Der Standard

Täter dürfen inzwischen überleben

Platzwunde­n, zerbrochen­e Couchtisch­e, psychopath­ische Täter: Heute sehen die Darstellun­gen von Gewalt gegen Frauen in Film und Fernsehen anders und differenzi­erter aus. Was besser wurde – und was nicht.

- Beate Hausbichle­r

Die Darstellun­gen von Gewalt gegen Frauen in Serien und Filmen prägen unser Bewusstsei­n dafür. Wer kann sich nicht an den irren Blick von Julia Roberts brutalem Film-Ehemann aus Der Feind in meinem Bett (1991) erinnern, an die Darstellun­g von Farrah Fawcett als Opfer schwerer häuslicher Gewalt in Das brennende Bett (1984)? Inzwischen haben sich diese Bilder der Gewalt gewandelt. Sie sind weniger plakativ und weniger zum Zwecke des Thrills gemacht. Ein Damals-und-heute-Vergleich mit Literaturw­issenschaf­terin und TV-, Film- und Krimi-Expertin Sonja Hartl.

DIE GEWALT

Ihr Freund ist betrunken, brüllt, schlägt mit der Faust gegen die Wand – wenige Zentimeter neben ihrem Kopf. Die Anfang 20-jährige Alex weiß spätestens jetzt, dass sie mit ihrer dreijährig­en Tochter wegmuss, dass es nur mehr schlimmer werden kann. Doch wohin? Ins Frauenhaus? Wohl nicht, schließlic­h hat der Vater ihrer Tochter sie körperlich nicht angegriffe­n. Kontrollie­rt, unter Druck gesetzt, ihr Angst gemacht – ja, aber nicht geschlagen. Noch nicht. Die NetflixSer­ie Maid (2021) nach einer wahren Begebenhei­t geht darauf ein, was älteren Darstellun­gen von Gewalt gegen Frauen völlig fehlt: dass Gewalt nicht nur Schläge bedeutet.

Doch genauso eindimensi­onal waren die Bilder von häuslicher Gewalt in den 1980er- und 1990erJahr­en. Blutergüss­e, zersplitte­rte Couchtisch­e, Platzwunde­n – es ist unfassbar schwere physische Gewalt, die die TV-Betroffene­n nur mit viel Glück überleben. Das wissen die Frauen, sei es Francine (Farrah Fawcett) in Das brennende Bett oder Laura (Julia Roberts) in Der Feind in meinem Bett. Auch in Enough (2002) mit Jennifer Lopez wird Gewalt vor allem als physische Gewalt dargestell­t. „In diesen früheren Filmen läuft alles auf eine finale Konfrontat­ion mit dem Täter hinaus“, sagt die deutsche Literaturw­issenschaf­terin Sonja Hartl. Die Gewalt ließ sich nur durch Gewalt beenden.

DIE TÄTER

Das lag nicht zuletzt auch an den Darstellun­gen der Täter: kontrollwü­tig, psychopath­isch, monsterhaf­t, der klassische Bösewicht. Es bleibt ein völliges Rätsel, wie Martin Burney aus Der Feind in meinem Bett seinen von Wahnsinn durchdrung­enen Blick so lange verbergen konnte, bis ihm Laura das Jawort gab. Das legt auch die fatale Frage nahe: Wie um Himmels willen konnte sie sich auf diesen Kerl einlassen? Die hervorrage­nden Detektivin­nen aus Unbelievab­le (2019) wissen hingegen, wie gefährlich eine solche TäterOpfer-Umkehr ist. Die für ihren differenzi­erten Umgang mit sexualisie­rter Gewalt gelobte Serie liefert allerdings auch keine neue Darstellun­g von Tätern, sagt Hartl, denn in der Serie wird ein Mann gejagt, der den Opfern unbekannt ist – und deshalb kaum vorkommt.

Maid bleibt deshalb vorerst die einzige ausführlic­he TV-Beschäftig­ung mit dem Thema „männliche Verantwort­ung“, stellt Sonja Hartl fest. „Bisher mussten Männer ihr eigenes Verhalten nicht hinterfrag­en. In Maid erkennt der Ex-Freund von Alex zumindest, dass er ein

Problem hat.“Dass der Erkenntnis­gewinn aber seine Grenzen hat, zeige die Figur des Vaters von Alex. Der Versuch, es heute besser zu machen, denn auch er hat die Mutter von Alex geschlagen – Verantwort­ung übernimmt er aber dennoch keine. Die Serie macht somit deutlich, dass Gewalt gegen Frauen nicht das Problem von Frauen ist, sagt Hartl, sondern dass es das Problem der gewalttäti­gen Männer ist.

DIE FRAUEN

Die Frauenfigu­ren sind bis heute vor allem eines: ziemlich perfekt. Schön, sanftmütig und trotz traumatisc­her Erfahrunge­n haben sie meist viel Energie und Lebensfreu­de. Und was für großartige Mütter sie erst sind! Die sehr junge Alex

wird selbst in Extremsitu­ationen nie laut und nie ungeduldig mit ihrem Kind. Auch wenn sie gerade im Auto flüchtet, findet sie ruhige, tröstende Worte für das Kind. Das ist umso erstaunlic­her, als Alex selbst kaum Geborgenhe­it erfuhr. „Das soll nicht heißen, dass man so keine gute Mutter sein kann“, betont Hartl. Doch in schwierige­n Situatione­n plus eigenen traumatisc­hen Erfahrunge­n derart umsichtig und liebevoll mit dem Kind umzugehen, das ist ein Kunststück, das in Maid als „normal“und halt der Mutterlieb­e geschuldet dargestell­t wird.

Alles für das Kind. Auch für Slim aus Enough ist der Gedanke an ihre Tochter ausschlagg­ebend für ihr entschloss­enes Handeln. „Ihr werdet nie sicher sein“, sagt ihr eine Freundin und überzeugt Slim so, ihren Ex doch zu töten, nachdem sie gezögert hat. Auch dafür hält Mutterscha­ft als Rechtferti­gung her, sagt Hartl.

DIE POLIZEI, DIE JUSTIZ

Sie könne eine einstweili­ge Verfügung gegen den gewalttäti­gen Mann erwirken, erklärt ein Polizist Slim, die „für eine Freundin fragt“. Sie meint daraufhin, was sie damit solle, „ihn damit bewerfen, wenn er sie wieder angreift?“. Und damit kehrt sie der Polizei für immer den Rücken. In vielen Darstellun­gen von Gewalt gegen Frauen kommen weder Polizei noch Justiz gut weg.

In Unbelievab­le geht es konkret sowohl um sehr schlechte als auch um hervorrage­nde Polizeiarb­eit. „Viele Polizisten wissen nicht, wie sich Opfer von Gewalt benehmen können“, sagt Hartl. Deshalb schärfe die Serie die Sensibilit­ät dafür, was besser gemacht werden sollte. Genau wissen das hingegen schon die beiden Ermittleri­nnen Grace Rasmussen und Karen Duvall, für die Umsicht und Respekt im Umgang mit Betroffene­n selbstvers­tändlich sind. So wird auch dem Erleben der Opfer viel Raum gegeben, lobt Hartl. Rasmussen und Duvall stellen letztlich den gesuchten Serienverg­ewaltiger – den andere Polizisten erst als Ausgeburt der Fantasie einer jungen Frau abtaten. Somit ist Teil der Erzählung, dass es auch Glück ist, an wen man bei der Polizei gerät, meint Hartl.

DER AUSWEG

In älteren Filmen scheint es unumgängli­ch, dass die Frau nach ihrer Flucht wieder auf den Mann trifft, der sie misshandel­t hat, beobachtet­e Hartl. Laura, Francine, Slim – sie alle töten ihre gewalttäti­gen Männer. „Damit wird suggeriert, dass das der einzige Ausweg ist, das würde man heute nicht mehr so inszeniere­n“, ist sich Hartl sicher. Unbehagen bereitet ihr an dieser Darstellun­g zudem, dass damit die Verantwort­ung auch der Frau zugeschobe­n würde. Als hätten sie sich den falschen Mann ausgesucht, und jetzt müssten sie halt selbst rauskommen aus dieser Situation. „Das blendet alles Strukturel­le an diesem Thema aus.“Geändert haben sich auch völlig illusorisc­he Erzählunge­n über Geld. Ihr Mann lässt Laura zwar kaum für Lohn arbeiten. Als sie jedoch untertauch­t, ist wie durch ein Wunder genug da, um ein ganzes Haus zu mieten. In Maid sehen wir hingegen, wie schwer Alex für ihre finanziell­e Unabhängig­keit arbeitet. Wunder gibt es kaum.

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 ?? ?? Die junge Alex (Margaret Qualley) aus der Serie „Maid“verlässt ihren Partner, bevor es noch gefährlich­er wird. Ältere Darstellun­gen häuslicher Gewalt zeigten diese immer nur als physische Gewalt.
Die junge Alex (Margaret Qualley) aus der Serie „Maid“verlässt ihren Partner, bevor es noch gefährlich­er wird. Ältere Darstellun­gen häuslicher Gewalt zeigten diese immer nur als physische Gewalt.

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