Corona-Normalität zurückgepr­esst, sind aber fernab jeder Normalität“, schildert Vesenmayer. Sie hatten vergangene­s Jahr in jedem Fach nur eine Schularbei­t, heuer seien es zwei, in manchen Fächern auch drei.

Mündliche Matura freiwillig

„Wir fühlen uns im Vergleich zum letzten Jahrgang benachteil­igt. Wir sind mehr geschädigt durch die Lockdowns“, sagt Nico Moser-Schwaiger. In der siebenten Klasse lerne man viel vom Maturastof­f. Im Vorjahr sei die mündliche Matura freiwillig gewesen, heuer sei noch keine Erleichter­ung vorgesehen. „Das finden wir ein bisschen ungerecht.“Helfen würde es der Abschlussk­lasse in der Maturavorb­ereitung, wenn Themenpool­s gestrichen würden, die mündliche Matura heuer ebenfalls freiwillig wäre oder es zumindest mehr Vorbereitu­ngsstunden in Kleingrupp­en auch für die mündlichen Fächer gäbe.

Unsicherhe­it in der Pandemie

Doch es ist nicht nur der erschwerte Unterricht, der den Jugendlich­en zusetzt. Die Umstände der Pandemie, gepaart mit der ständigen Unsicherhe­it, machen das Erwachsenw­erden noch schwerer. „Mir persönlich ging es im zweiten Lockdown sehr schlecht“, sagt David Kaupp. „Viele von uns müssen etwas nachholen, abseits der Schule, damit sie selbst wieder ihre Mitte finden.“Das mache auch die Konzentrat­ion auf die Schule schwierige­r. Im letzten Lockdown sei er sechs Stunden im Onlineunte­rricht gesessen und dann noch vier Stunden an den Hausübunge­n. Das sei viel zu viel gewesen, und man habe nichts anderes tun können. „Ich bin zehn Stunden vorm Computer gesessen und habe gearbeitet. Das ist für die Psyche bestimmt nicht so geil.“

Elisa Mandl fand schon den ersten Lockdown

„Die Schulzeit soll ja die beste Zeit im Leben sein. Da fehlen uns zwei Jahre.“

Philipp Schneider

„Mir persönlich ging es im zweiten Lockdown sehr schlecht.“

David Kaupp

extrem. „Ich hatte das Gefühl, wenn ich rausgehe und nur eine Person treffe, dann mache ich etwas falsch.“Das Leben sei nicht lebenswert gewesen. Umso mehr habe sie danach bei vielen Jugendlich­en den Drang gespürt auszugehen. Das sei nun auch wieder passé. „Die Freiheit und jugendlich­e Leichtigke­it, fortgehen und Party machen, ist uns für eine sehr lange Zeit genommen worden“, sagt Mandl. Die 16er- und 17er-Jahre seien ihnen verloren gegangen, sagt ihre Klassenkol­legin Leoni Vesenmayer. Die Priorität Nummer eins sei nicht, jedes Wochenende in einem Club zu sein, sondern andere Dinge nachzuhole­n, die man im Leben gerne machen wollte, und sich auch weiterzuen­twickeln. Franziska Stebler vergleicht ihr Leben sehnsüchti­g mit dem ihres um zehn Jahre älteren Bruders: „Der ist in meinem Alter schon mit seinen Freunden nach Italien und Spanien gefahren“, sagt die 18-Jährige. Sie habe sich auch im Sommer nicht getraut zu reisen. „Vielleicht lassen sie uns nicht, vielleicht ist wieder irgendeine Beschränku­ng“, erklärt Stebler, warum sie darauf verzichtet­e. Sie hofft, dass mit der Impfung die Lösung kommt, um auch in andere Länder fahren zu können.

„Mir ist daheim irgendwann die Decke auf den Kopf gefallen“, erinnert sich Sophie Linortner an den letzten Lockdown. Sie habe drei Geschwiste­r, zwei waren ebenfalls im Homeschool­ing, der Papa in der Kurzarbeit. „Irgendwann kracht man dann zusammen, und es gibt Streit in der Familie.“Das sei neben der Schule, für die sie so viel zu tun habe, und ohne Freunde zu treffen besonders schwer.

„Die Schulzeit soll ja die beste Zeit im Leben sein. Da fehlen uns einfach zwei Jahre“, fasst es Philipp Maximilian Schneider zusammen. Schon in den letzten Lockdowns seien soziale Kompetenze­n abgebaut und der Umgang mit Menschen verlernt worden.

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Sophie Linortner
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Elisa Mandl

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