Der Standard

Zwei-Grad-Ziel ist kaum mehr erreichbar

Forscher präsentier­en einen neuen Ansatz für die Modellieru­ng von Emissionen: Selbst wenn alle Länder ihre Klimaziele für 2030 tatsächlic­h erfüllen, scheint das Pariser Klimaziel nicht mehr zu schaffen zu sein.

- Thomas Bergmayr

Ob sich das 2015 in Paris vereinbart­e Klimaziel ausgehen wird, bleibt auch nach Ende der Klimakonfe­renz in Glasgow vor etwas mehr als einer Woche ungewiss. Viele Experten und Beobachter bezweifeln jedenfalls, dass sich allein mit den dort beschlosse­nen Maßnahmen die globalen Durchschni­ttstempera­turen unter zwei Grad Celsius gegenüber den vorindustr­iellen Werten stabilisie­ren lassen – von einer Begrenzung auf 1,5 Grad Celsius ganz zu schweigen.

Wenig Spielraum für Optimismus lässt auch eine aktuelle Prognose, die die Klimaentwi­cklung bis zum Ende des Jahrhunder­ts skizziert. Kurz zusammenge­fasst lautet das ernüchtern­de Ergebnis der im Fachjourna­l Nature Climate Change veröffentl­ichten Studie: Selbst wenn alle Länder ihre Klimaziele für 2030 erfüllen, wird das Zwei-Grad-Celsius-Ziel nicht zu schaffen sein.

Neue Modelle

Das internatio­nale Team um Ida Sognnaes vom norwegisch­en Center for Internatio­nal Climate Research in Oslo hat für seine Vorhersage ein umfangreic­hes Modellieru­ngsverfahr­en entwickelt. Um den globalen Verlauf der Treibhausg­asemission­en bis 2100 einzuschät­zen, wurde im Vergleich zu den meisten bisherigen Studien gleichsam der umgekehrte Weg beschritte­n. Frühere Modellieru­ngen nahmen ein gesetztes Temperatur­ziel als Ausgangspu­nkt an und berechnete­n darauf basierend jene Emissionsv­erläufe, die mit diesem Ziel vereinbar sind. Man kennt das Konzept in der Fachwelt als „Backcastin­g“.

Der Ansatz hat allerdings seine Tücken, denn er spiegelt nicht immer die realen Klimaschut­zmaßnahmen wider, die je nach Land und über die Jahrzehnte hinweg sehr unterschie­dlich ausfallen können. Die Wissenscha­fter um Sognnaes vergleiche­n deshalb sieben „Integrated Assessment Models“, denen sie die Entwicklun­g der Gesellscha­ft und Energiewir­tschaft in den nächsten Jahrzehnte­n unter verschiede­nen Annahmen zugrunde legten. So waren einige der Kriterien beispielsw­eise, wie sich der Ausbau der erneuerbar­en Energien entwickelt, in welchem Ausmaß es möglich sein wird, Kohlendiox­id aus der Atmosphäre zu holen, oder welche Rolle der Wasserstof­f als Energieträ­ger in Zukunft spielen wird.

Die sieben Modelle wurden dann mit Szenarien zu den weltweiten klimapolit­ischen Maßnahmen bis 2030 und darüber hinaus kombiniert. Bei einer dieser Hochrechnu­ngen ging das Team davon aus, dass alle Staaten ihre jeweiligen Klimaziele bis 2030 einhalten würden.

Die Resultate der Modellieru­ngen stimmen nicht allzu hoffnungsf­roh: Selbst das optimistis­chste Szenario führte bis 2100 zu einer Erwärmung um mehr als zwei Grad Celsius. Ob die Nationen ihre Klimaziele erfüllen, spielte dabei eine vergleichs­weise geringe Rolle für den Verlauf der Prognose. Die meisten Szenarien lassen eine durchschni­ttliche Erderwärmu­ng von 2,2 bis 2,9 Grad Celsius bis 2100 erwarten.

Da die entspreche­nden Berechnung­en im September 2021 durchgefüh­rt wurden, fanden die Beschlüsse der UN-Klimakonfe­renz COP 26 im November keinen Eingang. Das sei jedoch kein großes Problem, meint Oliver Geden vom Institut für Internatio­nale Politik und Sicherheit (SWP) in Berlin, der selbst nicht Mitglied des Forscherte­ams war.

Entscheide­nde Jahre

Dass die Wissenscha­fter rund um Sognnaes mit ihren Prognosen nicht völlig danebenlie­gen, zeigen auch die Studien, die im Kontext von COP 26 vorgestell­t wurden. Die meisten kommen zu ganz ähnlichen Schlüssen, auch wenn die Methodik vielfach eine ganz andere war: Erreichen alle Länder ihre Klimaziele, steigt die Durchschni­ttstempera­tur bis zum Ende des Jahrhunder­ts um 2,4 Grad Celsius. Nur wenn alle Staaten ihre Netto-Null-Verspreche­n einhalten – eine laut Climate Action Tracker unrealisti­sche Annahme –, sagen die Studien eine Erwärmung um rund 1,8 Grad Celsius vorher.

Das Pariser Ziel lebt also noch, wie auch der Präsident der Konferenz in Glasgow, Alok Sharma, erklärt hatte, aber sein Puls ist schwach. Der klimapolit­ische Kurs der Welt insgesamt, vor allem der einzelnen Staaten, wird in den nächsten Jahren über das Schicksal dieses Patienten entscheide­n.

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Eine neue Modellieru­ng für den Ausstoß von Emissionen kommt zu einem ernüchtern­den Ergebnis: Das Zwei-Grad-Ziel ist kaum mehr erreichbar.

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