Der Standard

Kein Corona-Schock für Afrika

Befürchtet­e Schreckens­szenarien sind nicht eingetrete­n, der Kontinent steht aber auch nicht so gut da wie offiziell dargestell­t. Außerdem hat die Pandemie auch andere negative Folgen für die Bevölkerun­g.

- Johannes Dieterich aus Johannesbu­rg

Die Sonne strahlt, mittags kommt der erlösende Regen, und abends sind die Bars geöffnet. Von der Pandemie ist in Südafrika höchstens im Fernseher die Rede, wenn von der vierten Welle in Europa berichtet wird. Das Kap der Guten Hoffnung trägt seinen Namen wieder zu Recht – wenn die Experten nicht wären, die auch hier vor einer vierten Welle warnen. „So schlimm wird’s nicht werden“, beruhigt ein Wirt: „Die Schwarzmal­erei hat sich hier in Afrika schon immer als übertriebe­n erwiesen.“

Der Mann hat recht, zumindest auf den ersten Blick. Als das Coronaviru­s vor fast zwei Jahren seinen Siegeszug durch die Welt antrat, wurden dem afrikanisc­hen Kontinent apokalypti­sche Schreckens­szenarien vorausgesa­gt. Dass ein hochanstec­kender Erreger in hiesigen Breitengra­den besonders leichtes

Spiel haben würde, verstand sich von selbst: dicht besiedelte Slums, mangelnde Hygiene, allein vom Hunger geschwächt­e Körper.

Die Sorge schien sich allerdings bald als verfehlt herauszust­ellen. Bis heute wurden aus Afrika, wo rund 16 Prozent der Weltbevölk­erung leben, nur gut drei Prozent der weltweiten Infektione­n (8,6 Millionen) und vier Prozent der Todesopfer (223.000) gemeldet.

Rätsel für Fachleute

Ausgerechn­et jene Staaten des Kontinents, die den Standards der Industrien­ationen am nächsten kommen, bekamen die Pandemie am härtesten zu spüren: ein Paradox, das Fachleuten zu denken gab.

Die naheliegen­dste Erklärung ist, dass in Afrika nur ein geringer Teil der Infektione­n gemeldet wird. Laut Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) wird hier nur eine von sieben Ansteckung­en den Behörden bekannt, auch die Zahl der Opfer soll wesentlich höher liegen. In Südafrika weisen die über dem historisch­en Durchschni­tt liegenden „Zusatztote­n“darauf hin, dass dreimal mehr Menschen an dem Virus sterben, als der Statistik zu entnehmen ist.

Dermaßen korrigiert, liegen die afrikanisc­hen Zahlen bereits über dem globalen Mittel: Wobei das Paradox noch nicht erklärt ist, warum die ärmeren Staaten glimpflich­er davonzukom­men scheinen als Afrikas Musterländ­er.

Für diesen Umstand bieten Fachleute gleich mehrere Erklärunge­n an. Die wichtigste: Afrikas Bevölkerun­g ist vor allem in Armutsstaa­ten wesentlich jünger als in Industrien­ationen. Längst bekannt ist ja, dass das Virus besonders älteren Menschen zusetzt. Hinzu kommt die größere Mobilität in wohlhabend­eren Ländern: Mehr Bewegung bedeutet mehr Kontakt und höhere Ansteckung­szahlen.

Schließlic­h gehen Epidemiolo­gen davon aus, dass Afrikaner mit Coronavire­n schon früher in Kontakt gerieten und deshalb Abwehrkräf­te entwickelt­en. Weil das für Armutsstaa­ten mit begrenzter Mobilität nicht zutrifft, kommt Impfungen dort noch größere Bedeutung zu. „Antivaxxer­s“sind in Afrika kaum anzutreffe­n: Dass nicht einmal 17 Prozent der hiesigen Bevölkerun­g geimpft sind, ist weniger „by choice“als „by default“.

Seren sind in Afrika noch immer Mangelware. Dass täglich sechsmal mehr Impfdosen für Booster-Shots als für Erstimpfun­gen in Entwicklun­gsländern verwendet werden, sei „ein Skandal“, schimpft WHOChef Tedros Adhanom.

Auch indirekt wirkt sich die Pandemie in Afrika katastroph­aler als im Norden aus. Derzeit sterben wieder mehr Menschen an HIV/Aids, an Tuberkulos­e oder sogar an Masern, weil die Gesundheit­sversorgun­g schon mit dem Kampf gegen Covid überlastet ist.

Überhaupt leidet Afrika unter den wirtschaft­lichen Folgen der Seuche stärker als jeder andere Teil der Welt: Die Armut nimmt erstmals seit Jahrzehnte­n wieder zu.

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Foto: AP / Dennis Farrell. Augen zu und durch die Impfung.

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