Zwei-Grad-Ziel ist kaum mehr erreichbar
Forscher präsentieren einen neuen Ansatz für die Modellierung von Emissionen: Selbst wenn alle Länder ihre Klimaziele für 2030 tatsächlich erfüllen, scheint das Pariser Klimaziel nicht mehr zu schaffen zu sein.
Ob sich das 2015 in Paris vereinbarte Klimaziel ausgehen wird, bleibt auch nach Ende der Klimakonferenz in Glasgow vor etwas mehr als einer Woche ungewiss. Viele Experten und Beobachter bezweifeln jedenfalls, dass sich allein mit den dort beschlossenen Maßnahmen die globalen Durchschnittstemperaturen unter zwei Grad Celsius gegenüber den vorindustriellen Werten stabilisieren lassen – von einer Begrenzung auf 1,5 Grad Celsius ganz zu schweigen.
Wenig Spielraum für Optimismus lässt auch eine aktuelle Prognose, die die Klimaentwicklung bis zum Ende des Jahrhunderts skizziert. Kurz zusammengefasst lautet das ernüchternde Ergebnis der im Fachjournal Nature Climate Change veröffentlichten Studie: Selbst wenn alle Länder ihre Klimaziele für 2030 erfüllen, wird das Zwei-Grad-Celsius-Ziel nicht zu schaffen sein.
Neue Modelle
Das internationale Team um Ida Sognnaes vom norwegischen Center for International Climate Research in Oslo hat für seine Vorhersage ein umfangreiches Modellierungsverfahren entwickelt. Um den globalen Verlauf der Treibhausgasemissionen bis 2100 einzuschätzen, wurde im Vergleich zu den meisten bisherigen Studien gleichsam der umgekehrte Weg beschritten. Frühere Modellierungen nahmen ein gesetztes Temperaturziel als Ausgangspunkt an und berechneten darauf basierend jene Emissionsverläufe, die mit diesem Ziel vereinbar sind. Man kennt das Konzept in der Fachwelt als „Backcasting“.
Der Ansatz hat allerdings seine Tücken, denn er spiegelt nicht immer die realen Klimaschutzmaßnahmen wider, die je nach Land und über die Jahrzehnte hinweg sehr unterschiedlich ausfallen können. Die Wissenschafter um Sognnaes vergleichen deshalb sieben „Integrated Assessment Models“, denen sie die Entwicklung der Gesellschaft und Energiewirtschaft in den nächsten Jahrzehnten unter verschiedenen Annahmen zugrunde legten. So waren einige der Kriterien beispielsweise, wie sich der Ausbau der erneuerbaren Energien entwickelt, in welchem Ausmaß es möglich sein wird, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu holen, oder welche Rolle der Wasserstoff als Energieträger in Zukunft spielen wird.
Die sieben Modelle wurden dann mit Szenarien zu den weltweiten klimapolitischen Maßnahmen bis 2030 und darüber hinaus kombiniert. Bei einer dieser Hochrechnungen ging das Team davon aus, dass alle Staaten ihre jeweiligen Klimaziele bis 2030 einhalten würden.
Die Resultate der Modellierungen stimmen nicht allzu hoffnungsfroh: Selbst das optimistischste Szenario führte bis 2100 zu einer Erwärmung um mehr als zwei Grad Celsius. Ob die Nationen ihre Klimaziele erfüllen, spielte dabei eine vergleichsweise geringe Rolle für den Verlauf der Prognose. Die meisten Szenarien lassen eine durchschnittliche Erderwärmung von 2,2 bis 2,9 Grad Celsius bis 2100 erwarten.
Da die entsprechenden Berechnungen im September 2021 durchgeführt wurden, fanden die Beschlüsse der UN-Klimakonferenz COP 26 im November keinen Eingang. Das sei jedoch kein großes Problem, meint Oliver Geden vom Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP) in Berlin, der selbst nicht Mitglied des Forscherteams war.
Entscheidende Jahre
Dass die Wissenschafter rund um Sognnaes mit ihren Prognosen nicht völlig danebenliegen, zeigen auch die Studien, die im Kontext von COP 26 vorgestellt wurden. Die meisten kommen zu ganz ähnlichen Schlüssen, auch wenn die Methodik vielfach eine ganz andere war: Erreichen alle Länder ihre Klimaziele, steigt die Durchschnittstemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um 2,4 Grad Celsius. Nur wenn alle Staaten ihre Netto-Null-Versprechen einhalten – eine laut Climate Action Tracker unrealistische Annahme –, sagen die Studien eine Erwärmung um rund 1,8 Grad Celsius vorher.
Das Pariser Ziel lebt also noch, wie auch der Präsident der Konferenz in Glasgow, Alok Sharma, erklärt hatte, aber sein Puls ist schwach. Der klimapolitische Kurs der Welt insgesamt, vor allem der einzelnen Staaten, wird in den nächsten Jahren über das Schicksal dieses Patienten entscheiden.