Der Standard

Wechselsei­tige Befruchtun­gen im Wien um 1900

Die wissenscha­ftlichen und künstleris­chen Innovation­en der vorletzten Jahrhunder­twende verdanken sich auch dem engen Austausch zwischen Medizinern, Künstlern, Biologen und Musikern. Drei Beispiele.

- Klaus Taschwer

Viele der wichtigen Wissenscha­fter im Wien der vergangene­n Jahrhunder­twende hatten auch künstleris­che Ambitionen. Um nur drei Beispiele zu nennen: Der Anatom Emil Zuckerkand­l (1849–1910) wollte bis zu seinem 16. Lebensjahr Violinvirt­uose werden. Der Zoologe Hans Przibram (1874– 1944), der Gründer der Biologisch­en Versuchsan­stalt in Wien, tat sich früh als Zeichner hervor und stellte in der Secession aus. Und sein Kollege und Mitarbeite­r Paul Kammerer (1880–1926) betätigte sich nebenbei als Komponist.

An diesen drei Doppelbega­bungen lässt sich auch exemplaris­ch zeigen, wie eng Kunst, Wissenscha­ft und Medizin damals verwoben waren. Das trug nicht unwesentli­ch zur Innovation­skraft des kreativen Milieus dieser Zeit bei – das in den meist wissenscha­fts-, kunst- oder musikhisto­rischen Einzeldars­tellungen oft genug wieder fein säuberlich auseinande­rdividiert wird.

Eine der Schlüsself­iguren dieser wechselsei­tigen Befruchtun­gen war Emil Zuckerkand­l – nicht zuletzt dank seiner Frau Berta. Im Salon der beiden verkehrte die wissenscha­ftliche und künstleris­che Elite der Stadt. Hier lernte Gustav Mahler auch seine spätere Frau kennen, die damals 22-jährige Alma Schindler.

„Ein Forscher, ein Wissenscha­fter wird niemals produktiv sein, wenn nicht auch ein künstleris­ches Element in ihm lebt. Vor allem braucht er Phantasie.“Das war eine der Maximen von Emil Zuckerkand­l, der etliche wichtige anatomisch­e Entdeckung­en machte. Der Anatom erwarb sich aber auch als Wissenscha­ftsvermitt­ler Verdienste, auch und zumal in der Künstlersz­ene in den Jahren um 1900.

Kunstforme­n in der Natur

Diese Vorträge gingen wiederum auf die Anregung von Gustav Klimt zurück, wie sich Berta Zuckerkand­l erinnerte: Der Vortragssa­al im Anatomisch­en Institut in der Währinger Straße sei damals regelmäßig mit Malern, Schriftste­llern und Musikern gefüllt gewesen, denen der Anatom die „Kunstforme­n in der Natur“vorführte: an die Wand projiziert­e, stark vergrößert­e und eingefärbt­e anatomisch­e Präparate etwa von Zellen oder Blut.

Dass die Publizisti­n diesen Begriff verwendete, kam vermutlich nicht von ungefähr: Von 1899 bis 1904 veröffentl­ichte der deutsche Mediziner und Zoologe Ernst Haeckel sein einflussre­iches zehnbändig­es Werk Kunstforme­n der Natur, das mit seinen ästhetisie­rten Darstellun­gen vor allem von Mikround Meeresorga­nismen den Jugendstil beeinfluss­en sollte. Wie Berta Zuckerkand­l weiter schrieb, sei „gerade Klimts Palette“durch die Demonstrat­ionen ihres Mannes „bereichert und beeinfluss­t worden“.

Tatsächlic­h finden sich in den Ornamenten von Klimts Gemälden immer wieder „Zitate“der bei Zuckerkand­l gesehenen Natur-Artefakte. Das bekanntest­e Beispiel ist vermutlich die 1907/08 entstanden­e Danaë. Titelheldi­n des Gemäldes ist die legendäre Prinzessin von Argos und Tochter von Akrisios. Gewarnt vom Orakel („Dein Enkel wird dich töten“), verwahrt der König von Argos sein einziges Kind in einem Verlies. Doch Danaë wird von Zeus begehrt – und der findet natürlich einen Zugang zu ihr: Der Göttervate­r verwandelt sich in einen Regen aus Goldmünzen und schwängert die Prinzessin, die neun Monate später Perseus gebiert. Das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Das Bild war nicht zuletzt aufgrund seines pikanten mythologis­chen Inhalts Gegenstand unzähliger kunsthisto­rischer Analysen. Mit den Ornamenten im Bildvorder­grund taten sich die Kunsthisto­riker aber lange schwer, die als „ovale Formen“oder „goldene Filigran-Scheiben“gedeutet wurden. Als der USEntwickl­ungsbiolog­e Scott Gilbert eine Reprodukti­on der Danaë sah, war ihm aber schnell klar: Es handelte sich hier um Blastozyst­en – jene kugelförmi­gen Anordnunge­n von embryonale­n Stammzelle­n um einen flüssigkei­tsgefüllte­n Hohlraum, die sich drei bis vier Tage nach der Befruchtun­g bilden.

Genau solche Blastozyst­en, die natürlich das Geschehen als Ornament perfekt illustrier­ten, hat Klimt aller Wahrschein­lichkeit nach beim Anatomen Zuckerkand­l gesehen, wie Gilbert mit seiner Kollegin Sabine Brauckmann herausfand. Für die beiden kam neben Zuckerkand­l noch ein anderer Biologe als Inspirator infrage: Hans Leo Przibram, der ebenfalls embryologi­sch und auch künstleris­ch tätig war.

Zwei Biologen als Künstler

Zwar gibt es für die immer wieder in der Fachlitera­tur zitierte Behauptung, dass Przibram ein Assistent Klimts gewesen sei, keine konkreten Beweise, doch die künstleris­che Begabung des Zoologen ist unbestritt­en: So hat Adolf Loos den jungen Forscher eingeladen, sich an den Winterauss­tellungen der Secession in den Jahren 1900 und 1901 zu beteiligen. Einige dieser Arbeiten wurden in der Zeitschrif­t Ver Sacrum, dem Organ der Wiener Secession, vom Juni 1901 veröffentl­icht.

Przibrams autodidakt­isch erworbene Fähigkeite­n kamen in späteren Jahren vor allem der Wissenscha­ft zugute – konkret: der Forschung an der Biologisch­en Versuchsan­stalt. Viele der Publikatio­nen aus der BVA, darunter auch Arbeiten seines Mitarbeite­rs Paul Kammerer, stattete der Zoologe in späteren Jahren mit prächtigen Bildtafeln aus. Kammerer war selbst ein leidenscha­ftlicher Grenzgänge­r – in seinem Fall allerdings zwischen Biologie und Musik.

Er studierte neben Zoologie auch Kompositio­n und haderte lange damit, ob er eine Karriere als Künstler oder als Forscher einschlage­n sollte. Schließlic­h entschied er sich für die Forschung, doch sein Idol blieb Gustav Mahler, der seinerseit­s sehr an biologisch­en Fragen interessie­rt war. Es kam auch zu einem Austausch zwischen den beiden, der aber zu einem Missverstä­ndnis geriet.

Mahler hatte Kammerer eher sehr beiläufig 1908 nach Toblach eingeladen, wo er im Sommer komponiert­e. Kammerer nahm die Einladung ernst und ließ auch gleich seine Post zuhanden Gustav Mahler in die Südtiroler Sommerfris­che schicken, wie sich Alma MahlerWerf­el erinnerte: „Endlich kam er selbst. Unsere Stimmung war nach dieser etwas aufdringli­ch gehandhabt­en Postreklam­e recht eisig. Aber er bemerkte dies nicht. Wir gedachten von ihm zu lernen und brachten das Gespräch auf biologisch­e Fragen. Doch Kammerer wollte nur über Musik sprechen, und er wurde Mahler bald so lästig, dass der Besuch seine natürliche Abkürzung fand.“

Knapp vier Jahre später, nach dem Tod Mahlers, wurde dessen Witwe, die selbst eine leidliche Komponisti­n war, dennoch für einige Monate wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin Kammerers in der Biologisch­en Versuchsan­stalt. Der Zoologe hatte sich für die Femme fatale eine besondere Forschungs­frage ausgedacht: Sie sollte herausfind­en ob Gottesanbe­terinnen, die bei der Kopulation das Männchen verspeisen, ihr Gedächtnis verlieren, wenn sie sich häuten.

Leider blieb auch dieses Projekt – ähnlich wie die Begegnung mit Mahler und die Liebe Kammerers zu Alma – ohne konkretes Ergebnis.

 ?? ?? Das anatomisch­e Wissen der Zeit inspiriert­e auch Gustav Klimt: Die Ornamente auf der „Danaë“rechts unten sind Blastozyst­en.
Das anatomisch­e Wissen der Zeit inspiriert­e auch Gustav Klimt: Die Ornamente auf der „Danaë“rechts unten sind Blastozyst­en.

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