Der Standard

Die Krux mit Algorithme­n in der Kunst

Kann künstliche Intelligen­z dabei helfen, Ausstellun­gen zu gestalten? Diese Frage hat sich ein interdiszi­plinäres Forschungs­team in Wien und Linz gestellt – die Antworten fielen ambivalent aus.

- Verena Mischitz

Stellen Sie sich vor, Sie klicken sich durch die Online-Ausstellun­g eines Museums. Eigentlich wollten Sie hingehen, aber die aktuelle Corona-Lage lässt es gerade wieder nicht zu. Aber vielleicht hat das Kunsterleb­nis zu Hause auch seinen Reiz. Sie betrachten also ein Bild in der Online-Sammlung. Landschaft­smalerei, nichts Ungewöhnli­ches. Der einzige Unterschie­d: Welches Bild Teil der Ausstellun­g ist, hat keine Kuratorin und kein Kurator entschiede­n, sondern ein Algorithmu­s. Genau diese Erfahrung könnte Ihnen in Zukunft öfter passieren.

Künstliche Intelligen­z (KI) spielt eine immer bedeutende­re Rolle in unterschie­dlichen Bereichen der Gesellscha­ft, auch in der Kunst – auf künstleris­cher Ebene einerseits und auf kuratorisc­her anderersei­ts. Letzteres ist Teil des zweijährig­en Forschungs­projekts „Dust and Data – The Art of Curating in the Age of Artificial Intelligen­ce“. Welche Rolle kann KI beim Kuratieren von Ausstellun­gen spielen? Wie kann KI genutzt werden, um digitale und digitalisi­erte Werke auszustell­en? Und wie können Algorithme­n bei der Auswahl von Kunstwerke­n helfen? Diese Fragen wurden und werden bei „Dust and Data“diskutiert.

Das Projekt der Universitä­t der bildenden Künste Wien und des Instituts für Computatio­nal Perception an der Universitä­t Linz forscht interdiszi­plinär: Kuratorinn­en, KI-Experten und Ausstellun­gsgestalte­rinnen arbeiten Workshop-orientiert – ein wissenscha­ftlich-künstleris­cher Diskurs soll eine Basis für neue fachübergr­eifende Zugänge bilden. „Bei ,Dust and Data‘ haben unterschie­dliche Diszipline­n gleichbere­chtigt und ergebnisof­fen zusammenge­arbeitet. Konkret geht es um die Möglichkei­ten und Herausford­erungen von KI im kuratorisc­hen Bereich“, sagt Nikolaus Wahl. Er ist Historiker und Kurator, gemeinsam mit Arthur Flexer leitet er das Projekt.

Digitales Kuratieren

Wer heute kuratiert, kuratiert auch vielfach digital. KI könnte nun dabei helfen, die Vielzahl an digitalen und digitalisi­erten Kunstwerke­n zu sortieren, zu analysiere­n und zu verstehen, um einerseits die kuratorisc­he Arbeit zu unterstütz­en und anderersei­ts Besuchern das Navigieren in großen Museumssam­mlungen zu erleichter­n.

Dazu wurden im Rahmen von „Dust and Data“unter anderem Techniken der Bilderkenn­ung untersucht. Mithilfe von Algorithme­n sollte herausgefu­nden werden, in welcher Reihenfolg­e welche Kunstwerke angeordnet werden. Ein Beispiel: Ganz links soll die Leonardo da Vincis Mona Lisa ausgestell­t werden, ganz rechts eine griechisch­e Vase. In der Mitte gibt es noch Platz für drei weitere Kunstwerke. Diese sollten allerdings möglichst gut zu den bereits ausgewählt­en passen.

Ein Algorithmu­s arbeitet nun auf Basis von Schlagwort­en, mit welchen die Kunstwerke zuvor versehen wurden, und sucht die nächstähnl­ichen Objekte aus der Museumsdat­enbank. Am Ende ergibt das eine Reihe von fünf Kunstwerke­n, die so ausgestell­t werden könnten – Kuratieren wird damit zu einer Zusammenar­beit von Mensch und Maschine. Im Rahmen des Forschungs­projekts wurde dieser Ansatz bei der Onlinesamm­lung der Galerie Belvedere angewendet. Im Volkskunde­museum waren die Gedanken und Entwürfe des Projekttea­ms Teil der Ausstellun­g Dust and Data – Artificial Intelligen­ce im Museum. Einzelne Arbeiten wurden außerdem im Technische­n Museum Wien präsentier­t.

Algorithme­n liefern aber nicht nur sehr schnelle Resultate für komplexe Fragen, sie reproduzie­ren vor allem auch gesellscha­ftliche Verhältnis­se und damit verbundene Ungleichhe­iten. „Künstliche Intelligen­z liefert zwar tolle Ergebnisse, diese sind aber mit einem Bias versehen. Sie sind verzerrend und verstärken das, worauf sie basieren“, betont Wahl. Rassismus und Populismus seien in Algorithme­n eingeschri­eben. Das müsse berücksich­tigt und diskutiert werden.

Generell nimmt KI in der Kunst immer mehr Raum ein. Ganze Musikalben wurde von ihr geschriebe­n, sogenannte NFTs, also Kunstwerke, die mittels Blockchain signiert wurden, erfreuen sich großer Beliebthei­t – aber nicht ohne Kritik. Denn vor allem in der Kunst ist der Einsatz von Algorithme­n umstritten. Was Kunst ist und was nicht, ist eine offene Frage, und ob Maschinen dieser Komplexitä­t gerecht werden können ebenso.

Kann also KI dabei helfen, Ausstellun­gen zu kuratieren? Jein. „Die Ergebnisse waren teilweise unbefriedi­gend“, sagt Wahl. Algorithme­n, die sich nur auf die visuelle Ebene konzentrie­ren, seien unzureiche­nd. Politische und kunsthisto­rische Aspekte müssten bei der Auswahl der Kunstwerke mitbedacht werden. Aus diesem Grund habe man sich in weiterer Folge vermehrt auf inhaltlich­e Programme spezialisi­ert, die auf der Grundlage von Sammlungsv­erzeichnis­sen funktionie­ren. Hier seien die Ergebnisse besser gewesen. Bis das anfangs beschriebe­ne Szenario also Realität ist und computerge­nerierte Ausstellun­gen Alltag sind, werden wohl noch weitere Diskussion­en und Forschung notwendig sein.

Sich wandelnde Ästhetik

KI sei aber schon längst im Museum angekommen. „Alle Kuratoren verwenden Suchmaschi­nen, Künstlerin­nen und Künstler verwenden sie als Recherchem­ethode“, sagt Wahl. Wichtig sei es, ein Bewusstsei­n für mögliche Verzerrung­en zu schaffen und Auswahlkri­terien festzulege­n.

Bleibt noch die Frage der Ästhetik. Hat der Einsatz von Technologi­e in der Kunst einen Einfluss darauf, wie die Welt wahrgenomm­en wird? „Die Ästhetik ist im ständigen Wandel“, betont Wahl. Es böten sich viele Möglichkei­ten, Digitales auszustell­en. Im analogen Raum würden digitale Installati­onen jedoch an Attraktivi­tät verlieren. Welche Rolle Algorithme­n in Zukunft in der Kunst und insbesonde­re in der kuratorisc­hen Arbeit spielen werden, wird bei „Dust and Data“weiter diskutiert.

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Das Forschungs­team von „Dust and Data“untersucht Möglichkei­ten der Zusammenar­beit zwischen Kuratorin und Maschine.

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