Der Standard

Auch wenn es nur einer hilft

Jahr für Jahr sterben dutzende Frauen in Österreich, einfach weil sie Frauen sind. Wie steht es derzeit um den Schutz von Frauen? Welche vielverspr­echenden Initiative­n gibt es?

- Beate Hausbichle­r, Noura Maan

Eine Frau stirbt nach heftiger Gewalteinw­irkung und wird vor der Bezirkshau­ptmannscha­ft Villach abgelegt. Eine weitere wird in Innsbruck in ihrem Zuhause erstochen. Eine Dritte wird angefahren und reglos neben einer Straße im niederöste­rreichisch­en Großebersd­orf entdeckt.

Das sind nur die Vorfälle der vergangene­n zwei Wochen. Es sind drei von 28 Frauen, die dieses Jahr getötet wurden. Seit dem Höchststan­d 2018, als laut polizeilic­her Kriminalst­atistik 41 Frauen ermordet wurden, ging die Zahl leicht zurück: 2019 auf 39, im Vorjahr auf 31. 2015 waren es 17 gewesen – eine Zahl, die derzeit in weiter Ferne scheint.

Welche Maßnahmen wurden im Kampf gegen Gewalt an Frauen gesetzt? Kommen sie bei Opfern an, steigt der Druck auf Täter? Waren es die falschen Schritte, oder wurde deren Wirkung nur nie evaluiert?

Jede Regierung der vergangene­n Jahre brachte ein Gewaltschu­tzpaket auf den Weg. Im Kern jedes Mal dabei: eine Erhöhung der Strafen für Sexual- und Gewaltdeli­kte.

Was die Verschärfu­ngen – und ob sie überhaupt etwas – bringen, bleibt dabei im Dunkeln. „Aus der allgemeine­n kriminolog­ischen Forschung gibt es keinen empirische­n Beleg für eine Abschrecku­ngswirkung höherer Strafdrohu­ngen“, sagt Isabel Haider vom Institut für Strafrecht und Kriminolog­ie an der Uni Wien. Eine Wirkung gebe es hingegen, wenn Täter tatsächlic­h entdeckt und bestraft werden. Angesichts der niedrigen Verurteilu­ngsrate bei Gewalt- und Sexualdeli­kten sei das aber offenbar immer noch ein Problem.

Niedrige Verurteilu­ngsrate

Das zeigt sich etwa statistisc­h bei den Straftatbe­ständen sexuelle Belästigun­g oder Vergewalti­gung, wo zwischen 2012 und 2019 nur 8,4 bzw. 13 Prozent der Anzeigen zu einer Verurteilu­ng führten. Hinzu kommt, dass die Dunkelziff­er insbesonde­re bei sexualisie­rter Gewalt hoch eingeschät­zt wird. Die Beweislage ist schwierig, oft steht Aussage gegen Aussage. Die Pandemie hat sowohl kurz- als auch langfristi­g die Lage verschärft.

Durch die Corona-Krise wurden Frauen länger und nachhaltig­er arbeitslos, eingeschrä­nkte Bewegungsf­reiheit im Lockdown stellt eine zusätzlich­e Bedrohung dar. Seit der Pandemie gibt es neue Hilfsangeb­ote, wo Betroffene trotz Ausgangsbe­schränkung­en hinkönnen. In Frankreich wurden in Einkaufsze­ntren Beratungss­tellen eingericht­et und tausende Hotelbette­n für sie reserviert. Versteckte Hilferufe wie „Maske 19“in Apotheken oder bestimmte Handzeiche­n in Videos sind auch außerhalb Frankreich­s verbreitet. Zuletzt erschienen in Österreich Hinweise auf Milchpacku­ngen oder Supermarkt­belegen, an wen sich Betroffene von Gewalt wenden können.

Was dies allerdings tatsächlic­h bringt, wissen wir noch nicht, sagt Birgit Haller von Institut für Konfliktfo­rschung. Solche Kampagnen werden vorwiegend von Gewaltschu­tzeinricht­ungen und NGOs durchgefüh­rt, „und die sind schon froh, dass sie Geld für eine Kampagne haben“. Für Studien über den Nutzen reiche es nicht mehr. Dennoch sei es in jedem Fall sinnvoll,

„alles, womit man unter Umständen jemanden erreicht, ist einen Versuch wert“, sagt Haller. Letztlich müsse das Gegenüber der Hilfesuche­nden aber gut geschult sein. „Nur weil man helfen will, ist das noch keine Qualifikat­ion dafür, dass man das gut und unterstütz­end macht“, sagt Haller.

Mehr Wissen nötig

Die Gelder für Gewaltschu­tz sind bekanntlic­h sehr begrenzt. Es sei daher heikel, dass man noch nicht wisse, in welche Maßnahmen in einer Notsituati­on wie jetzt dem Lockdown unbedingt investiert werden sollte. „In jedem Fall in umfassende Online-Angebote“, fällt Haller ein, die braucht es in Zeiten des Lockdowns unbedingt.

Betroffene oder auch Täter mit Kampagnen gegen Gewalt zu erreichen ist nicht leicht. Ein blaues Auge, eine in der Ecke kauernde Frau vor einer Männerfaus­t. Solche plakativen Bilder bei Antigewalt­kampagnen können dem Bewusstsei­n sogar schaden. Das zeigt eine Studie aus dem Jahr 2010. Bei der Zielgruppe Männer nimmt das Bewusstsei­n

durch Kampagnen mit stereotype­n Zuschreibu­ngen sogar ab, erklärt Michaela Gosch, Geschäftsf­ührerin der Frauenhäus­er Steiermark. Wenn stereotype und besonders harte Bilder von Gewalt überhaupt jemanden erreichen, dann Frauen, die bereits ein feministis­ches Bewusstsei­n haben.

Was hingegen immer öfter in Kampagnen in den Vordergrun­d gerät, ist, Männer in die Pflicht zu nehmen. Der Werbespot der schottisch­en Polizei Don’t be that Guy richtet sich explizit an Männer und fordert sie auf, ihr Verhalten zu reflektier­en.

Auch in Österreich startete das Sozialmini­sterium diese Woche die Kampagne Mann spricht’s an. Damit wird zwar nicht direkt das eigene Verhalten der Männer adressiert, sondern dazu aufgerufen, einzuschre­iten, wenn Freunde, Nachbarn oder Arbeitskol­legen problemati­sch bis gewalttäti­g sind. Dennoch wird auch hier bereits erkannt, dass Gewalt gegen Frauen weit vor einem körperlich­en Übergriff beginnen kann. Gewalt in Film und TV Seite 29

Kommentar Seite 32

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Nicht eine mehr: Seit 1999 ist der 25. November ein Gedenktag für Mädchen und Frauen, die Opfer von Gewalt wurden. Ab diesem Tag beginnen die 16 Aktionstag­e gegen Gewalt.

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