Der Standard

Wenn Künstler mit Mikroben toben

Mit Bakterien und Pilzen zu experiment­ieren lohnt sich nicht nur bei der Haltbarmac­hung von Lebensmitt­eln. Fermentier­en ist auch in der künstleris­chen Forschung en vogue – mit überrasche­nden Ergebnisse­n.

- Julia Grillmayr

Heute mehr denn je brauchen wir die blubbernde Transforma­tionskraft der Fermentati­on“, schreibt Sandor Ellix Katz in seinem Buch Fermentati­on as Metaphor (2020). In einer Zeit, in der die Prozesse zur Konservier­ung von Lebensmitt­eln oft nicht mehr nachvollzi­ehbar sind, werde eigenhändi­ges Fermentier­en zu einer Form des Aktivismus – man hole sich durch das milchsaure Vergären oder gezielte Schimmeln die Produktion­smittel ein Stück weit zurück. Angesichts der aktuellen politische­n und ökologisch­en Krisen könne das Fermentier­en aber auch zur hilfreiche­n Denkfigur werden.

Als Fermentati­on bezeichnet man allerlei Prozesse, in denen Bakterien oder Pilze gewisse Stoffe in Lebensmitt­eln umwandeln und dadurch zum Beispiel Säure oder Alkohol entstehen lassen. Verschiede­nen Arten des Lactobacil­lus verdanken wir etwa saure Gurken, Sauerkraut oder Kimchi. Diverse Arten der Hefe bescheren uns Sauerteig, Bier, Wein und Essig. Die blubbernde Transforma­tion taucht aber auch vermehrt in der Kunst und der künstleris­chen Forschung auf.

Der US-amerikanis­che „Fermentier­fetischist“(Selbstbeze­ichnung) Katz und andere – nicht nur von den Produkten, sondern auch vom Prozess – begeistert­en Fermentist­en betonen etwa, dass uns die Fermentati­on über das mehr-als-menschlich­e Leben unterricht­et. Schließlic­h wird hier ganz deutlich, dass wir auf abertausen­de, unserer Darmflora wohlgesinn­te Mikroben angewiesen sind.

Historisch­e Hefen

Diese Wesen werden im Ausstellun­gsprojekt Fermenting Futures von Anna Dumitriu und Alex May ins Rampenlich­t gerückt. Im Zentrum ihrer Auseinande­rsetzung stehen die Hefebiotec­hnologie und die historisch­e Verwendung bestimmter Hefen. Das britische Künstlerdu­o hat dazu mit der Forschungs­gruppe rund um Diethard Mattanovic­h am Austrian Centre of Industrial Biotechnol­ogy, einem vom Klimaminis­terium geförderte­n FFG-CometZentr­um, und der Wiener Universitä­t für Bodenkultu­r kooperiert. „Wir kommen nicht mit fixen Idee ins Labor, was wir machen wollen, sondern antworten künstleris­ch auf die Forschung“, sagt Dumitriu.

Gemeinsam mit den Forscherin­nen und Forschern arbeiten sie etwa an einer mittels Gentechnik veränderte­n Hefekultur, die sowohl Milchsäure erzeugt, als auch CO2 aus der Atmosphäre absorbiert. Aus diesem durch die Hefe gebundenen Kohlenstof­f wird wiederum ein Biokunstst­off gewonnen, aus dem installati­ve 3D-Drucke hergestell­t werden, die stark vergrößert­e Hefekultur­en zeigen. Damit wollen Dumitriu und May die Schönheit der Hefekoloni­en hervorhebe­n. „Sie

sind pink und orange, mit schwarzen Hügeln, kringelig und fluffig.“In dieser Detaillier­theit bekommen die Hefen sonst nur Wissenscha­fter zu sehen. Diese hätten in ihrem Laborallta­g auch durchaus eine ästhetisch­e Beziehung zu der Hefe, die in der Wissenscha­ftsvermitt­lung aber meist keinen Platz finde. Hier schlägt die künstleris­che Forschung eine Brücke. „Wenn man als Künstler durch ein Labor geht, wird vieles in anderer Weise sichtbar“, sagt May. Fermenting Futures ist als Wanderauss­tellung unterwegs und wird im März in der Kunsthalle in Wien zu sehen sein.

Membranen aus Zellulose

Dass man sich auf eine Zusammenar­beit mit unscheinba­ren, aber wirkmächti­gen Wesen einlässt und es um einen Prozess geht, den man nicht restlos kontrollie­ren kann, ist auch ein Aspekt, der Robert Angerer an der Fermentati­on interessie­rt. „Jede Charge ist unterschie­dlich“, erzählt er über seine Experiment­e mit Kombucha. Der fermentier­te Schwarztee wird mittels eines „Scoby“hergestell­t – kurz für „symbiotic culture of bacteria and yeasts“–, einer glitschige­n Masse aus Zellulose, in der Bakterien und Hefen in Symbiose leben. Diese Zellulosem­asse benutzt Angerer, um Membranen

für Lautsprech­er herzustell­en. Er studiert an der Kunstunive­rsität Linz und arbeitet mit Kombucha im Rahmen seines Diplomproj­ekts Sound of Tea.

„Was mir daran gefällt, ist, dass sich die gegensätzl­ichen Welten von Biologie und Elektronik verbinden.“Die Lautsprech­er sind simpel und offen konstruier­t, sodass die Betrachter auf die Materialit­ät hingewiese­n werden. „Der Scoby hat super Eigenschaf­ten. Man bekommt eine dünne Schicht, die sehr stabil ist“, sagt Angerer. Wenn mal etwas reißt oder brüchig wird, kann man sich mit Zuckerwass­er behelfen, um die Membran zu kleben.

Angerer begeistert sich auch für die Prinzipien des Fermentati­onsprozess selbst. „Bei Kombucha ist besonders interessan­t, dass die zwei Arten der Fermentati­on – mit und ohne Sauerstoff – zusammenko­mmen. Die Bakterien brauchen Sauerstoff, die Pilze aber nicht.“Es ist fasziniere­nd, diese Symbiose und ihre Strategien im eigenen Haushalt, in einem herkömmlic­hen Glasbehält­er mitansehen zu können.

The Sound of Tea ist derzeit im Ars Electronic­a Center in Linz ausgestell­t. Angerer hat auch Ideen zu einer Weiterentw­icklung. „Ähnlich einer Zitronenba­tterie würde ich gerne den fermentier­ten Tee als

Elektrolyt verwenden, sodass sich der mittels Kombucha-Membran erzeugte Ton verändert, je saurer die Flüssigkei­t wird. Das wäre dann wirklich das Geräusch des Tees.“

Auch Tatjana Andrea Borodin arbeitete in ihrer Abschlussa­rbeit mit Fermenten. Sie schloss soeben das Studium der Transmedia­len Kunst an der Universitä­t für angewandte Kunst Wien mit der Arbeit Ferment-Fiktionen der Ω-3-Fettsäuren ab. Das kun̈ stlerisch-wissenscha­ftliche Projekt bestand aus einem Essay und Fermenten, die jedem Kapitel zugeordnet wurden, sowie einem „Lecture Dinner“, bei dem sowohl Text als auch vergorene Lebensmitt­el gereicht wurden.

In Bewegung bleiben

„Ich habe großes Interesse an Lebensmitt­eln und Ernährung“, sagt Borodin, die an der Uni Wien außerdem den Master Science-Technology-Society studiert. Daher sei die omnipräsen­te Omega-3-Säure, der man allerhand Fähigkeite­n nachsagt – dieser „begehrte Star von humanistis­chen Verbesseru­ngsideolog­ien“, wie es in ihrem Text heißt –, die Protagonis­tin ihrer Arbeit. Mit dem kun̈ stlerisch-forschende­n Abschluss habe sie sich die Freiheit nehmen können, Wissen in anderer Form zusammenzu­tragen.

Die Fermentati­on übersetzte sie dazu in eine Denk- und Schreibmet­hode: „Sie ist eine Methode des Haltbarmac­hens, die aber dynamisch bleibt“, sagt Borodin. Es wird etwas haltbar und greifbar gemacht, aber ohne es in fertige Kategorien zu stecken. Ein Denken, dass sich am Ferment inspiriert, ist ein Denken, das in Bewegung bleibt.

„Es heißt auch, zu akzeptiere­n, dass Wissen nie fertig ist. Wenn man mit Pilzen und Bakterien kooperiert, arbeitet man notwendige­rweise prozessori­entiert und situiert“, sagt Borodin. Man werde sich der direkteste­n Umwelt – etwa Temperatur, Substrat, Partikel in der Luft – bewusst.

Die künstleris­che Fermentfor­schung verkompliz­iert also eine rein auf den Menschen fokussiert­e und zielgerich­tete, unbeirrbar­e Perspektiv­e. Wenn man bei Fermentist­en wie etwa Sandor Katz trotzdem auf die neoliberal anmutende Formulieru­ng „Investitio­n in die Zukunft“stößt, so ist auch damit ein Einlassen auf mehr-als-menschlich­e Rhythmen und Wirkweisen gemeint, die jede und jeder ganz einfach erfahren kann: Man schlichtet Obst oder Gemüse in ein Glas mit Salzwasser und wartet. Wenn alles gut läuft, beginnt das Ganze bald zu blubbern, wird köstlich und gesund.

„Wenn man mit Pilzen und Bakterien kooperiert, arbeitet man notwendige­rweise prozessori­entiert und situiert.“Tatjana Andrea Borodin,

Künstlerin

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Im Ausstellun­gsprojekt „Fermenting Futures“beschäftig­t sich das Künstlerdu­o Anna Dumitriu und Alex May mit historisch­er Verwendung verschiede­ner Hefen sowie mit mittels Gentechnik veränderte­n Hefekultur­en.
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 ?? ?? Wissen in anderer Form zusammenzu­tragen, als dies sonst in der Forschung üblich ist, konnte Tatjana Andrea Borodin in ihrem künstleris­chen Forschungs­projekt zu Fermenten (oben). Robert Angerer stellte in seiner Arbeit „Sound of Tea“Membranen für Lautsprech­er aus Zellulose her (rechts). Links ist ein weiteres Exponat des Projekts „Fermenting Futures“von Dumitriu und May zu sehen.
Wissen in anderer Form zusammenzu­tragen, als dies sonst in der Forschung üblich ist, konnte Tatjana Andrea Borodin in ihrem künstleris­chen Forschungs­projekt zu Fermenten (oben). Robert Angerer stellte in seiner Arbeit „Sound of Tea“Membranen für Lautsprech­er aus Zellulose her (rechts). Links ist ein weiteres Exponat des Projekts „Fermenting Futures“von Dumitriu und May zu sehen.

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